[327] Odessa, die wichtigste russ. Handelsstadt am schwatzen Meere mit mehr als 50,000 Einw., liegt im Gouvernement Cherson oder Nikolajew in einer ebenen Gegend an einer Bai und auf einem zum Meere hinab geneigten Abhange. Sie bildet ein regelmäßiges längliches Viereck und wurde seit 1793 von den Russen gegründet, welche diese Küstenländer 1791 von den Türken abgetreten erhielten. Unter deren Herrschaft stand hier ein armseliges Dorf und ein kleines Fort Hadschibay, von wo aus aber auch damals schon Getreide und einige andere Producte nach Konstantinopel verschifft wurden; namentlich war die in der Nachbarschaft erbaute Gerste vorzugsweise für die Ställe des Großherrn bestimmt. Die Kaiserin Katharina II. wünschte durch Begründung einer Handelsstadt an derselben Stelle, welche man Edessa oder Odessa zu Ehren der Legende vom ersten christlichen König in Edessa nannte, auch die Einwanderung griech. Kaufleute aus dem Archipel zu begünstigen; die ganze Wichtigkeit der Anlage scheint jedoch blos vom damaligen Admiral Ribas erkannt worden zu sein, welcher die dort zur Gründung eines wirklich guten Handelshafens nothwendigen Bauten, wozu namentlich Dämme zum Schutze der Fahrzeuge gegen Ost- und Südoststürme gehören, zwar angab und die Regierung auch zur Gewährung der Mittel bewog, die aber bei der bekannten Unredlichkeit der russ. Unterbeamten verwendet wurden, ohne daß etwas Taugliches damit hergestellt war. Vom Kaiser Paul und seinen Nachfolgern dem Orte verliehene Begünstigungen, vor Allem aber die Verwaltung des nach seiner Auswanderung aus Frankreich in russ. Dienste getretenen Herzogs von Richelieu, welcher von 1803–14 Gouverneur der Stadt war und nur gegen 8000 Einw., nach einem großen Maßstab abgesteckte Plätze und Straßen, allein blos einzeln stehende Häuser in O. vorfand, bei seinem Abgange aber gegen 40,000 Einw. verließ, beförderten das Aufblühen der Stadt, wo seinen Verdiensten 1828 eine eherne Bildsäule errichtet worden ist und das Lyceum Richelieu, welches der Herzog mit einem Theile seiner Einkünfte gründen half, sein Andenken ehrt. Die Bevölkerung von O. ist aus Einwanderern aus allen Theilen von Europa und Asien entstanden und 300 jüd. Familien fanden sich gleich anfangs meist aus Galizien ein. Die von meist zweistöckigen Häusern eingefaßten Straßen sind nicht gepflastert, sondern nur theilweise macadamisirt, daher im Sommer die Stadt fast beständig in einen seinen Staub eingehüllt ist. Ausgezeichnete Gebäude sind: die griech. Hauptkirche, die Admiralität, das Zollhaus, die Börse, das Theater, die weitläufigen Casernen. Von höhern Bildungsanstalten bestehen außer dem erwähnten Lyceum noch Handels- und Schiffahrtsschulen, eine Schule für morgenländische Sprachen und eine Fräuleinlehranstalt. Das mangelnde Trinkwasser erhält O. durch eine Wasserleitung. Es gibt dort wichtige Brauereien und Branntweinbrennereien und Fabriken in Tuch und Seide; die Ausfuhr besteht hauptsächlich in dem Getreide des mittlern Rußlands und ehemaligen Polens, in Talg und Häuten; eingeführt werden vorzüglich Wein und Colonialwaaren, außerdem Fabrikate aller Art; eine Bank trägt zur Erleichterung des Geldverkehrs bei. Die bestehende Quarantaineanstalt hat bei mangelhafter Verwaltung die Einschleppung der Pest im J. 1837 nicht gehindert. In der Umgegend haben sich deutsche Landleute, Bulgaren, Zigeuner, poln. und russ. Bauern angesiedelt und sie ist ziemlich malerisch, soweit die Gärten und Landhäuser der reichen Bewohner sich erstrecken, nachher aber eine öde Steppe. O. ist auch der beliebte Sommeraufenthalt der Gutsbesitzer im südl. Rußland und ihrer Familien, die dort zugleich Seebäder oder das in der Nähe befindliche Schlammbad brauchen können.