[477] Kanzler. Unter den merowingischen Königen war es der aus römischen Verhältnissen stammende referendarius, der die Urkunden des Königs ausfertigte und unterschrieb, zu welchem Behuf ihm der königliche Siegelring übergeben war. Es ist unter den weltlichen Hofämtern eines der einflussreichsten, da es dem Inhaber Sitz und Stimme im königlichen Rat und Gericht erteilte. Es gab ihrer wie der übrigen Hofämter mehrere zugleich, die Königin hatte einen besonderen[477] für sich. Seit Pipin und Karl dem Grossen heisst der Beamte, dem die Ausfertigung und Besiegelung von Urkunden zukommt, regelmässig Kanzler oder Notar; es giebt ihrer auch jetzt noch mehrere, die zum Teil zu Botschaften verwendet werden. Erst unter Ludwig dem Frommen tritt unter ihnen als erster ein oberster Notar oder Erznotar, protonotarius, summus notarius des kaiserlichen Palastes auf, der unter Ludwigs Söhnen summus cancellarius, oberster Kanzler heisst. Fast immer war es jetzt ein Geistlicher, ein Abt eines Klosters oder sonst ein Mitglied der königlichen Kapelle (siehe diesen Artikel), die jetzt überhaupt in nahe Beziehung zur Kanzlei gebracht wurde. Doch erhält die letztere erst allmählich eine bestimmtere Ordnung, und die Ausdrücke Notar, Erzkaplan und Erzkanzler wechseln noch längere Zeit. Erst seit Lothar gab es regelmässig nur einen Kanzler, der meist nur die Urkunden unterschrieb; verfasst und geschrieben wurden sie von untergeordneten Kanzleibeamten. Mit der Kanzlei waren oft andere geistliche Stellen verbunden, namentlich die Propstei des Marienstiftes zu Aachen. Oft verwaltete ein Bischof das Kanzleramt, das überhaupt eine Staffel zu den höchsten Ehren des Reiches war; denn es hatte durch die Männer, die ihm vorstanden, und den Einfluss, den diese übten, eine viel wichtigere Bedeutung erlangt, als die formelle Leitung der Kanzlei mit sich gebracht hätte. Die Kanzler waren die regelmässigen Begleiter des Königs auf seinen Zügen und wurden durch das Vertrauen desselben zu allen bedeutenden Angelegenheiten beigezogen.
Jede Urkunde des Königs war an bestimmte Formen gebunden und bedurfte der Beglaubigung durch den Kanzler, wie der Besiegelung, die von ihm abhing und um derenwillen er das Siegel bewahrte.
Übrigens bestand neben demeigentlichen Kanzleramt das des Erzkanzlers und Erzkapellans fort und zwar meist in den Händen der Erzbischöfe von Mainz, Trier und Köln; für Italien und Burgund gab es eigene Kanzler; später blieb die Erzkanzlerwürde in Germanien an den erzbischöflichen Stuhl in Mainz geknüpft, der dann den eigentlichen Kanzler als seinen Vizekanzler ernannte, jedoch die Vorbereitung und Leitung der Reichsgeschäfte und Reichsverhandlungen in eigener Hand behielt. Waitz, Verf.-Gesch.