Königtum und Kaisertum

[515] Königtum und Kaisertum. 1. In altgermanischer Zeit. Spuren vom Königtum finden sich vom ersten Auftreten germanischer Stämme an, neben der immerhin zahlreicheren republikanischen Verfassung. Beide Formen, Königtum und Republik, sind ursprünglich germanisch und lassen sich in ihren Anfängen kaum mehr erkennen. Was das Königtum wesentlich von der Republik unterscheidet, ist die Erblichkeit, die sich auch beim Adel findet, und dem König den Namen gegeben hat; denn ahd. chuninc ist mittelst der Ableitungssilbe ing vom got. kuni, ahd. chunni, mhd. künne = Geschlecht abgeleitet, welches gleich dem griech. genos und dem lat. genus aus einer Wurzel stammt, deren Bedeutung »geboren werden« ist. König ist der, dessen Stellung und Würde auf dem Geschlecht beruht. Daneben erscheint gotisch thiudans = Volksbeherrscher. Das königliche Geschlecht ist das edelste unter den edeln Geschlechtern und sein Ursprung in der Auffassung der ältesten Zeiten ein mythologischer; von den Göttern leitete man die ersten Könige ab. In eigentümlicher Art verbindet sich aber mit dem Erbrecht des Geschlechtes ein Wahlrecht des Volkes, das manchmal den König bestätigt, anerkennt und wählt. Bei den meisten Stämmen wurde der zum König proklamierte auf den Schild gehoben und dreimal im Kreise herumgetragen, bei anderen trat er auf einen bestimmten Stein in der Mitte der Dingstatt. Gefiel er den Männern, so sprangen sie jauchzend in die Höhe, schlugen ihre Waffen zusammen und riefen ihm Heil zu; dann folgte die Übertragung der Gewalt durch die Überreichung einer Lanze. Die besonderen Rechte des Königs aber waren gewisse priesterliche Funktionen, Berufung und Leitung der Volksversammlung, Vollzug der Gerichtsbeschlüsse, Bezug des verwirkten Friedensgeldes, Anführung des Volksheeres, Ernennung von Feldherren, Bezug freiwilliger Ehrengeschenke, lang herab wallendes Haar und andere ehrenvolle Abzeichen in Tracht und Waffen. War in den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung das Königstum noch die Ausnahme, so wurde es seit der Völkerwanderung die Regel, so zwar, dass die Könige in erster Linie als Könige über das Volk, nicht über ein bestimmt abgegrenztes Land angesehen wurden, also Könige der Ost- und Westgoten, Vandalen, Burgunder, Thüringer, Langobarden, Franken.

