[642] Konstantinopel, die durch die Schönheit ihrer Lage berühmte Hauptstadt des türk. Reiches, heißt bei den Türken Stambul oder Istambol, bei den Morgenländern Konstantinia, bei den Walachen und Bulgaren Zaregrad, d.h. Königsstadt.
An ihrer Stelle stand ehemals die Stadt Byzanz, welche von einem Megarenser gebaut worden sein und nach demselben den Namen erhalten haben soll. Schon Byzanz war ihrer Lage wegen so berühmt, daß man die derselben gegenüberwohnenden Chersoneser die »Blinden« nannte, weil sie versäumt hatten, hier eine Stadt [642] anzulegen. Konstantin der Große übersah nicht, daß diese Stadt, welche Asien und Europa verband, und den am meisten von feindlichen Überfällen bedrängten Grenzen des röm. Reichs näher als Rom lag und dennoch selbst sicher war, sich besser zur Hauptstadt seines gewaltigen Reiches eigne, als das alte Rom. Mit verschwenderischer Pracht und ungeheuren Anstrengungen wurde daher die alte nicht eben bedeutende Stadt von Konstantin in kurzer Zeit zu einer der größten und prachtvollsten Städte erhoben, 330 n. Chr. feierlich eingeweiht und von ihm das »neue« oder »zweite Rom« genannt. Nach ihres großen Erbauers Tode wurde der von dem seinen abgeleitete Name Konstantinopel allgemein. Sie blieb nachher bis 1453 die Residenzstadt der oström. Kaiser. In diesem Jahre wurde sie von den Türken erobert und zur Hauptstadt des türk. Reiches gemacht. Die Stadt liegt auf einer in das Marmormeer hineinragenden Landzunge, die ein ungleichseitiges Dreieck bildet, dessen Grundlinie gegen Westen liegt. Ein 18,000 F. langer, an seiner schmalsten Stelle 1800 F. breiter Kanal liegt auf der Nordseite der Stadt und bildet den Hafen derselben, indem er zugleich die Stadt von ihren größern Vorstädten abschneidet. Wie das alte Rom liegt K. auf sieben Hügeln, auf denen es sich amphitheatralisch erhebt. Eine 14–20 F hohe dreifache Mauer, auf der Landseite überdies ein 25 F. tiefer Graben, 548 Thürme und einige andere Befestigungswerke dienen zum Schutze der Stadt, aus welcher sich sieben Thore gegen das Land, sechs Thore gegen das Meer und dreizehn Thore gegen den Hafen öffnen. Das merkwürdigste Landthor ist das Thor Topkapussy, weil hier der türk. Sultan Mohammed II. 1453 in die Stadt drang und der letzte griech. Kaiser Konstantin Al. den Tod fand. Unter den 16 Vorstädten sind Pera und Galata die merkwürdigsten. Sie liegen auf der Landspitze dem Serail gegenüber und werden von den fremden Gesandten und vielen europäischen Kaufleuten bewohnt. Ehe Pera im J. 1831 durch eine große Feuersbrunst verwüstet wurde, soll es an 200,000 Einw. gehabt haben. Galata ist ehemals von Genuesen angelegt worden und wird noch jetzt von vielen genuesischen Kaufleuten bewohnt. Die übrigen Vorstädte sind: Jenikapu, Topdschilar, Oktaktschilar, Nischandschi-Pascha, Dschömledsschilar, Ejub, Südlidsche, Piri-Pascha, Chaskoi, Rassin-Pascha, Tophana, Beschiktasch, Ortakoi, Kurutschesme. Auf Asiens Boden liegt die Stadt Skutari oder Eskiudar mit 40,000 Einw., wo sich viele Türken aus Konstantinopel begraben lassen, und welche häufig auch als eine Vorstadt Konstantinopels betrachtet wird. Vom Wasser aus betrachtet bietet Konstantinopel einen überaus großartigen Anblick dar, prachtvolle Gebäude erheben