Ohrringe

[2] Ohrringe waren schon in den ältesten Zeiten ein sehr bekannter und beliebter Putz der Frauen und wurden selbst hier und da von Männern getragen. Ihre Formen, tausendfach verschieden, kehren dennoch fast überall wieder zu dem einfachen Ringe mit irgend einem beliebigen Anhange zurück; und wenn wilde Nationen z. B. runde Holzstücke durch ihre, von Kindheit auf dazu gewöhnten, Ohrläppchen zwängen und diese dadurch bis auf die Schultern herabdehnen (man sehe die Kupferplatten zur brasilianischen Reise des Prinzen von Neuwied), Andere, wie die Bewohner der Neujahrsinsel, Rollen von Schildpatt auf gleiche Weise einstecken, so kann man dieß wohl füglich nicht Ohrringe nennen. Die Indier, unter denen beide Geschlechter diesen Schmuck anlegen, ersetzen das Gold und Silber, aus dem er gemeiniglich gefertigt erscheint, zuweilen mit den zarten Fasern, Ranken und Staubfäden gewisser Pflanzen, und nicht immer klirrt das starre Metall zum Tanze der Bajaderen, sondern die am Ohr befestigte Lotosblume oder die duftreiche Rose von Bengalen schüttet bei der raschen Bewegung ihren Blüthenstaub auf der Tanzenden Schulter. Auch die Chinesinnen, denen der goldne, Kleinodien tragende Ohrring keineswegs fremd ist, tragen statt seiner nicht selten irgend eine Prachtblume ihrer phantastischen Pflanzenwelt. Dabei zeigt sich überall, vom Ganges bis zum Seine- und Themsestrande, die Ei- und Birnenform der Anhänge zu Ohrringen am wiederkehrendsten, und schon die Griechin und Roms prunksüchtige Domina zog diese den Perlen entlehnte allen übrigen vor. Münzen, Gemmen, Statuen aus jenen Zeiten auf uns vererbt, zeigen vielfach die zierlichsten Ohrgehänge, und beweisen, daß Alles, was unsere [1] Moden in der Art Neues zu bieten versuchen, schon vor Jahrhunderten, und zwar in größerer Vollkommenheit, da war. Die Alterthumsforscher haben nicht verschmäht, die mannigfachsten Formen dieser Zierathen an verschiedenen Götterbildern etc. zu beschreiben, und wir ersehen aus solchen Schilderungen, daß die am Ohrring schwankende, goldene Weintraube, die Eichel, der pyramidalisch geschliffene Edelstein und vorzüglich die mannigfaltig gruppirten Perlen schon ehemals demselben Zwecke dienten. Das Einzige, was uns unbekannt dünken dürfte, sind die Ohrringe, welche eine Statue der Here im Tempel zu Olympia trug. Sie bestanden aus horizontalen Stäbchen, an denen das zweite Glied senkrecht hing. Seinen obern und untern Theil bildeten Perlen, die Mitte ein ovaler Edelstein. Drei nebeneinander hängende Glockenperlen machten einst zu Rom den Lieblings-Ohrschmuck der vornehmsten und reichsten Damen aus. Man nannte sie ihrer Kostbarkeit halber Elenchen, und der liebenswürdig-launige Antiquar Böttiger übersetzte dieß Wort durch »Respectsperlen, Respectsvermeider.« Das königliche Museum zu Neapel ist im Besitze einer großen Menge antiker Ohrgehänge, die aus den wieder aufgegrabenen Städten Herkulanum und Pompeji zu Tage gefördert wurden. Am abweichendsten von den gegenwärtig gebräuchlichen erscheinen darunter goldene, in der Mitte einen Edelstein fassende Scheiben, die ringsum mit Perlen besetzt sind und als Anhängsel noch eine oder mehrere Perlen haben. Wieder Andere stellen Kugeln aus Filigranarbeit vor etc. Kleine goldene Waagen, Räderchen und allerlei dem Pflanzenreich entlehnte Gegenstände bildeten ebenfalls Ohrringe, und selbst kleine Figuren wurden statt pendeloques eingehängt. Das in dem Artikel Halsschmuck erwähnte Halsband der Isispriesterin hat zwei dergleichen Ohrgehänge. Es sind kleine Harpokratesbildsäulen aus Bronze. Am berühmtesten in der alten Welt waren die kostbaren Perlen der Cleopatra, von denen sie die Eine, bekanntlich vermöge einer Wette mit Antonius, in Essig aufgelöst[2] trank. Ihr