[322] Utrecht (spr. Ütrecht), 1) Provinz in dem Königreich der Niederlande, an die Zuidersee, an Nord- u. Südholland u. Geldern grenzend; hat 25,01 QM.; meist eben u. niedrig, östlich etwas hügelig, fruchtbar in den niedrigeren, sandig u. heidig in den hügeligen Theilen; hat viel Torf, gute Weiden, zur Bewässerung außer den Armen des Rheines (Leck, Kromme Rhyn, Oude Rhyn, Vecht, Yssel), Eem u. mehre kleinere Gewässer (Mye, Mydrecht, Grift), so wie auch mehre Kanäle, bes. die den Leck mit der Vecht verbindende Vaart. Klima: gesund; Producte: Getreide reichlich (berühmter Buchweizen), Tabak (bester in Holland), Pferde, Rindvieh (von welchem man vorzüglich Butter u. Käse gewinnt), Bienen; man fertigt allerlei Gewebe in Wolle, Baumwolle, Seide, Leinen, gute irdene Waaren, Branntwein, Bier u. treibt Handel mit diesen Fabrikaten, so wie mit den Erzeugnissen der Viehzucht (bes. Butter u. Käse) u. des Ackerbaues; Ende 1862: 165,680 Ew., meist Reformirte, dann auch Katholiken, Lutheraner, Remonstranten u.a. Wappen: ein rother u. silberner, vom rechten Winkel aus bandweise durchschnittener Schild. Die Eintheilung in zwei Bezirke: Utrecht u. Amersfoort. 2) Bezirk hier; hat sechs Cantone; 86,000 Ew.; 3) Hauptstadt hier, am Ouden Rhyn[322] (alten Rhein), welcher die Stadt als Graben umfließt u. in zwei Armen durch die Stadt geht, u. an der sich von diesem trennenden Vecht, so wie an der Eisenbahn von Arnheim nach Amsterdam, welche sich hier nach Rotterdam u. dem Haag verzweigt, u. einigen Kanälen; ist durch Wälle, Gräben u. Thürme nach alter holländischer Art befestigt, aber jetzt nicht mehr Festung, hat vier Vorstädte u. 36 Brücken. U. ist Sitz zweier Friedensgerichte, eines Militärgerichtshofes, eines katholischen (Jansenistischen) Erzbischofs, eines Handelsgerichts u. einer deutschen Ordenshausballei (wiederhergestellt 1815), einer Münzdirection. U. hat 15 Kirchen, darunter sieben der Reformirten, drei der Katholiken, Waisenhaus, Hospitäler. Merkwürdig sind bes. die Domkirche (mit Denkmal des Admirals Van Gent) mit hohem Thurme, welcher eine Aussicht über einen großen Theil Hollands gewährt u. Glockenspiele hat, Königspalast (Haus von Loo, in welchem 1579 die Union u. 1713 der Utrechter Frieden geschlossen wurde), Rathhaus mit kleiner Gemäldesammlung, Deutschordenshaus, Münzgebäude, Papsthaus (aus rothen Ziegelsteinen gebaut), Kinderhospital. U. hat eine Universität (mit fünf Facultäten, gestiftet 1634, eingeweiht 1636, mit Bibliothek, Anatomischem Theater, Sammlungen von physikalischen Gegenständen u. Modellen, Sternwarte, Meteorologischem Institut, Botanischem Garten), Thierarzneischule, Gesellschaft der Künste u. Wissenschaften, Gesellschaft der Dichtkunst, Stiftung zum Unterricht für Waisen, Malercollegium, Museum der schönen Künste mit Instrumentensammlung, Bibelgesellschaft, Münze, mehre Hospitäler etc.; hat mehre Fabriken in wollenen (bes. schwarzes Tuch), seidenen, halbseidenen u. baumwollenen Zeugen, Leinwand, in Zucker, Nähnadeln, Spitzen, Sparlampen, Lackmus, Siegellack, Gewehren, man bleicht Garn, fertigt Salz, treibt ansehnlichen Handel. U. hat jehr gutes Trinkwasser u. führt solches zu Schiff nach Amsterdam. Freihafen seit 1831; Ende 1862: 55,504 Ew. Vor der Stadt liegt die Maillebahn, eine schöne Promenade zwischen acht Reihen Bäumen, u. zahlreiche Buiten od. Plaatsen (Landhäuser). Bei dem Dorfe Zeyst (wo eine Herrnhutercolonie ist) ist der Union von 1579 ein Denkmal gesetzt. U. ist das alte Trajectum inferius, eine Stadt der Bataver im Belgischen Gallien. Schon in dem Itinerarium Antonii wird U-s als Stadt gedacht. Nach dem Verfall des Römischen Reiches gehörte das von einem Burggrafen bewohnte Castell Trajectum den Friesen; dabei war eine Stadt Willaburg gelegen, wo auch der bischöfliche Sitz war u. welches der jetzige Flecken Willenburg, 1/2 Stunde von U., ist. Anfangs lag U. auf der Nordseite des Rheines, nachdem aber König Dagobert die Kathedrale 630 auf der Südseite angelegt hatte, wurde die Stadt auch dahin verlegt u. wuchs nun rasch, bes. unter dem Bischof Balderich (um die Mitte des 10. Jahrh.). 1046 schenkte Konrad der Salier die Grafschaft Theisterband u. die Insel Betau der Kirche von U., u. zu selbiger Zeit scheint auch der Bischof seinen Sitz in U. genommen zu haben. Bischof Heinrich, Prinz von Baiern, überließ Stadt u. Fürstenthum U. dem Kaiser Karl V. als dem Herzoge von Brabant u. Grafen von Holland 1527 u. 1529 baute Karl V. in der Stadt ein Schloß, die Veraburg od. Friedensburg. 1559 erhob Papst Paul IV. die Kirche in U. zur Metropolitankirche u. untergab dem neuen Erzbischof die Bisthümer Harlem, Middelburg, Leuwarden, Deventer u. Gröningen. Erster Erzbischof war Friedrich Schenk von Tautenburg (st. 1580). 1577 wurde die Veraburg von den Städtern zerstört. Unter Philipp II. vereinigte sich U., nachdem die Reformation hier eingeführt worden war, nebst seinem Gebiet, mit den sechs anderen niederländischen Provinzen zu einem Staat, u. zwar geschah dies durch die Utrechter Union (s.d. unt. Niederlande S. 897) den 13. Januar 1579. Im Jahr 1636 wurde die Universität eröffnet. 1672 bemächtigten sich die Franzosen der wenig befestigten Stadt, verließen sie aber bald wieder. Den 11. April 1713 wurde hier Friede (Utrechter Friede) zwischen Frankreich einer-, u. England, Portugal, Holland u. Preußen andererseits geschlossen u. dadurch für diese Staaten der Spanische Erbfolgekrieg (s.d. S. 448) geendigt, während derselbe für die anderen Staaten erst durch den Frieden von Baden (s. ebd. S. 449) 1714 sein Ziel fand. U. wurde am 17. Jan. 1795 von den Franzosen unter Pichegru besetzt. U. ist Geburtsort des Papstes Hadrian VI. u. der Anna Schurmann. Vgl. U. et ses environs, Utrecht 1843; J. K. Fähsi, Abhandl. über die Geschichte des Friedensschlusses zu U., Lpz. 1790; Becka u. Heda, Chronicon de episcopis ultraj., herausgeg. von Buchel, Utr. 1643; Geer, Bijdragen tot de geschiedenis en oudheden der provincie U., ebd. 1860.