Cholera

[88] Cholera (griech., Brechruhr), eine Infektionskrankheit, von der man die echte oder asiatische C. und die bei uns heimischen Formen der C. nostras unterscheidet. Die asiatische C. wird durch den von Robert Koch 1883 entdeckten Bazillus C. (Kommabazillus, s. Tafel »Bakterien«, Fig. 14) hervorgerufen. Die Infektion erfolgt durch den Darmkanal. Die Bazillen werden mit Nahrungsmitteln, Trinkwasser etc. verschluckt, passieren den Magen unverändert, wenn dort nicht viel Salzsäure sezerniert wird, und gelangen in den Darm, wo sie sich reichlich entwickeln, ohne aber weiter in den Körper einzudringen. Sie rufen heftige Diarrhöen und Erbrechen hervor. Die sonstigen Krankheitssymptome, welche die C. zeigt, sind durch Wasserverarmung oder Resorption von im Darmkanal durch die Tätigkeit der Bazillen gebildeten Giften zu erklären. Die C. steckt nicht direkt von Person zu Person an. Die Verbreitung der C. erfolgt vielmehr, da die Infektionserreger durch Stuhl und Erbrechen entleert werden, durch Verunreinigung der Nahrungsmittel mit diesen Dejekten. Die Bazillen erhalten sich außerhalb des Körpers in feuchtem Zustand einige Zeit. Austrocknung tötet sie rasch. Gefährdet sind in erster Linie die Menschen, die mit den Dejekten der Kranken zu tun haben, die z. B. beschmutzte Wäsche waschen und sich danach nicht genügend desinfizieren. Die Cholerabazillen können ferner mit Nahrungsmitteln, z. B. Milch, Obst, eingeführt werden; die bei weitem wichtigste Infektionsmöglichkeit aber ist die Verunreinigung des Trink- und Nutzwassers mit Bazillen. Es erklärt sich dadurch auch das sprungweise Auftreten. Wird z. B. die Wasserleitung einer Stadt, wie 1892 in Hamburg, mit denselben verunreinigt, so tritt die Krankheit in den von dieser Wasserleitung versorgten Gebieten geradezu explosionsartig auf. Gegenüber dieser jetzt allgemein angenommenen Auffassung war Pettenkofer der Ansicht, daß die von Cholerakranken entleerten Keime erst in einen örtlich und zeitlich besonders disponierten Boden gelangen müßten, um infizieren zu können. Diese Disposition sei durch den jeweiligen Stand des Grundwassers in erster Linie gegeben. Wenn auch die Pettenkofersche Theorie, namentlich auf Grund seines berühmten Selbstversuchs (Pettenkofer und Emmerich aßen Cholerabazillen und erkrankten beide) abgelehnt werden muß, so ist doch zuzugeben, daß bei Epidemien in den Entleerungen anscheinend gesunder Menschen Cholerabazillen gelegentlich gefunden worden sind. Die asiatische C. ist in Indien, und zwar im Gangesgebiet, einheimisch. In Europa ist sie bisher in sechs großen Epidemien aufgetreten (1823, 1829–37, 1847–57, 1865–73, 1882–87, 1892–93). Es steht zu hoffen, daß ein nochmaliges Einbrechen, da man die Wege der Infektion kennt. ebenso oder noch besser lokalisiert werden kann, als das bei der letzten Hamburger Epidemie der Fall war. Die wichtigste Abwehrungsmaßregel ist die sofortige Isolation an C. Erkrankter, die aus einem verseuchten Gebiet zureifen, es muß daher der Verkehr beaufsichtigt werden; es hat aber keinen Zweck, gesunde Menschen aufzuhalten und den Verkehr überhaupt zu unterbrechen.

Der Krankheitsverlauf kann je nach Menge und Virulenz der Bazillen ein recht verschiedener sein. Der typische Verlauf ist etwa folgender. Nachdem einige Tage Durchfall, sogen. prämonitorische Diarrhöe, bestanden hat, häufen sich plötzlich die flüssigen Entleerungen enorm, es tritt daneben Erbrechen ein. Die Entleerungen verlieren rasch ihre kotige Beschaffenheit und werden Reiswasser oder Mehlsuppen ähnlich. Die Kranken haben starken Durst, können ihn aber wegen des anhaltenden Erbrechens nicht stillen. Durch den starken Flüssigkeitsverlust verfallen die Kranken rasch, sie trocknen förmlich aus. Die Züge werden spitz, die Stimme wird heiser (vox cholerica). Krampferscheinungen, namentlich Wadenkrämpfe, treten auf. Die Urinsekretion ist minimal, auch andre Sekretionen (Schweiß, Speichel, Tränen) stocken. Die Temperatur sinkt bis zu subnormalen Werten. Die Kranken werden stark benommen und pulslos (stadium asphycticum). In diesem Stadium sterben eine Reihe von Kranlen etwa 1–2 Tage nach Einsetzen des Anfalles. Andre erholen sich, die Durchfälle und das Erbrechen lassen nach, die Sekretionen kommen wieder in Gang, der Puls wird wieder fühlbar; aber auch dann sind die Kranken noch nicht außer Gefahr, denn nun tritt häufig entweder ein fieberhafter Zustand, der wohl durch Vergiftung mit Choleratoxinen bedingt ist, das Choleratyphoid, ein, oder es tritt eine schwere Nierenerkrankung, die Choleranephritis, auf und führt die Kranken unter urämischen Erscheinungen zum Tode. Die Sterblichkeit der ausgebildeten Fälle beträgt 40–50 Proz. Außer dieser geschilderten Form kommen leichtere vor, die sich nur durch Diarrhöe äußern, Choleradiarrhöe, oder die nur zu Erbrechen und starker Diarrhöe, aber ohne Entwickelung des asphyktischen Stadiums, führen (Cholerine) und binnen wenigen Tagen genesen. Anderseits kommen sehr schwere Fälle vor, in denen der Kranke, noch ehe es eigentlich zu stärkern Diarrhöen kommt, unter den Zeichen schwerster Vergiftung binnen wenigen Stunden stirbt (C. siderans).

