[265] Geistlicher Ornat. Die Herstellung einer liturgischen Tracht für die christliche Geistlichkeit erfolgte nicht vor dem 6. Jahrh. Die Ausbildung des priesterlichen Amtsornates ging vorzugsweise von der römischen Bekleidung aus und vollzog sich als allgemein massgebend zuerst in Byzanz, erhielt dann aber im Abendlande allmählich eine davon abweichende selbständige Richtung. Die Feststellung der Grundformen des occidentalischen Ornates verlegt man in den Beginn des 9. Jahrh. von welcher Zeit an bis ins 14. Jahrh., die geistliche Tracht im Allgemeinen dieselbe blieb.
Zum Ornat des Bischofs, Erzbischofs und Papstes gehörten folgende Stücke:
1. Strümpfe oder Socken, Caligae, Tibalia, es sind dies bis zu den Knieen reichende Langstrümpfe, oberhalb mit Kniebändern versehen, aus Leinwand, später aus Seide oder Sammet, dunkelvioletter Farbe.
2. Schuhe, Sandalia, Calceamenta, Socculi, ursprünglich das römische Bindeschuhwerk, später ein vollständiger geschlossener Schuh mit breiten Taschen von der Sohle bis zum Spanne, Farbe meist karmin-purpur, ausserdem oft Schmuck von Goldstickwerk, Perlen und Edelsteinen.
3. Hals- oder Schultertuch, Amictus, Superhumerale, ein grosses, oblonges Tuch, teils um den Hals zu schützen, teils um die anderen Gewänder vor einer unmittelbaren Berührung mit dem Hals sicher zu stellen.
4. Albe, Alba, Camisia, Poderis, Tunica talaris, das älteste Stück des ganzen Amtsornates, ein massig weites Hemd, das bis zu den Füssen reicht, mit langen gegen die Handknöchel zu sich verengenden Ärmeln[265] mit weitem Knopfloch, von weisser Leinwand, ohne Schmuck.
5. Der zur Albe gehörende Gürtel, Baltheus, Zona, Cingulum, ursprünglich schmucklos, später reich ausgestattet mit Troddelwerk und Goldschellen.
6. Stole, Stola, Orarium, ein langes um den Hals gelegtes Band, dessen beide Enden je zur Seite herabhingen. Als dieses Band sich soweit verlängerte, dass es am Gehen hinderte, kreuzte man es auf der Brust, gürtete es mit dem Cingulum und zog es hinter diesem herauf. Die Stole war mit religiösen Sinnbildern und anderen Verzierungen ausgestattet, der Stoff Wolle oder Seide.
7. Das Manipel, Phanon, Manipula, Mappula, ursprünglich ein Tuch von Linnen, dessen sich der Priester zum Abtrocknen des Schweisses und zur Säuberung der heiligen Gefässe bediente, später ein schmales, dem linken Arm übergehängtes Band.
8. Zwei hemdförmige Überzieher, Dalmatica und Tunicella, ein längeres und ein kürzeres Gewand, von denen entweder überhaupt bloss eines oder das kürzere über dem längeren getragen wurde, der Form nach geschlossene Überkleider, zu den Seiten je der Länge nach mit einem schmalen violettroten Bandstreifen bedeckt, das längere Kleid meist rot, das kürzere weiss.
9. Das Messgewand, Paenula, Planeta, Casula, Casubula, ein ringsum geschlossener, glockenförmiger Überhang, durch reichen Goldbesatz ausgezeichnet, der sich um den unteren Saum, um den Rand des Kopfausschnittes und auf der Vorder- und Rückenseite längs der Mitte hin befand, seit dem 15. Jahrh. brachte man auf dem Rückenstück oft einen sehr breiten Besatz in Gestalt des lateinischen Kreuzes mit der Figur des Gekreuzigten darunter an, vorn einen Längstreifen mit kleineren Kreuzen aus Stoff Seide oder Sammet.
10. Handschuhe, Manicae, Chrothecae, die nicht genäht, sondern gewirkt sein müssen, aus Seidenstoff, purpurfarben und reich geziert, später mit Stulpen versehen.
11. Der Ring, Annulus, ursprünglich am Zeigefinger, später am vierten Finger der rechten Hand getragen; er sollte von Gold, mit einem Edelsteine geschmückt sein. Er wurde über den Handschuh getragen.
12. Eine Kopfbedeckung, Mitra, Tiara, Infula, Phrygium, Corona sacerdotalis, Cidaris und Cuphia.
a) Die bischöfliche Kopfbedeckung oder Mitra war eine Nachbildung der auch im gewöhnlichen Leben allgemein üblichen Rundkappen; dieselben wurden inmitten des Schädels mässig eingesenkt, durch die Senkung, vielleicht um dieselbe überhaupt zu erzielen, ein vertikal laufendes breites Schmuckband gezogen, welches sich von der Mitte des auch sonst üblichen Stirnreifes erstreckte. Allmählich löste man den Stirnreif, der bei allen derartigen Kappen seit jeher den Hauptpunkt bildete, von seinem Grunde ab und behandelte ihn in Gestalt einer langen Binde als selbständigen Schmuck, dessen Enden gleichmässig auf die Schultern fielen. Um den Schluss des 11. Jahrh. erweiterte man jene erste Einsenkung dergestalt, dass die Kappe in zwei gleiche Hälften geschieden und zur wirklichen Doppellmütze wurde, wobei die Bindebänder nur noch gelegentlich die Bedeutung einer besonderen Auszeichnung beibehielten. Später schwankte: diese Bedeckung bloss noch in ihren Höheverhältnissen und in der beständig sich vermehrenden Ausstattung.
b) Die Kopfbedeckung des Papstes oder Tiara ist ein hoher, zuckerhutförmiger Spitzhut, mit einem senkrechten goldenen Streifen ausgestattet;[266] dieser sowohl als der goldene Stirnreif reich mit Edelsteinen besetzt. Erst Bonifacius VIII. (gest. 1303) gab dem Stirnreif die Gestalt einer Krone und brachte darüber in einiger Entfernung noch einen derartigen Reifen an, wodurch die Tiara zur Doppelkrone wurde. Benedikt XII. (13341342) oder Urban V. (13621370) soll einen dritten Reif hinzugefügt und Urban VI. um 1378 diese dreifache Krone dauernd eingeführt haben.
13. Der Hirtenstab, Baculus episcopalis, pastoralis, Ferula, Virga, Pedum, Sambuca, ursprünglich eine mit einer Krücke versehene Stütze. Man vermutet, dass der Stab im 8. Jahrh. zum Abzeichen der kirchlichen Macht wurde. Erst um den Schluss des 10. Jahrh. verlängerte man ihn, brachte an Stelle der kurzen Doppelkrücke eine den Schäferstäben ähnliche, nach innen gewendete hackenförmige Krümmung an und vermittelte dieselbe mit dem Schaft durch einen Knopf. Schon die älteren Krückenstäbe waren mit plastischen Zierden versehen; die Krummstäbe hatten eine Windung aus Elfenbein und einen Knopf aus Metall; die Windungen erhielten die Gestalt einer Schlange oder irgend ein symbolisches Blätter-, Blumen- oder Rankenwerk, auch ganze Szenen aus der heiligen Geschichte. Der ursprünglich hölzerne Stab wurde später wohl ganz aus Elfenbein oder Metall hergestellt. Der Papst braucht, da er bei Prozessionen sitzend getragen oder unterstützt wird, keinen Hirtenstab; doch trägt er gelegentlich auf Bildwerken einen langen Stab mit einem Kreuze darauf. Die Windung der Abt-Stäbe ist nach Innen gebogen.
Die folgenden Ornatstücke werden entweder bloss vom Papst getragen oder sind nur solchen Erzbischöfen und Bischöfen zugestanden, welche der Papst ebendadurch auszeichnen will:
14. Ein Band, Pallium, Pallium archiepiscopale. Es ist ein ziemlich schmaler, etwa drei Finger breiter Streifen, aus Lammwolle gewoben, mit mehreren schwarzen, später purpurroten Kreuzen verziert, der so um die Schulter getragen wird, dass eines der beiden Enden vorn, das andere hinterwärts herabfällt. Das Pallium ist das Ehrenzeichen des Erzbischofs.
15. Ein Schulterkleid, Amiculum, Superhumerale, Rationale episcoporum, vom 12.15. Jahrh. gebräuchlich, ein dem Schulterkleid des jüdischen Hohenpriesters nachgestaltetes Gewand, das aus zwei einander völlig gleichen viereckigen Hälften, einem Vorder- und einem Rückenteil bestand, beide an den untern Kanten zu kurzen oblongen Streifen verengert, beide Teile mit Sinnbildern, Figuren u. dgl. reich geschmückt.
16. Rationale, Pectorale oder Formale, Nachahmung des hohenpriesterlichen Brustschildes, ein längliches Viereck mit darauf senkrecht in vier Reihen gefassten zwölf Edelsteinen; es wurde später durch ein Brustkreuz oder durch eine reiche Brustspange ersetzt, und das Brustkreuz auch auf die Bischöfe übertragen.
Von geringerer Bedeutung, sind folgende Ornatstücke:
17. Der Mantel, Pluviale, Kappa, ein mit einer Kapuze versehener Schulterumhang, anfänglich bloss ein Schutzkleid (Regenmantel), gegen Kälte und Regen, und daher schmucklos aus einem derben Stoff hergestellt. Frühestens zu Ende des 12. Jahrh. verwandelte man dieses Schutzkleid in ein Festkleid, stellte dasselbe aus kostbaren Stoffen her und schmückte vorzugsweise die Säume längs der Öffnung und das Oberteil zwischen den Schultern mit reich gesticktem Besatz, den unteren Saum auch wohl mit Glöckchen. Jeder Geistliche konnte sich dieses[267] Kleides ohne Rangunterschied bedienen; das Rückenschild verkleinerte sich im 15. Jahrh. zu einer Art Genickkragen.
18. Chorrock, Rocchetum, Rocchet, Superpelliceum, eine Alba, die nicht beim Altardienste, sondern als bequeme Dienstkleidung getragen wurde; dieses Kleid wurde mit der Zeit mehr und mehr verkürzt.
19. Das Barrett, Biretum, ist im 10. Jahrh. aus der damals allgemein üblichen Rundkappe dadurch hervorgegangen, dass man sie zum bequemeren Anfassen etwas erhöhte und fältete. Später wurde sie völlig quadratisch gefaltet und ausgesteift und oben in der Mitte eine Quaste angebracht.
20. Der Kardinalshut, Pileus und Galerus ruber, kam erst im 13 Jahrh. als Rangbezeichnung auf, vermutlich in der ihm jetzt noch eigentümlichen Form einer mit breiter gesteifter Krempe ausgestatteten Rundkappe; Schnüre und Quasten scheinen jüngeren, Datums. Später kamen zum roten Hut der rote Leibrock und das rote Barett.
Über die liturgischen Farben siehe den Artikel Farbensprache.
Was das kirchliche Ornat der niederen Geistlichkeit anbelangt, so war mit der Einweihung in den Priesterstand oder das Prebsyteriat die Bekleidung mit der Stola und der Casula verbunden. Daneben bestand die übrige amtlich kirchliche Ausstattung aus dem Amictus, der Alba, dem Cingulum und dem Manipel. Die niederen Grade der Geistlichkeit trugen durchgängig das weisse Feierkleid, die Tunica alba oder talaris, wozu später für Einzelne, namentlich die Ministranten, das Chorhemd und für die Sänger ausserdem das Pluviale kam.
Die ausserkirchliche Tracht der Geistlichkeit bewegte sich im Mittelalter fast unausgesetzt je nach Massgabe der Individualität des Einzelnen vorwiegend in den Extremen einer äussersten Dürftigkeit, ähnlich den Asketen und Klostergeistlichen, oder eines höchst gesteigerten Aufwandes und Prunkes nach rein weltlichem Geschmack. Deshalb nahm man auch keinen Anstand daran, dass die höhere Geistlichkeit es den Rittern gleichthat und in voller kriegerischer oder jagdlicher Ausrüstung erschien, obgleich die weltliche Obrigkeit vielfach dagegen eiferte und der Geistlichkeit »die Anwendung von bunten, vielfarbigen, roten, grünen, zu kurzen und aufgeschlitzten Kleidern, von goldenen und silbernen Armspangen, kostbarem Pelzwerk, geschnäbelten Schuhen u. dgl. mehr« strenge verbot. In den Bilderhandschriften des 12. und 13. Jahrh. erkennt man die Geistlichen bloss an den hellblauen Tuniken und am geschorenen Haupt. Kirchlicher Ordnung gemäss sollten sich aber die Geistlichen der den ganzen Körper verhüllenden einfachen Kappe und des langen Rückenmantels bedienen, beide von dunkler Farbe.
Das liturgisch einmal festgestellte Amtsornat änderte sich seit dem 14. Jahrh. in wesentlichen Stücken kaum mehr; die Wandlungen, die etwa noch vorkommen, betrafen meist die verzierende Ausstattung, die im 15. Jahrh. die höchste Vollkommenheit erreicht; was die Industrie der maurischen Seidenstoffe, die Weberei, die Wirkerei, Nadelstickerei, Buntstickerei in Goldfäden, Goldfädenspinnerei, Reliefstickerei erfand und vervollkommnete, wurde in erster Linie in den Dienst der kirchlichen Gewänder gestellt. Als ausseramtliche geistliche Tracht bildeten sich nebst dem faltenreichen, mit Kapuze versehenen Mantel zwei Hauptformen der Kappe, die eine ein faltenreicher Talar mit langen und weiten Ärmeln; die andere, enganliegende mit engen Ärmeln, der ganzen Länge nach dicht mit Knöpfen zum Schliessen bedeckt, hiess [268] Sutane; der Stoff beider Gewänder war Wolle oder Halbseide; die Farbe bei den Kardinälen hochrot, bei Bischöfen violett, beim Papst weiss und zwar nur in Wolle, bei der der übrigen Geistlichkeit schwarz; über der Kappe lag in gleicher Farbe der breite Hüftgürtel. Dazu kam bei der höhern Geistlichkeit ein kurzer Krempenhut von schwarzer Farbe in Gebrauch.
Die Renaissance übte mehr Einfluss auf die künstlerische Ausbildung der schmückenden Zierden, als auf die Gewänder selbst. Luther bediente sich für die ausserkirchliche Amtstracht der herrschenden Gelehrtentracht; für die kirchliche Tracht behielt die lutherische Geistlichkeit zum Teil den Chorrock und das Messgewand bei. Nach Weiss, Kostümkunde. Vgl. Fr. Bock, Geschichte der liturgischen Gewänder des Mittelalters. 3 Bde. Bonn 1859 ff.
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