Werth belief sich auf 300,000 Thaler. Die zweite kam nach dem tragischen Ende dieser Königin in den Besitz des römischen Feldherrn Agrippa, welcher das Pantheon erbauen ließ und die in zwei Hälften getheilte Ohrglocke einem herrlichen Venusbilde in demselben anhing. Selbst so getheilt galt sie noch als das Prächtigste, was man damals kannte. Jetzt gibt es, die russischen Kronjuwelen ausgenommen, wohl kaum irgendwo mehr Prunk der Art als in den Harems der morgenländischen Großen, und unsere Fürstinnen würden erstaunen beim Anblicke der Ohrgehänge, die dort oft nur Sclavinnen tragen; aber auch die Perserinnen und die Frauen der Khane und Sultane, ziehen den hängenden Edelstein und die am Ohrringe schwankende Perle jeder sonstigen Façon des Gehänges vor. Wir scheinen jetzt, wie die Galanterie- und Juwelenläden bezeugen, ebenfalls nur diesem guten Geschmacke zu huldigen, und werden hoffentlich nicht mehr zu den Kronleuchtern und auf die Achseln hängenden Schiffchen von 1700–1800 zurückkehren. Noch vor wenig Jahren zwar gab es in Eisenguß und Bronze so große, vielgegliederte Ohrgehänge, daß sie diesen an Umfang kaum nachstanden; allein sie verschwanden bald und machten zierlicheren Platz. Erwähnenswerthe Einfälle von damals waren die kleinen birnenförmigen Ballons von dünnem Glase, in welchen sich ganz seine, winzige Blümchen befanden, und dann die als hängende Pyramide angereihten Haferkörner von Bronze. Noch früher trug man einmal, ziemlich geschmacklos, Glockenspiele und kleine im Ringe befestigte Uhren, auch viele in einander schwankende Reisen von Gold und sogar Fischbein. Miniaturgemälde in die Ohren zu hängen war Mode, als man den emaillirten Schmuck liebte; Plättchen mit allen nur denkbaren Verzierungen kamen zugleich en vogue und Kameen fehlten ebenfalls nicht. Jetzt sieht man Letztere nur noch von Korallen und zieht die sogenannten Ohrglocken, es sei in Edelsteinen oder Glasfluß, jeder andern Form vor. Wo es darauf ankommt mehrere kleinere Steine zu einem[3] gefälligen Ganzen zu vereinen, da erfindet der geschickte Juwelier stets neue Zusammenstellungen, und als eine der hübschesten dieses Genres erinnern wir uns der Ohrringe einer schönen, reichen Polin, die als obern Theil mit dem Ringe verbunden, die Blüthe der Akazie aus Brillanten vorstellten; das Anhängsel war das Blatt desselben Baumes, und an demselben die gefiederten, von Brillanten zusammengestellten, Seitenblättchen so befestigt, daß sie sich leicht bewegten. Den entschiedensten Contrast mit diesem Glanze geben die einfachen Körbchen, die ehedem, eine Passion der Damen, aus Kirschkernen geschnitzt und in die Ohrringe gehängt wurden; die Erdbeeren von Korallen, Pasten und bloßem Glas, so wie die geöhrten Seeschnecken, Perlmutterfiguren etc. gehören in dieselbe Kategorie, und mit ihnen die Kreuze aller Art. Zuletzt noch zwei hierher gehörige, wohlgemeinte Winke für junge Damen: Brünetten sollten stets scheuen, den jetzt besonders gesuchten Amethyst als Ohrglocke zu tragen, weil er häßliche, dunkle Reflexe auf die Haut wirft, wodurch jeder nicht blendend weiße Hals entstellt wird. Dasselbe gilt, nur noch im erhöhtern Grade, von allen blauen Glocken, die billig verworfen werden sollten, weil sie selbst die weißeste Haut gelb färben. Irrig ist es endlich zu glauben, man müsse durchaus, wenn die Ohrläppchen durchstochen worden sind, zuerst bleierne Ohrringe tragen, um das Heilen der Wunde zu befördern. Aechte goldene Ringe können unbedingt augenblicklich angelegt werden, und jene Vorsichtsmaßregel betrifft nur Solche, die in deren Ermangelung Galanteriegold tragen wollen.

F.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 8. [o.O.] 1837, S. 1-4.
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