Die Behandlung der Cholerakranken sucht die Durchfälle und das Erbrechen durch zweckmäßige Medikamente einzuschränken, die Tätigkeit des Herzens anzuspornen und den Flüssigkeitsverlust zu ersetzen. Zu letzterm Zwecke haben sich namentlich große Einläufe mit Tannin bewährt (Enteroklyse nach Cantani) und ebenso die subkutane oder intravenöse Infusion einer physiologischen Kochsalzlösung (Hypodermatoklyse). Eine Serumbehandlung ist praktisch noch nicht genügend erprobt. Mitunter hat man[88] von heißen Bädern oder andern hydrotherapeutischen Verfahren, z. B. Frottierungen mit Eis, Erfolge gesehen, doch sollten dieselben bei einer so gefährlichen Erkrankung nur auf ärztlichen Rat angewendet werden. Ist C. in einem Bezirk ausgebrochen, so ist vor allem vor sinnloser Angst zu warnen. Es ist zunächst natürlich jeder Kranke tunlichst zu isolieren, und seine Dejektionen sind durch zuverlässige Desinfektion unschädlich zu machen, ebenso ist für Desinfektion der Wäsche Sorge zu tragen. Jeder Cholerafall ist ungesäumt anzuzeigen, auch verdächtige Fälle sind streng zu beobachten. Nach Möglichkeit wird man der Quelle der Infektion nachgehen. Verdächtige Brunnen und Leitungen sind zu sperren oder wenigstens das Wasser nur im abgekochten Zustande zu benutzen, ebenso ist der Verkauf von Lebensmitteln, die mit Cholerakranken in irgend welche Berührung kamen oder kommen konnten, zu verbieten, also z. B. Milch, Gemüsehandlungen, unter deren Personal Erkrankungen vorkamen, zu schließen. Ganz besonders ist aber Wert auf die persönliche Prophylaxe zu legen. Vor jeder Mahlzeit soll man sich zuverlässig die Hände reinigen, man soll sich vor allen Exzessen in Speise und Trank hüten, die zu Verdauungsstörungen führen könnten, beim Auftreten solcher aber sich sofort an den Arzt werden. In Ländern, in denen C. endemisch herrscht, hat man anscheinend mit Erfolg einen Impfschutz durch Impfung mit abgetöteten Bazillen nach Hafkine versucht, der wenigstens einige Monate Sicherheit zu bieten scheint. Zur sichern Erkennung der C. benutzt man zwei Arten von Serum, ein bakteriologisches, aus Kaninchenblut gewonnen, und ein agglutinierendes, aus Pferdeblut.

Die C. nostras stellt einen sehr heftigen, wahrscheinlich gleichfalls infektiösen Magendarmkatarrh dar, der vorzugsweise in den Sommermonaten auftritt und sogar in endemischer Form vorkommt. Näheres s. Brechdurchfall. Akute Arsenikvergiftung kann einen Cholerafall vortäuschen, und an isoliert auftretenden Fällen muß man auch diese Möglichkeit in Betracht ziehen.

Vgl. außer Pettenkofers Arbeiten: Kochs Arbeiten in der Denkschrift der Cholerakommission für das Deutsche Reich (Berl. 1873). im Berichte der Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage (das. 1884), in der »Deutschen medizinischen Wochenschrift« (1881,1885 u. 1886) und in den Arbeiten aus dem kaiserlichen Gesundheitsamt (Bd. 3, 1888); Riedel, Die C. (Berl. 1887); Fayrer, Geschichte und Epidemiologie der C. (Münch. 1889), mit Beiträgen von Erni-Greiffenberg (C. in Indien), Schuster (Quarantänen), Cramer (Ätiologie); Flügge, Verbreitungsweise und Abwehr der C. (Leipz. 1893); »Die C. im Deutschen Reich 1892–1893« (Berl. 1891, 5 Hefte von Gaffky, Kübler und Wutzdorff); »Amtliche Denkschrift über die Choleraepidemie 1892« (das. 1892); Klemperer, Untersuchungen über Infektion und Immunität bei der asiatischen C. (das. 1894); »Maßnahmen gegen die C.« (das. 1893); Reincke, Die C. in Hamburg und ihre Beziehungen zum Wasser (Hamb. 1894); Wolter, Das Auftreten der C. in Hamburg 1831–1893 (Münch. 1898).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1906, S. 88-89.
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