2. Bei den Merowingern. Die [515] fränkischen Könige leiteten ihren Ursprung von einem sagenhaften Chlodio oder Chlogio ab; von ihm soll Merovech abstammen, von dem das fränkische Königsgeschlecht den Namen der Merowinger empfing. Auch ihr Recht beruht auf dem Erbrecht des königlichen Geschlechtes; ihr Ehrenzeichen bleibt das lang herabwallende Haar. Ein Wahlrecht des Volkes in bezug auf das Königtum ist den Franken früh fremd geworden. Einen minderjährigen König nimmt der nächste Verwandte in seinen Schutz oder die Königin-Mutter wird als Regentin anerkannt. Ob das zwölfte oder fünfzehnte Jahr im merowingischen Hause die Mündigkeit gab, ist nicht ausgemacht Notwendige Eigenschaft des Königs ist körperliche Rüstigkeit; Zeichen der königlichen Gewalt ist die Lanze. Feierliche Krönung oder priesterliche Salbung war unbekannt, auch das Zepter und den Thron erwähnen wenigstens merowingische Schriftsteller nicht. Das Purpurgewand und der Mantel, mit dem sich Chlodwig bekleidete, sind römischen Ursprungs. In den letzten Zeiten ihrer Herrschaft wenigstens fuhren diese Könige auf rinderbespannten Wagen zur jährlichen Versammlung; sonst bestiegen sie das Ross. Die Könige hatten bestimmte Residenzen, wo sie einen Teil des Jahres sich aufzuhalten pflegten; häufig erscheinen sie aber auch auf ihren überall zerstreuten Höfen und Villen, wo ihre Paläste oder Pfalzen lagen. Eine grosse Rolle spielt stets der Schatz, der an den Sitzen des Königs bewahrt wird; er gilt fast nicht weniger als das Reich, und das eine wird mit dem andern erworben, vererbt, erobert, geteilt: er enthielt geprägtes Gold, Geschmeide und Schmuck, Ringe und Ketten, Gefässe, reiche Gewänder und Stoffe. Königinnen und Kinder hatten ihren eigenen Schatz. Ebenbürtiger Ehen waren nur Königstöchter würdig; daneben aber lebten die Könige ungestraft mit niedrig geborenen Weibern auch in doppelten Ehen oder im Konkubinat. Die Titel der merowingischen Könige waren vir inluster, princeps und dominus. Gemildert und in der Wage gehalten wird die Macht des Königs durch die Kraft des Volkes. Dem ganzen Volke gegenüber vermochte der König nicht viel. Der König legte sich eine starke Strafgewalt bei; oft liess er ihm verhasste oder verdächtige Männer gefangen setzen, foltern, in die Verbannung schicken, erschlagen, oft ohne Urteil und Recht. Untreue gegen den König sollte nach den Gesetzen mit dem Leben bestraft werden. Besonders gross ist der Einfluss des Königs auf die Geistlichkeit; vom Könige mit Rechten und Ehren ausgestattet, ist sie auch in hohem Masse von ihm abhängig; Bischöfe werden für jede Verletzung ihrer Pflicht zur Verantwortung gezogen und hart gestraft. Vom Volk sagte man, es diene dem König; die Unterthanen nannten sich in Eingaben und Briefen Knechte und Diener. Dagegen hat der König für das Volk zu sorgen, das Recht zu handhaben, den Frieden zu wahren, sei's selbst, sei's durch gewissenhafte, von ihm eingesetzte Richter. Er gewährt allen Hilfe und Schutz, besonders auf den Kirchen- und geistlichen Stiftungen. Dafür überträgt jetzt die Kirche die Vorstellung der heiligen Schriften von der Obrigkeit auf den deutschen König und dieser bezeichnet seine Herrschaft selbst als eine von Gott gegebene. Jeder neue König durchzog sein Reich, um sich als Herrscher zu zeigen und die Huldigung des Volkes entgegenzunehmen; es geschah dies durch den Treueid; der Schutz des Königs hatte die Bedeutung des Friedens; er umfasste das ganze Volk und hielt es in rechtlicher Ordnung zusammen;[516] einzelnen Personen, namentlich Frauen und Geistlichen, verlieh er auch besondere Rechte. Überhaupt war es die Person des Königs, welche die verschiedenen Teile des Reiches und des Volkes zusammenhielt. Auf ihr beruht die staatliche Verbindung; was er beherrscht, bildet sein Reich. Alles unterliegt seiner Aufsicht und Gewalt. Das ganze Volk war ihm persönlich verpflichtet, nur durch ihn zu staatlicher Einheit verbunden. Die höhere Gerichtsbarkeit ist ebenso wie die allgemeine obere Regierungsgewalt an seinen Hof gebunden. Am königlichen Hofe laufen die Fäden der Regierung zusammen, werden die wichtigsten gerichtlichen Entscheidungen getroffen.

3. Karolinger. Mehrere Generationen hindurch waren die merowingischen Könige bloss noch äusserliche Vertreter des Königtums, während die Familie der Hausmeier ihrerseits auch schon durch mehrere Generationen als Fürsten und Herzoge die faktische Gewalt des Königtums und alle diejenigen Eigenschaften besassen, welche für dasselbe nötig waren. Nach dem Rat und Willen der Grossen wurde nun von Pipin eine Gesandtschaft nach Rom zu Papst Zacharias geschickt, welche anfragen sollte, ob die Übertragung der königlichen Gewalt auf Pipin, den Inhaber der Macht, gerechtfertigt sei. Der Papst bejahte die Anfrage und befahl gemäss apostolischer Autorität, dass Pipin König werde. Darauf fand die feierliche Erhebung Pipins zum Könige und die Salbung desselben durch die Bischöfe statt, eine symbolische Handlung, welche im Anschlusse an die Salbung Sauls und Davids durch Samuel schon bei den Westgoten und Angelsachsen Regel geworden war. Ob mit der Salbung schon eine Krönung verbunden war, ist nicht sicher; von einer Eidesleistung des neuen Königs ist nicht die Rede. Dagegen findet die grössere Annäherung des fränkischen Königtums zur Kirche ihren Ausdruck in dem Titel, den sich Pipin zuerst beilegte, Dei gratia.

Die Verbindung mit der Kirche sollte aber noch enger werden. Einzig die Kirche und an ihrer Spitze der Bischof von Rom war es, welche in dieser Zeit einen gewissen Zusammenhang unter den Bekennern des Christentums zu erhalten suchte. Anfangs lehnte sich der römische Bischof noch an das oströmische Kaisertum; seitdem er über kirchlichen und weltlichen Fragen mit diesem zerfiel, suchte und fand der römische Stuhl Hilfe und Rettung beim fränkischen Königtum, das seinerseits durch die Verbindung mit Rom an Ansehen, Macht und Verbreitung nur gewinnen konnte. Papst Gregor III. wandte sich zuerst an Karl Martell um Hilfe gegen die Langobarden und übersandte ihm die Schlüssel zum Grabe des heil. Petrus. Noch mehr that Stephan, des Zacharias Nachfolger: er kam selber über die Alpen und erteilte nicht bloss dem Pipin und seinen Söhnen nochmals die Weihe der Salbung, sondern er ernannte sie zugleich zu Patriziern, einer Würde, die öfter germanischen Königen verliehen war, um dieselben in einen gewissen Zusammenhang mit dem Römerreich zu setzen, ihnen eine Art statthalterischer Befugnis in den einst römischen Provinzen zu geben, diesmal in Rom und dem Gebiet der Stadt. Indem der Papst diesen Titel auf Pipin übertrug, handelte er als Vertreter des in der Idee fortlebenden römischen Reiches; er bestellte dadurch den fränkischen König als Beschützer und Verteidiger der Kirche und ihres Bischofs. Seinerseits machte sich Pipin anheischig, dem römischen Stuhl eine Reihe von Besitzungen, die demselben durch die Langobarden entrissen waren, wieder zu verschaffen, was auch geschah. Noch[517] nähere Beziehungen hatte Karl der Grosse zum römischen Stuhl; auch ihm übersandte der Papst, Leo, die Schlüssel zum Grabe des heil. Petrus und die Fahne der Stadt Rom, und verband damit die Bitte, der König möge einen seiner Grossen schicken und das römische Volk eidlich zur Treue und Unterwerfung gegen ihn verpflichten; denn man betrachtete Karl nicht bloss in seinem eigenen Reiche, sondern überall, wohin der fränkische Verkehr reichte, als den obersten Herrn der Christenheit; sein Reich war ein Weltreich geworden. So lag es nahe, zumal da in den Kreisen, in welchen Karl sich bewegte, die Vorliebe für das klassische Altertum und namentlich für das römische Weltreich wirksam war, Karl den Titel jenes Reiches neuerdings beizulegen. Von Geistlichen in Karls Umgebung scheint der Gedanke zuerst ausgegangen zu sein; Papst Leo verwirklichte ihn, indem er dem König der Franken am Weihnachtstage 800, d.h. nach damaliger Rechnung am Anfang eines neuen Jahres und Jahrhunderts, in der Kirche des heil. Petrus die Krone aufs Haupt setzte und ihn als Kaiser begrüsste. Er erhielt dadurch die Bedeutung eines Herrn der abendländischen Christenheit, eines Schützers der römischen Kirche und eines Fürsten, der dem oströmischen Kaiser ebenbürtig war; überhaupt aber wurden durch diesen Akt das privatrechtliche und persönliche Element des Königtums mehr in den Hintergrund gestellt und es traten in der Auffassung der obersten Gewalt mehr allgemeine und öffentliche Gesichtspunkte hervor.

Karl's vollständiger Titel war jetzt Serenissimus augustus, a Deo coronatus, magnus et pacificus imperator, Romanum gubernans imperium, qui et per misericordiam Dei rex Francorum et Langobardorium; später sagte man kürzer imperator augustus. Semper augustus und caesar wird von Schriftstellern der Zeit, aber nicht in öffentlichen Akten; gesagt; dagegen blieb der Ausdruck regnum, regia majestas in Gebrauch. Ausser dem Titel magnus et pacificus, den Karl sich selber giebt, kamen vor excellentissimus, gloriosissimus, praecellentissimus, serenissimus, piissimus; und die Attribute clementia, dignitas, celsitudo, excellentia, serenitas. Der römischen Tracht bedienten sich Karl und seine Nachfolger selten; sonst trugen sie bei feierlichen Gelegenheiten ein golddurchwirktes Kleid, Schuhe mit Edelsteinen besetzt und anderen Schmuck. Im festlichen Ornat setzte sich der König oder Kaiser eine Krone aufs Haupt und trug Stab oder Zepter als Zeichen der richterlichen Gewalt in der Hand; ein bestimmter Unterschied zwischen königlicher und kaiserlicher Krone wird nicht gemacht; von der Krone wie vom Zepter gab es verschiedene Exemplare. Auch das Schwert ist Insignie der Herrschaft, im besonderen der Heergewalt. Zeichen der Herrscherwürde ist ferner der erhöhte Sitz oder Thron.

Eine feste Residenz gab es in den ersten Jahren Karl's nicht; später bevorzugte er die Pfalzen an der Maas und am Rhein, Heristal, Worms, Ingelheim und namentlich Aachen. Hier empfing er auch zuerst die Kaiserkrone; später nochmals zu Rheims vom Papste selber. Bei der königlichen Salbung und Krönung erfolgt nach Segenswünschen über den zu Krönenden die Salbung mit dem heiligen Öl, dabei ein Gebet, und dann die Aufsetzung der Krone durch den Bischof mit den Worten: »Es kröne dich der Herr mit der Krone des Ruhmes und der Ehre, der Gerechtigkeit und dem Werk der Tapferkeit, damit du durch das Amt unserer Segnung mit rechtem Glauben und vielfacher Frucht guter Werke zur Krone des ewigen Lebens gelangest durch Verleihung[518] dessen, dessen Herrschaft und Reich dauert von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen«. Weiter überreicht der Bischof dem König das Zepter und sagt: »Empfange das Zepter, das Zeichen der königlichen Gewalt, den geraden Stab der Herrschaft, den Stab der Kraft, mit dem du dich selber wohl beherrschen, die heilige Kirche, das christliche dir von Gott anvertraute Volk mit königlicher Kraft gegen die Gottlosen verteidigen, die Bösen strafen, die Rechtschaffenen, dass sie den rechten Weg halten unterstützen und führen mögest; auf dass du vom irdischen zum himmlischen Reiche gelangest mit Hilfe dessen, dessen Herrschaft und Reich dauert von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.« Zum Schluss folgt der Segen und ein Gebet für den gekrönten König.

Unter den ersten Karolingern war die Weihe des Papstes zur Führung des kaiserlichen Namens nicht erforderlich; mehrere Kaiser setzten ihren Söhnen die kaiserliche Krone selber aufs Haupt. Auch Könige sind mehrfach vom Papste gesalbt worden; andere Könige sind hinwiederum überhaupt niemals gekrönt und gesalbt worden, z.B. Ludwig der Deutsche; und das Recht zur Herrschaft ist überhaupt weder von der Salbung noch von der Krönung abhängig. Auf öffentliche Fürbitten der Geistlichkeit legten die Karolinger grosses Gewicht; Fürbitten sowohl als Krönung bezogen sich teilweise auch auf die Frauen und auf die Kinder des Königs oder des Kaisers.

Auch die Pippiniden beanspruchten und besassen das Recht der Vererbung des Königtums in ihrem Geschlecht, später in analoger Weise des Kaisertums. Bestätigung und Befestigung erhält das königliche Erbrecht durch den göttlichen Willen, die Weihe der Kirche, die Zustimmung und Anerkennung des Volkes. Ebenfalls nach altem Herkommen war eine Teilung unter mehrere Söhne gestattet, wobei die Mitwirkung des Volkes und der Grossen meist mit in Betracht kommt. Alles Volk vom zwölften Lebensjahre an hatte dem König und Kaiser den Eid der Treue zu leisten (siehe Eid); der Begriff des Gehorsams gegen den Herrscher ist namentlich von der Kirche betont worden und wird mehr in Beziehung auf besondere Verhältnisse, einzelne Anordnungen und Befehle angewendet. Ist auf die Übertretung des Befehles eine besondere Strafe gesetzt, so heisst derselbe Königsbann. Er fand seine besondere Anwendung im Heer und im Gericht und war überhaupt zur Sicherung des Friedens bestimmt.

4. Bis zu den Hohenstaufen. Mit dem Aussterben des deutschen Karolingischen Hauses verschaffte sich das Prinzip der Wahl wieder Geltung und war von da an von einer Teilung um erblichen Anspruchs willen nie wieder die Rede; doch machte sich sofort auch die Rücksicht auf das Geschlecht wieder geltend, beide Prinzipien bald mit-, bald gegeneinander wirkend; erst im Kampfe der Kirche gegen Heinrich IV. wurde von Seite der Kirche der erbliche Anspruch ganz beseitigt und das Prinzip einer völlig freien Wahl aufgestellt. Der Form nach bedurfte aber stets das erbliche Recht der Anerkennung durch die Wahl, wobei dem Wunsch oder Willen des regierenden Herrschers nur ein gewisser Einfluss auf die Nachfolge zukam. Oft kam es zur Sicherung des erblichen Rechtes vor, dass Könige bei Lebzeiten ihrem Sohn die förmliche Anerkennung und Huldigung als Nachfolger verschafften; eine gewisse Bedeutung für die Nachfolge hatte auch der Besitz der königlichen Insignien; überhaupt aber hat es in dieser Periode noch kaum feststehende Einrichtungen in Beziehung auf die königliche Nachfolge gegeben. Dies gilt auch vom Ort der[519] Wahl, welche zu Frankfurt, Aachen, Forchheim, Mainz, ja auf italienischem Boden stattfinden konnte. So bestand auch noch kein bestimmtes Recht für die Teilnahme an der Wahl. Die Entscheidung liegt stets bei den geistlichen und weltlichen Grossen, neben welchen das Volk nur als mitwirkend und zustimmend genannt wird; den grössten Einfluss aber hatten dabei die hohen Geistlichen, vor allem der Erzbischof von Mainz, dem auch die formelle Leitung der Wahl zustand und der bei einer förmlichen Abstimmung zuerst seine Meinung kundgab. Der eigentlichen Wahl ging oft eine Vorbesprechung, eine Art Vorwahl voraus. Die Formel der Wahl oder Kur war: Ich kiese (lobe) zu einem Herrn und König, zum Richter (Regierer) und Verteidiger (Vogt) des Reichs (oder Landes). Ein förmliches Zählen der Stimmen, eine Entscheidung durch Majorität fand nicht statt. Auf die einstimmige Wahl wurde grosses Gewicht gelegt; wer nicht zustimmte, fand sich überhaupt nicht ein oder nahm an dem förmlichen Wahlakt keinen Teil. Unmittelbar nach der Wahl oder bald darauf fand die Leistung des Treueides und die Huldigung statt; die letztere entgegenzunehmen, durchzog der König wohl das Reich. In Aachen pflegte ein besonders feierlicher Huldigungsakt stattzufinden, sei es, dass die Herrschaft in Lothringen besonders betont wurde, sei es in Erinnerung an den Sitz Kaiser Karl's. In der Kirche wurde der neue König auf Karl's Stuhl gesetzt.

