Utrecht

[281] Utrecht. Das herrliche Glockenspiel der utrechter Domkirche begrüßt eben unter unsern Füßen den Morgen mit einem kräftigen Choral. Wir stehen auf der Galerie des hohen Domthurmes und schwelgen in der Aussicht, die sich eben beim Aufgang der Sonne vor unsern Augen ausbreitet. Malerisch liegt das alte, berühmte U., die Hauptstadt der holländischen Provinz gl. N., einst die erlauchte Genossin der 7 freien niederländischen Staaten, längs den Ufern des krummen Rheins ausgestreckt. Reges Leben wogt in dem Freihafen (seit 1831). Noch ist die Maillebahn, diese herrliche, mit 8 Reihen Bäumen besetzte Promenade, wegen der Frühe der Tageszeit von Spaziergängern nicht belebt; doch nur noch wenige Stunden dürfen vergehen, und U's schöne Welt, der gewichtige Mynher, am Arm die kleine, volle Holländerin, promenirt hier in großer Gala. Stolz präsentiren sich die Kuppeln der 15 Kirchen; belebt sind alle Straßen, denn 45,000 Einw. treiben hier ihre ansehnlichen Handelsgeschäfte, und der Ursprung des Verkehrs wird noch beträchtlich erhöht durch wichtige Fabriken in wollenen, seidenen, halbseidenen und baumwollenen Zeugen, in Zucker, Nadeln, Spitzen, [281] Sparlampen, Lackmus, Siegellack, Gewehren; viele Hände beschäftigen auch die Salzgewinnung und das Garnbleichen. Doch was drängen sich jetzt eben so viel Menschen um den großen Brunnen des Marktplatzes? Einige füllen Wasser in große lederne Schläuche; andere fahren diese hinweg nach dem Hafen zu? Das ist die tägliche Schifsladung von Trinkwasser, für Amsterdam bestimmt, welches süßer, trinkbarer Quellen entbehrt. Und hier zur Linken der stolze Palast? Es ist der Königspalast, auch das Haus van Loo genannt Oestlicher präsentirt sich das Rathhaus, das Münzgebäude, das aus rothen Ziegelsteinen gebaute »Deutschhaus;« dahinter das Museum der schönen Künste, das hohe Gebäude der reich ausgestatteten Universität, und das schöneingerichtete Waisenhaus. In lieblicher Verwirrung umwallen Gräben, Mauern und Wälle die Stadt; 36 Brücken wölben sich über den Rhein, die Vecht und die verschiedenen Canäle. Und wenden wir endlich den Blick ab von der Nähe, so genießen wir der entzückendsten Fernsicht bis nach den Gestaden des Zuyder See's über einen großen Theil der reichen Ebenen Altholländs hinweg.

–i–

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 10. [o.O.] 1838, S. 281-282.
Lizenz:
Faksimiles:
281 | 282
Kategorien: