[323] O'Connell (Daniel), genannt der große Agitator, d.h. Aufreger, nämlich der katholischen Bevölkerung von Irland, ist um 1774 in einer katholischen Familie der irländ. Grafschaft Kerry geboren, die von einem alten irländ. Fürstengeschlecht [323] abstammen soll.
Er wurde im Jesuitencollegium zu Saint-Omer im franz. Departement Pas de Calais zum geistlichen Stande erzogen, den er aber mit dem Studium der Rechtswissenschaften vertauschte, 1798 in Dublin Sachwalter wurde und als solcher bald einen vorzüglichen Ruf erlangte. Tief verletzt als Irländer wie als Katholik durch die Hintansetzung, deren er und seine Glaubensgenossen auch nach den von England erlangten mancherlei Zugeständnissen immer noch preisgegeben war, machte er es besonders nach der Union oder Vereinigung von Irland (s.d.) mit Großbritannien zum Ziele seiner Bestrebungen, für sein Vaterland völlige Rechtsgleichheit und. Glaubensfreiheit mit jenem zu erlangen, oder Alles zur Auflösung der Union zu thun. Er wirkte für diese Zwecke in deshalb gebildeten politischen Verbindungen und als eifriges Mitglied des seit 1809 erneuerten Katholikenvereins, wurde unter andern durch seine schonungslosen und leidenschaftlichen Angriffe auf die Gegner der Emancipation (s.d.) der irländ. Katholiken auch in einen Zweikampf mit einem Protestanten zu Dublin verwickelt und hatte das Unglück, seinen Gegner zu tödten, was ihn bewog, später jede Herausfoderung abzulehnen. Indessen sind seinem ebenso beharrlichen wie beweglichen Geiste versöhnliche Ansichten keineswegs fremd, wenn sie nur die Aussicht zur Erlangung seiner Absichten eröffnen, und dazu schien ihm 1821 der Besuch König Georg IV. in Irland geeignet, vor dessen Ankunft er zwischen den protestantischen und katholischen Parteien in Dublin den Frieden herzustellen bemüht war. Als aber die von jenem kön. Besuche für Irland erwarteten günstigen Folgen ausblieben, erneuerte O'C. den katholischen Verein und stellte sich an die Spitze der auf Erlangung der Emancipation der Katholiken absehenden Bestrebungen. Im J. 1828 gegen einen protestantischen Mitbewerber zum Vertreter der irländ. Grafschaft Clare im Parlamente gewählt, meldete er sich aber gegen seinen frühern erklärten Vorsatz, seinen Platz ohne Leistung der alten Eide einnehmen zu wollen, die kein Katholik ohne Verleugnung seiner Glaubensgrundsätze ablegen konnte, erst im Mai 1829 zur Theilnahme an den Verhandlungen, wo jene Eide bereits durch die Emancipation verändert worden waren. Das Parlament gab aber keine Anwendung des spätern Gesetzes auf O'C.'s frühere Wahl zu und verweigerte ihm ohne die alten Eide den Eintritt, daher er erst von Neuem gewählt werden mußte und erst im Febr. 1830 nach den neuen Formen Parlamentsmitglied wurde. Bald trat er nun versprochenermaßen mit seinem Antrage zur Aufhebung der Union Irlands mit Großbritannien hervor, wodurch allen Bedrückungen des irländ. Volkes abgeholfen werden würde, das freilich durch die Emancipation der Katholiken allein noch nicht zur gefoderten Rechtsgleichheit mit jenem gelangt war. O'C. stiftete von Neuem Vereine, welche aus allen Grafschaften Bittschriften für seinen vom Parlamente mit Unwillen aufgenommenen Antrag zusammenbringen sollten, und fuhr auch unter der Verwaltung des Ministers Grafen Grey fort, ungeachtet derselbe die Abhülfe der irländ. Beschwerden versprochen hatte, das Äußerste für Irland zu fodern, um dadurch wenigstens etwas oder, wie er es nennt, »Abschlagszahlungen« zu