[583] Kanzler (lat. Cancellarius, franz. Chancelier, engl. Chancellor), der Beamte, der die Ausfertigung der Staatsurkunden zu besorgen hat. Die Kanzlerwürde war anfänglich eine der höchsten in den europäischen Reichen, die regelmäßig mit Geistlichen besetzt wurde, da diese fast allein im Besitz literarischer Kenntnisse waren. In Deutschland führte der Erzbischof und Kurfürst von Mainz den Titel Erzkanzler des heiligen römischen Reiches deutscher Nation. Der von ihm ernannte Vizekanzler war der eigentliche Reichsminister und mußte stets um den Kaiser sein. In Frankreich wurde der K. aus dem Stande der Rechtsgelehrten genommen; er war der oberste Staatsbeamte und wurde lebenslänglich ernannt. Da dies jedoch zu Unzuträglichkeiten führen konnte, wurde neben ihm noch ein Siegelbewahrer (Garde des sceaux) ernannt, welcher der eigentliche Justizminister war. In England ist der Großkanzler oder Lord-Kanzler (Lord High Chancellor of Great Britain) der erste Staatsbeamte, Mitglied des Geheimen Rats (privy Council), Präsident oder Sprecher des Oberhauses, Chef der Reichskanzlei, Justizminister und Vorsitzender des in dem obersten Gerichtshof bestehenden Appellationsgerichts (Court of appeal); er wird durch Übergabe des Staatssiegels ernannt und heißt daher auch Großsiegelbewahrer (Keeper of the Great Seal). Außerdem hat man in England noch einen K. des Herzogtums Lancaster und einen K. des Lehnshofs und der Finanzkammer (Chancellor of the Exchequer); letzterer ist der Finanzminister von England. Irland hat wieder seinen besondern Reichskanzler. In Deutschland wurden seit dem 15. Jahrh. auch die Präsidenten der obersten Gerichtshöfe K. genannt. In Preußen errichtete König Friedrich II. 1746 die Würde eines Großkanzlers, der an der Spitze der Justiz stand. Der erste und einzige war Samuel v. Cocceji (s. d.); später wurde der Fürst von Hardenberg zum Staatskanzler ernannt, nach dessen Tod aber diese Stelle nicht wieder besetzt. Nach der Verfassung des nunmehrigen Deutschen Reiches steht an der Spitze der Reichsverwaltung der Reichskanzler (s. d.), der den Vorsitz im Bundesrat führt und vom Kaiser ernannt wird. In Österreich führte eine Zeitlang Graf Beust den Titel »Reichskanzler«; außerdem wurden wiederholt Ministerpräsidenten zu Staatskanzlern ernannt. In der Schweiz ist der Bundeskanzler der Vorstand der Bundeskanzlei (s. Kanzlei). Auch die Bureauchefs der Konsuln und Gouverneure von Schutzgebieten führen zuweilen den Titel K. Endlich kommt die Bezeichnung K. als bloßer Titel vor. So gehört z. B. der »K. im Königreich Preußen« zu den vier großen Landesämtern des Königreichs Preußen und zu den erblichen Mitgliedern des preußischen Herrenhauses. Auch führt bei manchen Universitäten der Kurator den Titel K. Vgl. Stumpf, Die Reichskanzler (Innsbr. 186573, 3 Bde.); Seeliger, Erzkanzler und Reichskanzleien (das. 1889).