sich in unabsehbarer Menge und zwischen ihnen erblickt man herrliche Baumgruppen. Das Innere der Stadt ist aber keineswegs angenehm. Die Straßen sind eng, krumm, schlecht gepflastert und werden von niedrigen, hölzernen und geschmacklos gebauten Häusern gebildet. Nur die nach dem Thor von Adrianopel führende Straße ist ziemlich breit, lang und gefällig gebaut. Dabei herrscht überall eine ekelhafte Unreinlichkeit, und nur in dem Hafen und in der Nähe des Bazars bemerkt man ein reges, erfreulich thätiges Leben. In der Nacht sind alle Straßen und Plätze verödet, und es finden sich statt der Menschen große Heerden von Hunden und Raubvögeln ein, welche den auf die Straßen geworfenen Unrath verzehren. Ausgezeichnet erscheinen nur die großen prachtvollen Moscheen und die ausgedehnten Begräbnißplätze. Der Atmeydan, unter den griech. Kaisern Hippodrom genannte Platz, ist der merkwürdigste von allen öffentlichen Plätzen. Derselbe ist 500 F. lang und 300 F. breit und wird von mehren schönen Palästen, sowie von [643] der Moschee Sultan Achmed's begrenzt. Auf ihm steht ein 60 F. hoher, unter dem Kaiser Theodosius aufgestellter ägypt. Obelisk, welcher eine Kugel von Erz trägt, ferner die Schlangensäule und der 94 F. hohe Colossus stractilis. Das Serail, die Residenz des Großherrn, ist das wichtigste Gebäude. Dasselbe steht auf der äußersten Landspitze, hat drei Thore, ist nach der Seite der Stadt durch eine hohe Mauer abgegrenzt und wird auf den übrigen drei Seiten vom Meere eingeschlossen. Dasselbe hat einen Umfang von mehr als vier Stunden und umfaßt eine Menge von Moscheen, Gärten und Gebäuden, in denen gegen 20,000 Menschen Platz finden können, aber nur etwa die Hälfte dieser Zahl wirklich wohnen. An der Hauptpforte, welche mit einer starken Wache besetzt ist, sieht man häufig frisch abgeschlagene Menschenköpfe aufgesteckt. In einem abgesonderten Theile des Serails ist der Harem, der Wohnplatz der Frauen. Hier sind die Wohnungen der sieben Chatuns oder rechtmäßigen Frauen des Sultans, von denen jede gegen 200 Mädchen, Odalisken genannt, zur Bedienung hat. Auch befinden sich noch im Harem an 1400 Kebsweiber des Sultans. Eine ehemalige Favorite des Sultan, Kjâja chatun, d.h. Frauenaufseherin, genannt, ist die unumschränkte Beherrscherin des Harem, und sie sorgt in Verbindung mit dem Kislar Aga, dem Befehlshaber der schwarzen Eunuchen, auch für Unterhalt und Verpflegung des Harems. Zur Bewachung desselben dienen 300 schwarze und ebenso viele an Rang jenen nachstehende weiße Eunuchen. Zur Bedienung des Sultans sind die Itsch Oglans oder Itsch Agassys bestimmt, welche nach Rang und Beschäftigung in vier Kammern getheilt sind, von denen die vierte die Schatzkammer, Khasne Odassy, bildet. Jeder Sultan pflegt während seiner Regierung einen Schatz zurückzulegen, welcher unter seinem Namen abgesondert aufbewahrt wird. Nur in den dringendsten Nothfällen dürfen diese Schätze angegriffen werden. Zur Zierde des Serails dienen ferner die ungefähr 40 Stummen, Bisebân oder Dilßis, eigentlich die Hofnarren des Sultans, welche aber ehemals zur Vollziehung aller Todesbefehle im ganzen Reiche benutzt wurden; sowie die Zwerge, Giudsche, die um so höher geschätzt werden, je abscheulicher misgebildet sie sind. Eine angesehene Rolle im Serail spielen die in ihm den Dienst thuenden Kapidschi-Baschi's, die Kammerherren des Sultans, denen jetzt die Vollstreckung der Todesurtheile übergeben ist. Die Bostandschis ursprünglich Gärtner, bilden jetzt eine zahlreiche Dienerclasse. Sie haben zu ihrem Vorgesetzten den mit der Policei in dem Serail und in Konstantinopel beauftragten Bostandschi-Baschi. Auch die Balladschis (Holzhacker) sind eine zahlreiche Dienerclasse im Serail, ferner die Peiks und die Solaks, welche den Großherrn als Leibwache begleiten, wenn er das Serail verläßt. Im Serail wohnt auch die Walide-Sultanin, die Mutter des Sultans, welche großen Einfluß auszuüben pflegt. Andere kaiserl. Paläste außer dem eigentlichen Serail sind das Eski-Serail, in welchem die Frauen und Odalisken des letztverstorbenen Sultans aufbewahrt werden; das Tekir-Serail, der ehemalige Palast Konstantins, welcher größtentheils in Trümmer zerfallen ist, u.a. Wichtig ist das Schloß der sieben Thürme an der Südwestseite der Halbinsel ohnweit vom Meere. Dasselbe hatte ursprünglich sieben Thürme, zu denen später noch ein achter kam. In Folge von Erdbeben sind fünf von diesen Thürmen eingestürzt. Die Anzahl der Moscheen in K. soll 485 betragen, und dazu kommen noch an 5000 Medscheds oder Bethäuser. Die prachtvollste Moschee ist die hier abgebildete Aja Sofia, einst die herrlichste christliche Kirche, von Kaiser Justinian erbaut. Dieselbe ist 269 F. lang, 243 F. breit, hat eine von vier Granitsäulen getragene elliptische Kuppel und 170 Marmorsäulen,[644] darunter sechs Säulen von grauem Jaspis, welche einst das Dach des berühmten Tempels der Diana zu Ephesus trugen. Der Fußboden und die Treppe sind von Marmor. Ein Meisterwerk orientalischer Baukunst ist die 1550 erbaute Moschee Soleymanie, welche eine Breite von 210 F und eine Länge von 216 F. hat. Bei den meisten Moscheen sind prachtvolle Grabmale für die Stifter derselben und ihre Nachkommen angebracht, auch stehen mit ihnen Wohlthätigkeitsanstalten, als Hospitäler, Herbergen, sowie Schulen und Bibliotheken in Verbindung. Die griech. Christen haben in K. 24, die röm.-katholischen 9, die armenischen 3 Kirchen, und die Juden haben mehre Synagogen. Von höhern Lehranstalten, Medresse genannt, in denen die Schüler den Unterricht unentgeltlich erhalten, zählt K. 518, und Kinderschulen, Mechteb genannt, soll es 1285 geben. Andere Bildungsanstalten sind 11 Akademien, in welchen Vorlesungen über Astronomie, Geometrie, Geographie, Fortification, Artillerie, Schiffahrtskunde gehalten werden; ein griech. Gymnasium, 37 öffentliche Bibliotheken, welche nur Handschriften enthalten. Man findet auch mehre türkische, armenische und jüdische Buchdruckereien. Unter den öffentlichen Gebäuden zeichnen sich die vortrefflich eingerichteten Bäder aus. Unter den 630,000 Einw. K.'s sind nicht ganz die Hälfte Türken, 120,000 Griechen, 90,000 Armenier, 50,000 Juden und das übrige Franken, unter welchem Namen alle Europäer begriffen werden. Die Juden wohnen sämmtlich in der Vorstadt Piri-Pascha, woselbst sie ihre eigne Obrigkeit haben und eine Art von Republik bilden. K. ist der Sitz aller obersten Behörden des türk. Reiches, eines griech. Patriarchen, eines katholischen und eines armenischen Erzbischofs. – Manufacturen und Fabriken gibt es in K. nur wenige. Es werden seidene und baumwollene Zeuche, türk. Rothgarn und Leder verfertigt. Auch gute Gold- und Silberarbeiter, Steinschneider und Waffenschmiede gibt es. Der Handel wird durch den vortrefflichen Hafen begünstigt, welcher 1200 Schiffe zu fassen vermag. Feuersbrünste und Erdbeben haben häufig die Stadt verwüstet und ebenso schrecklich ist sie öfters von der Pest heimgesucht worden, die sich fast jährlich einstellt. – – Merkwürdige Orte in der nächsten Umgebung K.'s sind die schon erwähnte Vorstadt Ejub, wo eine Moschee liegt, in welcher der Sultan bei seinem Regierungsantritt feierlich mit dem Schwerte umgürtet wird; Belgrad, wo sonst die Gesandten im Sommer zu wohnen pflegten, ehe sie es wegen seiner ungesunden Luft verließen; Dulmah Baktsche mit einem großherrlichen Palast in chines. Geschmack; Beschiktasch mit einem Sommerpalast des Großherrn, der 1816 fast ganz abbrannte; Bujukdere, d.h. großes Thal. Dieser Ort liegt in einem reizenden Thale auf der asiat. Küste des Bosporos, unsern vom schwarzen Meere. Das Thal ist eine Fortsetzung des vom Bosporos in Form eines Halbzirkels gebildeten saronischen Busens. Üppige Wiesen dienen zu den anmuthigsten Spaziergängen. Auf dem untern Theil, welcher vorzugsweise die Wiese heißt, soll sich Gottfried von Bouillon mit den ihn begleitenden Kreuzfahrern 1096 gelagert haben. Eine herrliche Baumgruppe von sieben Platanen, Jedi kardasch, d.h. »die sieben Brüder«, genannt, steht auf dieser Wiese. In dem Orte Bujukdere wohnen im obern Theile die fremden Gesandten, im untern Griechen, Armenier und einige Türken. Die Häuser, an einer ziemlich langen Kunststraße gelegen, sind meist im europ. Geschmack gebaut, und an dem schönen Quai, welcher den herrlichsten Spaziergang darbietet, liegen die Paläste mit ihren Gärten, unter denen sich der des russ. Gesandten auszeichnet. – Historisch merkwürdig ist K. noch durch die in den ersten Jahrhunderten nach Ausbreitung des Christenthums im röm. Reiche hier abgehaltenen allgemeinen Kirchenversammlungen, durch welche die Ausbildung der Kirchenlehre wesentlich bestimmt worden ist. Die erste 381 war gegen die Gegner des nicäischen Glaubensbekenntnisses gerichtet; die zweite 553 verketzerte mehre des Nestorianismus verdächtigte Bischöfe; die dritte 681 im trullanischen Palaste verdammte die Lehre der sogenannten Monotheleten; die vierte 691 gleichfalls im trullanischen Palaste gab strenge Kirchengesetze für den Klerus, welche aber von der latein. Kirche nicht angenommen wurden; die fünfte 754 wurde von der röm. Kirche nicht beschickt und nicht anerkannt. Sie eiferte gegen die Bilderverehrung, aber ihre Beschlüsse wurden durch die entgegengesetzten der Kirchenversammlung von Nicäa 787 aufgehoben.
Buchempfehlung
Das Trauerspiel um den normannischen Herzog in dessen Lager vor Konstantinopel die Pest wütet stellt die Frage nach der Legitimation von Macht und Herrschaft. Kleist zeichnet in dem - bereits 1802 begonnenen, doch bis zu seinem Tode 1811 Fragment gebliebenen - Stück deutliche Parallelen zu Napoleon, dessen Eroberung Akkas 1799 am Ausbruch der Pest scheiterte.
30 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro