[392] Territŏrium nennt man den Grund und Boden, welcher das Gebiet einer Herrschaft ausmacht, vorzugsweise das Staatsgebiet. Da die Beschaffenheit des Gebiets auf die ganze Verwaltung und Gesetzgebung eines Staats von wesentlichem Einfluß ist, da namentlich eine Abrundung des Gebietes innerhalb fortlaufender und durch die Natur möglichst befestigter Grenzen die Macht und Sicherheit eines Staats mehr oder weniger bedingt, so hat der Staat eine natürliche Pflicht, dieselbe zu erstreben; und da mit einer Erweiterung des Gebiets auch eine Erweiterung der Macht in vielen Fällen verbunden ist, so hat der Staat ein natürliches Streben nach derselben. Insofern nun hierdurch die Politik des Staats modificirt ist, spricht man von einer Territorialpolitik. Diese hat sich besonders innerhalb des deutschen Reiches für dieses verderblich geltend gemacht. Da nämlich einzelne deutsche Staaten durch Erweiterung ihrer Macht in außerdeutschen Ländern dem Interesse Deutschlands immer mehr entfremdet wurden, und so der innere Zusammenhang der deutschen Herrschergebiete immer lockerer wurde, so sahen sich schon hierdurch auch die andern deutschen Staaten genöthigt, nach einer größern Selbständigkeit zu streben und ihr Territorialinteresse wahrzunehmen. Jeder deutsche Herrscher suchte sein Gebiet zunächst zu erweitern, um einen desto größern Anspruch auf Selbständigkeit zu gewinnen. Als aber darauf die kriegerischen Ereignisse des letzten halben Jahrhunderts das so zerstückelte deutsche Reich immer machtloser erscheinen ließen, als aus dem angegebenen Streben Zerwürfnisse im Innern desselben endlich seinen Untergang herbeiführten und dem Feinde ein leichtes Spiel in der willkürlichsten Behandlung der deutschen Staaten gewährte, mußte man zu der Einsicht kommen, daß Deutschland selbst nur für die Dauer bei seiner Freiheit erhalten werden könne, wenn der Territorialpolitik bestimmte Grenzen angewiesen würden und wenn jeder einzelne Theil des Staatenbundes, welcher das Gesammtinteresse Deutschlands für die Folge vertreten sollte, durch eine möglichst seinem Vortheile gemäße Abrundung seines Territoriums eine höhere innere Festigkeit erhielte. Dieses führte zu Verhandlungen über Territorialausgleichungen, deren Folge war, daß viele Landgebiete neue Herren bekamen. Gegen diese Ausgleichungen haben sich und zwar auf gute Gründe gestützt, viele misbilligende Stimmen erhoben, es wurde durch dieselben in vielen Gegenden, welche sie betrafen, Misstimmung hervorgerufen; doch läßt sich nicht leugnen, daß sie zur Erhaltung sowol der einzelnen Staaten als des ganzen Deutschlands nöthig waren. – Territorialsystem hat man vorzugsweise diejenige Ansicht genannt, nach welcher die Kirche streng an das Territorium des Staats gebunden sein soll, in der Weise, daß sie dem Staate völlig untergeordnet sei und sich im Staatsoberhaupte nicht nur die höchste Gewalt in weltlichen, sondern auch in kirchlichen Dingen vereinige. Mit Recht hat man gegen die einseitige Durchführung dieses Systems das höhere Ansehen der Kirche als einer von Gott selbst gestifteten, auf Offenbarung beruhenden Heilsanstalt geltend gemacht, nach welcher die Religion den Menschen in geistiger Hinsicht über alle territoriale Beschränkung erhebt.