[379] Cholera wurde häufig von den Aerzten diejenige Krankheit genannt, welche mit Brechen und Diarrhöe auftrat, die Organe des Unterleibes angriff, dabei aber nur selten tödlich wurde. Seit einigen Jahren aber ist mit diesem Namen ein gefährliches und tödliches Uebel benannt worden, welches in unsrer Zeit aus jener gutartigen Krankheit sich erzeugt hat, und, die Welt durchlaufend, zum Schreckenslaute für die Menschheit geworden ist, indem bis jetzt über zehn Millionen durch sie getödtet worden sind. Ein geheimnißvolles Dunkel waltet über dem Entstehen aller epidemischen Krankheiten, die ohne besonders klare Ursachen sich erzeugen und in verderblichen Wanderungen die verschiedensten Geschlechter der Erdbewohner heimsuchen, um in ihren Reihen zu wüthen. Fast wäre man versucht, in den alten Wahn von einem Ahriman und Ormuzd zu verfallen, und das Dasein eines mit dem guten streitenden bösen Princips zu glauben, denn kaum hatte der kühne [379] Geist über das schmachvolle Leiden der Pocken zu triumphiren begonnen, als auch schon das neue Uebel verheerend aus dem Osten, der Wiege des Menschengeschlechts, dem Sitze seines Paradieses, dem Quell der menschlichen Leiden seit den Tagen der Schöpfuug, dem Ursprungsorte aller bösartigen Krankheiten, auftauchte, um das Triumphgebäude der lebenerhaltenden Wissenschaft, wie einst den himmelanstrebenden Thurm, zu vernichten, und die ungemeßne Zahl der Opfer zu fordern, welche die Kunst und vielfältige segensreiche Einrichtungen dem Geiste des Verderbens abtrotzten. Langsam wandelten noch die Blattern über die schwächer bevölkerten Theile der Erde mit gewaltigem Riesenschritte aber die orientalische Brechruhr durch die gestiegne Menschenzahl, und wie Regen und Hagel schlug sie am verderblichsten ein in die dickste Saat. Hier ist nicht der Ort, die Bemühungen der Aerzte zu verfolgen, welche die Natur des Uebels zu ergründen strebten, noch zu erforschen, wie sie vom örtlichen Uebel Indiens zum allgemeinen Weltübel sich erheben konnte. Nur in der Kürze ist es erlaubt, ein Uebel zu beleuchten, das, wie alle Krankheiten die Phasen der Zunahme und Abnahme zu durchlaufen hat, bis es spätere Zeiten einst werden verschwinden sehen. Seit 1817 von englischen Aerzten geschildert, wurde die gewöhnliche Brechruhr unter klimatisch-tellurischen Bedingungen, worunter eine große Hitze und feuchte Emanationen stehender Gewässer, vielleicht auch das gleichzeitige Schmelzen ungeheurer Flächen des ewigen Polareises obenan stehen, zu dem vielartigen Uebel, welches wir jetzt Cholera morbus nennen, und das häufig ohne die eigentlichen Hauptmomente der Krankheit, Brechen und Abweichen, tödtlich werden kann, mit oder ohne Krämpfe in wenigem Stunden oder nach Tagen erst verläuft und überhaupt die unendlichste Verschiedenheit der Symptome an den verschiednen Individuen zeigt. Unter den glücklichen Himmelsstrichen, wo die Menschen von besserer Nahrung leben, erreichte sie nur in einzelnen Fällen ihre vollendete Schrecklichkeit und hinsichtlich der Sterblichkeit ihre volle[380] Wirkung. Sie findet dagegen in allen Klassen Opfer, die sie für die Verachtung eines regelmäßigen Lebens bestraft. Nicht bloß der arme, in elender Hütte, unreiner Luft, bei unverdaulicher, schlechter und durch den Genuß des Branntweins vergifteter Nahrung lebende Mensch auch der üppige Bewohner der Paläste, auf seidnem Pfühl ruhend, umgeben von allen Wonnen des Lebens, wird ihr zur Beute. Aber nicht nur jene Ursachen, sondern auch tiefeingreifende Leidenschaften, übertriebene geistige Anstrengungen und Seelenleiden stimmen die Organe des Unterleibes, besonders die gallerzeugende Function der Leber, krankhaft und zur Erregung geneigt; neben dem Armen und dem Schlemmer ist auch der körperlich geregelt, aber geistig unmäßig Lebende, der Ehrsüchtige, der Zänker, der giftig Zornige, der Kummergebeugte und der tief Leidenschaftliche gleich fähig zu erkranken. Die Frage: ob die Cholera ansteckend sei, hat zu vielen Erörterungen Veranlalassung gegeben und noch sind die Aerzte darüber nicht einig. Nach den Beobachtungen vorurtheilsfreier Männer ist sie nicht ansteckend, und wenn einzelne Beispiele dagegen zu sprechen scheinen, so muß man erwägen, daß viele Menschen denselben ursächlichen Momenten unterworfen sind, und Viele durch die Nähe eines Cholerakranken leicht in die zur Entstehung erforderliche Stimmung versetzt werden. Das Krankheitsbild ist im Allgemeinen folgender Art: Nach kurzem Uebelbefinden und Störungen der Verdauung, besonders mehrtägigem unbedeutenden und leichten Abweichen entsteht heftiges Erbrechen und Absonderung schleimiger Theile in bedeutender Menge. Dabei tritt Beklemmung des Herzens ein, Kälte der Haut, schwache und heisere Stimme, örtliche und allgemeine Krämpfe und Zuckungen, ein gewisses Absterben der Haut, die runzelig, todtenfeucht und bläulich wird, und wobei der Puls schwach, oft nicht fühlbar ist, der Kranke ist unruhig, wirft sich umher und die Function der Nieren erscheint geschwächt. Die einmal überstandene Krankheit schützt[381] Ausbruche der Seuche. , Nicht das ängstlich dürftige Leben und das Entwöhnen von kräftig stärkender Nahrung schützt dagegen, sondern begünstigt vielmehr die krankhafte Neigung. Vor sehr erhitzenden Gewürzen, reizenden Speisen, wie die geräucherten und gesalznen Delicatessen des Auslandes, vor Liqueur, besonders aber vor allen Gemüthsbewegungen hüte man sich. Ebenso sind kindische Angst, aufbrausende Stimmung, Zorn, Aerger, fortwährendes Vorführen trauriger Bilder; große körperliche Anstrengungen, wie heftiges Tanzen; Erkältungen, ungesunde Stubenluft, vieles Sitzen zu scheuen. Ein ruhiges Gemüth, häufige Bewegungen in der freien Luft, angemessene warme Bekleidung, fleißiger Genuß des kalten Wassers und eine gesteigerte Reinlichkeit bewahren am besten vor dem '-gefürchteten Uebel. Nächstdem vernachlässige man auch das kleinste Uebelbefinden nicht in der Zeit der Epidemie; ohne furchtsam zu sein, beobachte man Vorsicht und ein zeitig genommenes Brechmittel, welches die vielfach erregende, reichlich vorhandene Galle ausführt, Verschlucken von Eispillen, Trinken von kaltem Wasser, und Umschläge und Waschungen mit demselben, warme Einreibungen, kurz Alles, was die Hautthätigkeit anregt, werden sich immer heilsam erweisen. Die Cholera hat nach ihrem verschiedenartig sich äußernden Charakter verschiedene Namen. Die bei uns und vorher bekannt gewesene, gutartige Brechruhr hat man Cholerine genannt, und sie verhält sich zu jener wie die junge Pflanze zum ausgewachsenen Baume. Der Name Cholera aber kommt vom griechischen Worte Chole, Galle, her, weil die Alten, gewiß mit dem größten Rechte diese Krankheit, als von abnormer Gallbereitung herrührend ansahen. Merkwürdig ist es, daß die Influenza (s. d.) häufig ein Vorläufer der Cholera gewesen ist, und viele ähnliche Symptome im verjüngten Maßstabe gezeigt hat.
D.