erlangen. Im J. 1831 wurde O'C. wegen öffentlich gehaltener, aufregender Reden als Übertreter des Verbotes friedenstörender Versammlungen verhaftet und in eine gerichtliche Untersuchung verwickelt, erhielt indeß gegen Bürgschaft bald die Freiheit wieder und auch die Untersuchung selbst ward abgebrochen und später nicht wieder vorgenommen. Die engl. Parlamentsreform fand an ihm und seinen Freunden wesentliche Beförderer und nach derselben wurde O'C., dessen Ansehen und Einfluß immer zunahm, von der irländ. Hauptstadt Dublin in das neue Parlament gesandt. Irland befand sich inzwischen in einem Zustande bedrohlich zunehmender Aufregung; Katholiken und auch Protestanten verweigerten die Zehnten und O'C., welcher gar nicht verhehlte, daß er wenig Vertrauen in das Ministerium setze, half mit seinen Freunden im Unterhause, welche die Tories spottweise »O'C.'s Schweif« nennen, die Verdrängung des Grafen Grey herbeiführen. Dagegen stimmte er und seine Partei desto entschiedener mit dem nachfolgenden Ministerium des Viscount Melbourne (s.d.), von dem er, sowie von der Königin Victoria, hinsichtlich der Beschwerden Irlands Alles erwartet, sobald die Tories nicht mehr deren gute Absichten verhindern. Seine Foderung voller Gerechtigkeit für Irland und Gleichstellung desselben mit Großbritannien betreibt er aber deshalb nicht minder unermüdlich, und da während der Parlamentssitzung 1838 zwar ein Gesetz zur Versorgung der Armen in Irland, sowie das zum zweiten Mal berathene wegen besserer Anordnung der Zehnten angenommen, allein namentlich das letztere durch den Widerstand der Tories sehr gegen O'C.'s Wünsche umgestaltet, sowie eine nach dem Muster der neuen engl. und schot. Gemeindeverfassung bearbeitete Gemeindeverfassung für Irland zum dritten Male vom engl. Oberhause verworfen worden ist, auf dessen veränderte Zusammensetzung O'C. schon früher mit hinarbeitete, hat er denn auch neuerdings seine von ihm vorher zur Geduld und zu versöhnlichen Gesinnungen ermahnten Landsleute nochmals zu entschiedenem Auftreten angefeuert. Durch einen neuen von ihm gestifteten sogenannten »Vorläufer-Verein« sollen aus allen Theilen des Landes Bittschriften um Gerechtigkeit für Irland an das Parlament besorgt werden, und wenn diese erfolglos sind, eine abermalige Verbindung zur Auflösung der Union an dessen Stelle treten. In seinem ersten diesjährigen Schreiben an seine Landsleute bezeichnet er unter Anderm die Vernichtung der Orangisten, d.h. der protestantischen Gegner der rechtlichen Gleichstellung der irländ. Katholiken, die gänzliche Aufhebung der Zehnten, die Reform der Gemeindeverfassung, die Ausdehnung des Wahlrechts und Vermehrung der irländ. Parlamentsmitglieder nach dem in Großbritannien geltenden Maßstabe als Hauptgegenstände der nächsten Bestrebungen. Eine hohe, kräftige Gestalt unterstützt das Auftreten dieses Vorkämpfers für Irland, dessen ganze katholische Bevölkerung ihm beinahe blind vertraut und folgt. Seine Beredtsamkeit ist weniger glänzend als volksthümlich und treffend und wird von dem beweglichen Ausdruck seiner Züge und durch ein lebhaftes Geberdenspiel unterstützt. Durch Beerbung eines Oheims kam er in den Besitz des kleinen Landgutes Derrinane-Abtei an der südwestl. Küste von Irland, in der Verfolgung seiner patriotischen Bestrebungen aber wird er durch regelmäßige Beiträge aller Classen seiner Landsleute unterstützt, die von seinen Gegnern O'Counell-Steuer genannt werden.