Seit Otto I. war die Salbung und Krönung des Königs zur festen Regel geworden, auch bei den jungen Söhnen, die bei Lebzeiten der Väter als Könige anerkannt wurden. Als Ort dieser Zeremonie wurde meist Aachen gewählt; doch kommt auch Mainz zuweilen vor. Lange standen sich die Erzbischöfe von Mainz und Köln eifersüchtig in der Behauptung des Rechtes der Königskrönung entgegen, bis schliesslich Köln, in dessen Diözese Aachen lag, endgültig den Sieg davontrug. Der Hergang der Krönung wird folgendermassen beschrieben (Waitz, Verf.-Gesch. Bd. 6. S. 165): »Wenn der König sein Gemach verlässt, wird er von der Geistlichkeit empfangen, und der Erzbischof spricht ein Gebet. Zwischen zwei Bischöfen schreitend wird jener in feierlicher Prozession und unter Gesang in die Kirche geführt. Hier nach einem neuen Gebet des Erzbischofs legt er den Mantel ab, kniet an den Stufen des Altares nieder und mit ihm alle Bischöfe und Priester, während die niedere Geistlichkeit singt und betet. Nachdem dann alle sich erhoben, lässt der Erzbischof sich von dem König das Versprechen geben, den rechten Glauben zu bewahren und zu bethätigen, den heiligen Kirchen und ihren Dienern ein Schützer und Verteidiger zu sein, das ihm von Gott übertragene Reich nach dem Recht seiner Väter zu regieren und zu verteidigen. Und dann wendet er sich an das Volk und fragt, ob es diesem Fürsten und Richter sich unterwerfen, seine Herrschaft in sicherer Treue befestigen, seinen Befehlen nach dem Gebot des Apostels nachgehen wolle. Und das Volk antwortet: ›So sei es. Amen.‹ Nach neuen Gebeten wird der König zuerst am Haupt, an der Brust, an den Schultern und Oberarmen, dann an den Händen gesalbt, empfängt darauf das Schwert als Zeichen der Herrschaft, weiter die Armspangen und den Mantel und den Siegelring, dann Zepter und Stab, zuletzt die Krone, alles unter Anreden und Gebeten, die auf die Bedeutung der einzelnen Zeichen hinweisen, und wo es von der Krone heisst, dass sie ihn zum Genosse des geistlichen Amtes mache. Nachdem zuletzt noch der Segen über den König gesprochen, wie es auch bei kirchlichen Versammlungen[520] üblich war, wird derselbe zu dem Königsstuhl geführt, wo der Erzbischof in der Rede, die er hält, das erbliche Recht, daneben aber auch die Übertragung der Gewalt durch kirchliche Hand besonders hervorhebt, dann, nachdem der König sich gesetzt, noch einmal für ihn betet, hierauf samt den übrigen Geistlichen den Kuss des Friedens empfängt. Ein feierliches Tedeum und die Messe beschliessen den Akt.«

Nach der Krönung ging es zum festlichen Mahl, wobei unter Otto I. die Herzoge zum erstenmal die Dienste der Hofbeamten leisteten.

Der deutsche König nahm die kaiserliche Krönung als sein Recht in Anspruch; sie galt als Vollendung der Herrschaft überhaupt. Von einer Wahl war daher hierbei nicht die Rede; eine Kaiserkrönung eines Sohnes zu Lebzeiten des Vaters geschah bloss bei Otto II. Auf einem weissen Ross des Papstes pflegte der König in Rom einzuziehen; an zwei Stellen wurde angehalten, um den Römern den Eid zu leisten, dass sie bei ihren alten Gewohnheiten verbleiben sollten. Am Thore der Stadt, wo die Geistlichkeit ihn erwartete, stieg der König vom Pferde; dem Zuge voran wurden ein Kreuz und eine Lanze getragen. In der Halle vor der Kirche des heil. Petrus sass der Papst auf goldenem Sessel. Der König stieg die Stufen hinan, neigte sich vor dem Papst zum Kuss der Füsse, worauf ihn der Papst aufhob und dreimal küsste. Darauf den Papst zur Linken lassend, ging der König durch die Halle bis zur silbernen Pforte der Kirche, wo der Kaiser geloben musste, der Schützer und Verteidiger der römischen Kirche zu sein. Danach erklärte ihn der Papst der Kaiserkrone würdig; am Grabe des heil. Petrus kniete endlich der König zum Gebet nieder. Hier wurde meist die Feier abgebrochen und die Krönung selbst auf einen Sonntag oder hohen Feiertag verschoben. Sie erfolgte vor dem Altar des heil. Petrus. Indem der Papst dem Könige das Diadem auf das Haupt setzte, sprach er: »Empfange das Zeichen des Ruhms, im Namen des Vaters, des Sohnes und des heil. Geistes, damit du abweisend den Feind und die Befleckung aller Laster, so Recht und Gerechtigkeit liebest und so voller Gnade lebest, dass du von unserem Herrn Jesus Christus in der Versammlung der Heiligen die Krone des ewigen Lebens empfangest«. Andere Insignien als die Krone kamen nicht in Anwendung. Beim Wegzug aus der Kirche, wenn der Papst sein Pferd bestieg und wenn er es verliess, hielt ihm der neuernannte Kaiser den Steigbügel.

Die Ehre der Königs- und Kaiserkrönung teilte regelmässig die Gemahlin des Königs, bald mit dem König zugleich, bald nach den besonderen Umständen in besonderer Feier.

Während die späteren Karolinger sich noch mit Töchtern einheimischer Geschlechter vermählten, suchten sich die späteren Könige für sich und ihre Söhne die Frauen meist in auswärtigen Fürstenhäusern.

Grosse Sorgfalt wurde auf die Erziehung der jungen Prinzen oder Könige, wie das Mittelalter sie nannte, verwendet. Unmündigkeit galt formell nicht als Hindernis, die Regierung zu führen; der Termin der Mündigkeit war das 15. Lebensjahr, bis wohin es einer Vormundschaft, einer Sorge für die Person und die Regierung bedurfte.

Als Zeichen der Herrschaft dienten die Reichskleinodien, die bei der Krönung übergeben wurden. In alter Zeit führte sie der König regelmässig bei sich; erst später, seit Heinrich IV., ist von der Bewahrung auf einer der Burgen der Fränkischen Hauses, Hammerstein und Trifels, die Rede. Insignien des König- und Kaisertums werden nicht unterschieden.[521] Am Anfang des 10. Jahrhunderts werden als Insignien Krone, Zepter und Stab, Schwert, Mantel und Armspangen genannt; dazu kam unter Heinrich I. die heilige Lanze, manchmal wird der Ring, später wird auch ein Kreuz erwähnt. Der Reichsapfel, eine Kugel mit dem Kreuz, erscheint zwar schon auf Siegeln in der Hand des Kaisers zur Ottonenzeit, hat aber erst später Aufnahme unter die Reichsinsignien gefunden. An den hohen Festen, namentlich Ostern und Pfingsten, war es Sitte, dass der König öffentlich mit der Krone erschien. Ein königlicher Thron war der in der Kirche zu Aachen, von Marmor und zwischen zwei Säulen so erhaben, dass einige Stufen zu ihm hinaufführten. Aber auch sonst sass der König auf erhöhtem Sessel, und wurde der Thron zu den Insignien der Herrschaft gerechnet.

Immer noch galt Aachen vorzugsweise als königlicher Sitz; andere beliebte Pfalzen waren Frankfurt, Forchheim, Quedlinburg, Marburg, Mainz, Ingelheim, Tribur, Goslar, Speier. Kam der König in eine Stadt, so wurde er mit Glockengeläute und festlicher Begrüssung empfangen. Sein Aufenthalt galt als eine Ehre, war aber auch eine Last, da die festliche Bewirtung wenigstens mehrere Tage lang von dem Stifte getragen werden musste.

5. Das spätere Mittelalter. Mit den Hohenstaufen beginnt der Zerfall der einheitlichen Reichsregierung. Zwar erhielt in dieser Zeit die Idee des Kaisertums als der obersten allumfassenden weltlichen Macht eine neue Belebung durch das in dieser Zeit aufblühende Studium des römischen Rechtes und durch die nähere Bekanntschaft mit der Gesetzgebung der späteren Kaiser und den damit verbundenen Begriffen kaiserlicher Grösse und Machtvollkommenheit. Zugleich aber drangen jetzt die Grundsätze des Lehenswesens in die Reichsordnung und der Kaiser galt nur noch als das oberste Haupt der das ganze Reich umfassenden feudalen Gliederung. Die Herzogtümer, Grafschaften, Markgrafschaften, Pfalzgrafschaften u.s.w. erhielten den Charakter von Benefizien, ihre Träger den von Vasallen; ja einzelne Reichsgüter, Jurisdiktionen, Blutbann und andere Regalien wurden vom Reiche in mannigfachen Anwendungen an Fürsten, Grafen, Herren und Städte zu Lehen gegeben. Dadurch wurde das Lehnswesen das Band, welches hauptsächlich die Ordnung des Reiches zusammenhielt und worin sowohl das Streben der Reichsstände nach Selbständigkeit, als das Bedürfnis einer auf Treue und Ehrfurcht gegründeten Verbindung mit dem Reichsoberhaupt ihren Ausdruck fanden. Die Belehnung musste bei jeder in der Person des Kaisers oder des Vasallen eintretenden Veränderung binnen Jahr und Tag nachgesucht werden; sie wurde dem Fürsten, der dabei zu Ross im Fürstenmantel zu erscheinen hatte, vom Kaiser in Person, nachdem der Vasall knieend und mit zusammengelegten Händen die Huldigung geleistet hatte, durch Überreichung einer Fahne als Abzeichen hoher Gewalt erteilt; daher der Name Fahnlehen. Die geistlichen Fürsten wurden mit den Regalien durch das Zepter investiert; wenn sie aber dazu ein besonderes Fürstentum bekamen, so wurden auch sie damit mit der Fahne belehnt und nahmen dann auch die Fahnen in ihre Münzen auf. Nach der Belehnung wurde der Lehnbrief ausgefertigt; bevor das vor sich gegangen war, konnte man von den Untergebenen keine Huldigung verlangen noch Verleihungen vornehmen.

Eine wesentliche Veränderung ging auch in der Art der Wahl des Kaisers vor sich. Während sich früher alle Fürsten und Grossen des[522] Reiches daran beteiligt hatten, traten allmählich sieben Fürsten in den Vordergrund, denen schliesslich die Wahl allein zukam; sie erscheinen zuerst als geschlossenes Kollegium bei der Wahl Otto's IV. im Jahre 1209, doch wird noch längere Zeit erwähnt, dass diese Fürsten nicht nach ihrem Belieben, sondern mit Berücksichtigung des Willens sämtlicher Fürsten die Wahl vornehmen sollten; der Name Kurfürst aber ist erst seit dem Beginne des 14. Jahrhunderts nachgewiesen. Diese Fürsten sind die drei Erzbischöfe von Mainz, Trier und Köln und die vier weltlichen Fürsten, denen zugleich die Erzämter des Reiches beigelegt waren: der Pfalzgraf bei Rhein (Franken) als Truchsess und eben darum auch der oberste unter den weltlichen Fürsten, der Herzog von Sachsen als Marschall, der Markgraf von Brandenburg als Kämmerer, und als Schenk der König von Böhmen; da aber die Könige von Böhmen mehreremal undeutsch waren, legte man ihre Kurstimme dem Herzoge von Bayern bei; die goldene Bulle bestätigte jedoch den böhmischen König. Das Prinzip der Stimmenmehrheit bei der Königswahl wurde zum ersten Mal im ersten Kurverein ausgesprochen, einem im Jahre 1338 von den Kurfürsten zu Rense am Rhein geschlossenen Vertrage.

Als Wahlort entschied sich seit der Wahl Friedrich I. das Herkommen allmählich für Frankfurt.

Der Unterschied zwischen König- und Kaiserwürde und Amt verlor sich mit der Zeit ganz, das deutsche Königstum ging in das Kaisertum auf; Maximilian nahm schliesslich den kaiserlichen Titel ohne Krönung durch den Papst oder einen Stellvertreter an. Mehr und mehr beruht das kaiserliche Ansehen auf der Hausmacht seines Geschlechtes. Dagegen wurde das Zeremoniell des Kaisers mit Ängstlichkeit bewahrt; besonders wurden in der goldenen Bulle Karl's IV. vom Jahr 1356 und in folgenden Reichstagsabschieden die genauesten Bestimmungen darüber gesetzlich festsetzt. Die erste Wahlkapitulation, welche das Verhältnis des Kaisers zu den Reichsständen festsetzte, wurde von den Kurfürsten bei der Wahl Karl's V. 1519 entworfen und vorgelegt. Waitz, Verf.-Gesch. – Für die ersten Perioden, Dahn, Die Könige der Germanen; Sybel, Entstehung des deutschen Königtums. Vgl. auch den Artikel Krönungsinsignien.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 515-523.
Lizenz:
Faksimiles:
515 | 516 | 517 | 518 | 519 | 520 | 521 | 522 | 523
Kategorien:

Buchempfehlung

Anonym

Schau-Platz der Betrieger. Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln

Schau-Platz der Betrieger. Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln

Ohnerachtet Schande und Laster an ihnen selber verächtlich / findet man doch sehr viel Menschen von so gar ungebundener Unarth / daß sie denenselben offenbar obliegen / und sich deren als einer sonderbahre Tugend rühmen: Wer seinem Nächsten durch List etwas abzwacken kan / den preisen sie / als einen listig-klugen Menschen / und dahero ist der unverschämte Diebstahl / überlistige und lose Räncke / ja gar Meuchelmord und andere grobe Laster im solchem Uberfluß eingerissen / daß man nicht Gefängnüsse genug vor solche Leute haben mag.

310 Seiten, 17.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon