Nibelungenlied

[720] Nibelungenlied, ein strophisches Epos der mittelhochdeutschen Zeit, dessen Stoff der Volkssage entnommen ist, wurde wahrscheinlich zwischen 1180 und 1190 gedichtet. Es ist nur in zwei Umarbeitungen aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts erhalten.

I. Sein Inhalt ist in den Hauptzügen folgender:

In Worms halten die drei Könige der Burgunder, Gunther, Gernot und Giselher Hof. Einmal träumt ihrer Schwester Kriemhild, wie ihr zwei Adler einen wohlgezähmten Falken zerreisen, was ihre Mutter auf den Tod ihres Geliebten deutet. Stolz entgegnet das Mädchen: Was sagst du mir von einem Geliebten? Ich weiss wohl, wie die Liebe mit Leid lohnt und will die Minne meiden. Die Antwort der Mutter lautet, dass die höchste Seligkeit des Weibes Mannes-Minne sei.

In Niederland ist der Sohn des Königs, Siegfried, eben zum Ritter geschlagen worden. Man hat ihm viel von Kriemhilds Schönheit erzählt, und er beschliesst, um sie zu werben. Die Warnung vor der Macht und besonders vor Hagens Stärke schlägt er in den Wind; giebt man ihm das Mädchen nicht gutwillig, so will er es sich mit Gewalt erzwingen. Es ärgert ihn, dass man ihn vor der Tapferkeit der Burgunden warnt, ihn, der sich jeden zu bestehen getraut, und in dieser Stimmung reitet er in das Burgundenland.

In Worms sieht man ihn ankommen, weiss aber nicht, wer er ist. Nur Hagen vermutet, dass der stattliche Held wohl Siegfried sein möge. Er erzählt, wie derselbe in den Besitz des Nibelungenhortes gekommen sei, indem er die Riesen Schilbung und Nibelung erschlug und 700 Recken ihres Landes bezwang, wie er dem Zwerg Albrich die Tarnkappe nahm und einen Drachen tötete, dessen Blut seine Haut undurchdringlich machte. Die Könige werden dem kühnen Recken gewogen und empfangen ihn freundlich, allein Siegfried, noch ganz unter dem Eindrucke beleidigten Stolzes, weil man ihn den Burgunden nicht gewachsen gehalten hat, fordert den König Gunther ungestüm zum Zweikampfe heraus; auch Ortwin und Hagen beleidigt er. Gernot und Giselher aber vermitteln, und Siegfried denkt dann doch auch an die herrliche Jungfrau, die zu gewinnen er gekommen ist. Es bildet sich bald ein freundschaftliches Verhältnis, so dass Siegfried ein ganzes Jahr in Worms bleibt. Oft sieht ihn[720] Kriemhild bewundernd bei den Ritterspielen von den Frauengemächern aus und bald keimt in ihr die Neigung zu dem stattlichen Helden.

Die Könige der Dänen und Sachsen sagen den Burgunden den Krieg an. Diese sind in grosser Besorgnis, allein Siegfried erklärt sich bereit, den Kampf mit Hilfe von 1000 Rittern bestehen zu wollen. Er nimmt gleich zu Anfang den rekognoszierenden König der Dänen samt seinem Gefolge gefangen, und als ihn der Sachsenkönig in der Feldschlacht erkennt, ergiebt er sich verzweifelnd mit seinem Heere. Boten eilen mit der Siegesnachricht heim. Kriemhild brennt vor Begierde, von den Thaten des herrlichen Ritters zu hören, den sie im Herzen trägt, aber sie wagt kaum nach einem der Boten zu senden, denn sie fürchtet zu verraten, dass ihre Teilnahme den Thaten des Geliebten gelte. Der Bote schildert den Kampf anschaulich; immer tritt Siegfrieds Heldengestalt in den Vordergrund. Die Jungfrau lauscht seinen Worten mit Begeisterung; sie freut sich wohl auch über die Thaten ihrer Brüder, aber ihr Herz ist erfüllt von Siegfrieds herrlichem Bilde. Nach der Rückkehr der Kämpfer bereitet man sich zum Siegesfest, und um dasselbe noch glänzender zu machen, lassen die Könige ihre Schwester Kriemhild zum erstenmale mit ihrem Gefolge vor den Rittern erscheinen. Da putzt sich mancher junge Ritter und hofft, dass ein schönes Auge wohlgefällig auf ihm verweilen möchte. Siegfried, der Hauptheld, wird bestimmt, die königliche Jungfrau zu geleiten. Schüchtern führt er sie an der Hand, und der höfischen Sitte gemäss, darf ihm seine holde Begleiterin auch einen Kuss gewähren. Wie mancher Recke sieht da sehnsüchtig nach den Beiden! Sie dankt ihm für den Beistand, den er ihren Brüdern geleistet hat, und so sind sie die zwölf Tage des Festes hindurch in traulichem Beisammensein. Zum guten Schlusse werden die gefangenen Könige nach dem edelsinnigen Vorschlage Siegfrieds ohne Lösegeld freigelassen.

Gunther hat sich Brünhilde, die Königin von Island, zur Gemahlin ausersehen und bittet Siegfried um Hilfe bei der gefahrvollen Werbung. Dieser sichert sie ihm gerne zu und wagt nun endlich auch mit seiner Werbung hervorzutreten: Kriemhild soll sein Lohn sein. Wohlgerüstet begeben sich die Helden, nachdem alle Vorkehrungen getroffen sind, zu den Schiffen; Kriemhild bittet Siegfried, ihren Bruder zu schützen.

In Island angekommen, werden sie von der Königin empfangen, welche Siegfried für den werbenden König hält, er weist sie aber auf Gunther hin, für dessen Dienstmann er sich ausgiebt. Dieses grosse Opfer bringt er, um sich unbemerkt entfernen und ihm heimlich beistehen zu können, ohne dass sein Fehlen unter den Gästen auffällt. Nun beginnen die Kampfspiele, in denen Brünhilde durch Gunther besiegt werden muss, um ihm als Gattin nach Worms zu folgen. Siegfried geht zu den Schiffen und holt die Tarnkappe, welche ihn unsichtbar macht. So verhilft er Gunther zum Siege und stellt sich nachher, als hätte er den Spielen nicht beige wohnt.

Brünhild nimmt von den Ihrigen Abschied und mit günstigem Winde segeln sie nach Worms. Siegfried eilt als Bote voraus und wird von Kriemhild freudig empfangen. Sie entschuldigt sich, sie habe kein Botenbrot für einen so reichen König; er aber antwortet, wenn er dreissig Lande hätte, so würde ihn eine Gabe aus ihrer Hand glücklich machen. Als Gunther angekommen ist, wird die Vermählung gefeiert und bei der darauf folgenden Tafel Kriemhild mit Siegfried verlobt, indem sie die Ringe wechseln. Das muss der Brünhilde[721] auffallen, weil sie ja Siegfried für einen Eigenmann Gunthers hält. Sie befriedigt sich nicht mit den Ausflüchten Gunthers, droht, ihm ihre Minne nicht gewähren zu wollen und bindet ihm, da er sich ihr im Brautgemach liebewerbend naht, Hände und Füsse zusammen, worauf sie ihn an einen Nagel hängt. Am Morgen da er Siegfried sein Leid klagt und ihm seine geschwollenen Hände zeigt, verspricht ihm dieser seinen Beistand. Abends schleicht sich Siegfried von seiner Gemahlin weg und geht, durch die Tarnkappe unsichtbar geworden, in Gunthers Gemach. In gewaltigem Ringen besiegt er das starke Weib, das ihn für Gunther hält, und dieser darf sich nun ihrer Minne erfreuen. Siegfried nimmt im Übermute einen Ring von Brünhildens Hand und ihren Gürtel mit und übergiebt diese Gegenstände seiner Gemahlin.

Siegfried zieht nun mit seiner Gemahlin in sein Königreich. Brünhilden lässt es aber keine Ruhe, dass er gar keine Zeichen von Unterthänigkeit giebt, keinen Zins entrichtet und sich nie bei Hofe sehen lässt. Sie verlangt von Gunther, dass er ihm einmal herzukommen befehle, worauf dieser endlich einwilligt ihn einzuladen. Brünhild erkundigt sich eifersüchtig bei den Boten, ob denn Kriemhild noch immer so schön sei. Die reichen Geschenke, die ihnen Siegfried gespendet hat, erwecken in Hagen den Gedanken an dessen grossen Schatz. Er war von jeher von Neid gegen Siegfried erfüllt. Früher hatte er die erste Rolle am Hofe der Burgunden gespielt, sein Rat war die letzte Zuflucht der Könige gewesen, seit aber Siegfried gekommen ist, sieht er sich beiseite gestellt. Der Besitz eines Schatzes verschafft Macht, mit Gold kann man Heere werben, und es keimt in Hagens Sinn sofort der Wunsch, Siegfried beiseite zu schaffen und den Hort zu gewinnen.

Die Gäste werden wohl empfangen; Brünhild wirft verstohlen manchen Blick auf ihre Schwägerin, deren Schönheit Alle überstrahlt. Schon elf Tage dauert das Fest, da sehen die Königinnen einmal zusammen dem Waffenspiele zu. Kriemhild ist glücklich über die Thaten ihres Gatten; ihr liebendes Herz fliesst über in bewundernden Worten. In ihrem Glücke überhört sie die Rede der Brünhild, welche hervorhebt, dass er eben doch Gunthers Leibeigener sei. Brünhild wiederholt diese Worte, welche Kriemhild einfach dadurch zurückweist, dass Gunther sie, seine Schwester, doch gewiss nicht seinem Leibeigenen vermählt hätte. Brünhilde aber wird immer bitterer, und nun gerät auch Kriemhild in Aufregung, sie stellt Siegfried sogar höher als Gunther. Zornig spricht die Burgundenkönigin: »Ich will sehen, ob man dich oder mich mehr ehrt.« »Jawohl,« entgegnet Kriemhild, »mein Gatte ist der Trefflichste, der je eine Krone trug.« Sie trennen sich, um sich zum Kirchgange zu kleiden. Brünhild mit ihrem Gefolge ist die erste beim Münster und erwartet Kriemhild, um zu sehen, ob sie es wagen werde, vor ihr die Kirche zu betreten. Dieselbe naht mit ihrem Gefolge; das im Glanze seiner Kleidung alles überstrahlt. Brünhild ruft ihr zu: »Nun warte; vor der Königin soll keine leibeigene Magd gehen.« »Schweige,« entgegnet die aufs höchste gereizte Kriemhild, »du bist ja ein Kebsweib; wisse, dass dir mein Mann, nicht Gunther, das Magdtum genommen hat.« Darauf schreitet sie mit ihrem Gefolge ins Münster und lässt die weinende Brünhild draussen stehen. Diese wartet, bis Kriemhild zurückkommt und setzt sie zur Rede. Kriemhild bekräftigt ihre Worte durch den Ring und den Gürtel, den sie von ihrem Gemahle erhalten hat. Laut weinend lässt Brünhild ihren Gatten und Siegfried[722] rufen, welcher seine Unschuld durch den Reinigungseid bezeugt.

Hagen kommt dazu und findet die Zeit höchst günstig für seine Absichten. Unter dem Vorwand, die Schmach seiner Königin zu rächen, kann er den verhassten Nebenbuhler beseitigen und zugleich den Schatz gewinnen. Er rät also den burgundischen Königen Siegfrieds Tod; anders könne die erlittene Schmach nicht gesühnt werden. Sie wollen aber nicht darauf eingehen; Siegfried hat ja den Reinigungseid geleistet und seine vielfachen Beweise uneigennütziger Freundschaft sind noch in frischer Erinnerung. Jetzt tritt Hagen mit seinem eigentlichen Gedanken hervor: »Wenn uns Siegfrieds Tod seinen Schatz verschaffte, so würde sich unsere Macht über alle Lande ausbreiten!« Gunther ist zu unselbständig, als dass er Hagens Rat ohne weiteres verwerfen könnte. Er weist nur darauf hin, dass bei der Stärke Siegfrieds doch kein Erfolg zu hoffen wäre, wenn man den Plan auch ausführen wollte. »Das überlasst nur mir,« spricht Hagen, »dafür werde ich schon sorgen«. Er weiss, dass Siegfried eine verwundbare Stelle hat und es gilt nun vor Allem, von Kriemhild zu erfahren, wo sich dieselbe befindet. Zu diesem Zwecke ersinnt er eine List; er lässt durch eine falsche Botschaft den Burgundenkönigen den Krieg ansagen. Siegfried bietet, wie zu erwarten war, sofort seine Hilfe an, Kriemhild aber ist in höchster Angst, denn sie fühlt wohl, dass sie eine feindliche Stimmung gegen Siegfried hervorgerufen hat. Daher sucht sie Hagen, der am meisten zu fürchten ist, zu gewinnen. Als er zu ihr kommt, um Abschied zu nehmen, gesteht sie, Unrecht gehabt zu haben, bittere Reue quäle sie. Sie vertraut ihm auch ihre Besorgnis an, man möchte ihre Schuld Siegfrieden entgelten lassen und fleht ihn, denselben zu schützen. Das verspricht er und rät ihr, ein rotes Kreuzchen auf die Stelle zu nähen, die er schützen solle. Damit hat er seinen Zweck erreicht und der angebliche Krieg wird nun wieder abgesagt.

Bald nachher rüstet man sich zu einer Jagd, die am Odenwalde stattfinden soll. Böse Träume haben Kriemhild geängstigt, sie beschwört Siegfried, dieses Mal zurückzubleiben, allein er lässt sich durch ihre Besorgnis nicht abhalten. Auf der Jagd thut er Wunder der Kühnheit; er fängt sogar einen Bären, bindet ihn lebendig und hängt ihn an den Sattel. Alles staunt den wunderlichen Fang an; im Lager lässt er das Tier los, das sich eiligst flüchtet und dabei unter die Kessel und Töpfe der entsetzten Köche gerät, was drollige Szenen veranlasst.

Hagen bemerkt plötzlich, dass man ja den Wein vergessen habe, kennt aber eine nahe Quelle, die den Labetrunk spenden soll. Gunther schlägt einen Wettlauf mit Siegfried vor. Dieser nimmt seine Waffen, Schild und Schwert zur Hand und legt sich sogar auf die Erde, während Gunther und Hagen blos mit den Hemden bekleidet zu laufen beginnen. Trotzdem erreicht er die Quelle zuerst, wartet aber auf Gunther, um ihm die Ehre des ersten Trunkes zu lassen. Sorglich legt er ihm den Schild zu dem Wasser hin, damit er nicht auf die Erde knien müsse. Nachdem Gunther getrunken hat, kniet Siegfried nieder: »dô engalt er sîner zühte« da lohnte man ihm seine Liebenswürdigkeit! Hagen schafft alle Waffen schnell bei Seite, ergreift einen Speer und durchbohrt Siegfried an der Stelle, wo das rote Kreuzchen aufgenäht ist. Totwund erhebt sich der Held, mit dem Schild schlägt er den fliehenden Hagen nieder, der noch nie in grösserer Lebensgefahr war. Aber Siegfried ist zu schwach, und fällt in die Blumen Mehr als die Wunde[723] schmerzt ihn die Treulosigkeit seiner Verwandten, und es ist rührend, wie er bittet, wenigstens seine liebe Gemahlin wohl zu behandeln.

Niemand wagt es, der Kriemhild die Trauerbotschaft zu überbringen; Hagen aber zeigt seine ganze Roheit und legt ihr den Leichnam gerade vor die Schwelle. Als sie am Morgen die Leiche erblickt, ist ihr Jammer furchtbar. Wie Hagen und Gunther zu dem Toten treten, beginnen die Wunden wieder zu bluten, jetzt ist kein Zweifel mehr: Brünhild riet die That, und Hagen ist der Mörder.

Rache, blutige Rache ist der einzige Gedanke, der im Herzen des unglücklichen Weibes noch Raum hat. Mit den Brüdern versöhnt sie sich zwar wieder, nicht aber mit Hagen. Sie lässt den Nibelungenhort nach Worms kommen und wirbt fremdes Kriegsvolk damit, was ihre Brüder beunruhigt: sie nehmen ihr den Schatz und übergeben ihm Hagen, der ihn zu Loheim in den Rhein versenkt.

Etzel, (Attila), dem seine Gattin gestorben ist, wirbt durch den Markgrafen Rüdeger um Kriemhild. Hagen rät den Brüdern ab, der Werbung Gehör zu schenken, denn alle Macht in den Händen dieses aufs tiefste verletzten Weibes erscheint ihm gefährlich. Allein die Brüder willigen ein. Kriemhild selbst will zuerst nicht darauf eingehen, bis ihr Rüdeger, der nichts von den Verhältnissen weiss, schwört, ihr stets der nächste sein zu wollen, der ein ihr zugefügtes Leid räche. Mit ziemlich kaltem Abschied scheidet sie von ihren Brüdern und reist mit dem Markgrafen dem rechten Donauufer entlang. Nach dem freundlichen Empfang, den ihr Rüdegers Familie zu Bechelaren bereitet hat, trifft sie Etzel an der Grenze. Die achtzehntägige, reiche Vermählungsfeier findet zu Wien statt und darauf zieht Kriemhild als neue Herrin in Etzelnburg ein. Ein Söhnchen beglückt sie, aber ihre Gedanken weilen doch noch oft am Rhein; sie wünscht ihre gute Mutter her und träumt von Giselher, ihrem jüngsten und liebsten Bruder.

Zwölf Jahre sind vergangen; noch immer betrauert sie Siegfried in ihrem Herzen. Sorglich hat sie Alles vorbereitet und nun soll die Rache über Hagen hereinbrechen. Sie lässt ihre Brüder durch König Etzel in das Hunnenland einladen und trägt den Boten noch besonders auf, doch ja dafür zu sorgen, dass Hagen mitkomme. Die Könige nehmen trotz der Warnung Hagens die Einladung an und Hagen entschliesst sich mitzugehen, obgleich er den Plan der Kriemhild durchschaut und weiss, dass es besonders auf ihn abgesehen ist. Die Boten bringen die Nachricht zu den Hunnen und Kriemhild frohlockt, da sie vernimmt, dass Hagen nicht zurückbleiben werde.

Hagen ist zu stolz, als dass er den Anschlägen Kriemhilds furchtsam ausweichen wollte, da doch die Könige die Gefahr nicht fürchten. Er muss am Zuge teilnehmen, wenn er nicht für feige gehalten sein will. Er sieht ein, dass dem Verhängnis nicht zu entrinnen ist und geht ihm trotzig, die Gefahr selbst herausfordernd, entgegen. Als Ute, die Mutter der Könige, ihre Söhne beschwört, nicht fortzuziehen, da ein böser Traum ihr Unheil verkündet habe, ist Hagen der erste, der sie zurückweist und Weiberträume Thorheiten nennt. Eine komische Rolle spielt der Küchenmeister Rumold, der Gunther zurückzuhalten sucht und verspricht, ihm dann immer sein Lieblingsgericht kochen zu wollen.

Die Donaunixen weissagen Hagen auf der Reise, dass niemand ausser dem Kaplan wieder heimkehren werde. Hagen wirft ihn auf[724] der Überfahrt ins Wasser, um die Prophezeihung zu prüfen. Der Misshandelte schwimmt aber wieder zurück ans Ufer, wo er seinem Ärger durch weidliches Schimpfen Luft macht. Jetzt erkennt Hagen, dass er richtig vorausgesehen hat; niemand wird seine Heimat wieder sehen, und er zertrümmert das Boot, das sie übergeführt hat. Die Herren des Landes, die sich ihnen in den Weg stellen, werden besiegt; die Schaar zieht weiter und trifft auf den Markgrafen, der die Grenze behütet und sie warnt.

Während so auf allen Seiten trübe Wolken den nahenden Sturm verkünden, bricht plötzlich ein heller Sonnenstrahl hervor und zeigt uns ein liebliches Bild, den reizend dargestellten Aufenthalt bei Rüdeger in Bechelaren. Es ist allerliebst geschildert, wie die schöne Tochter Rüdegers beim Empfang den grimmigen Hagen lieber nicht geküsst hätte, was sie doch der Etiquette gemäss thun muss. Dagegen gefällt ihr der junge Burgunderkönig Giselher sehr gut, und die gegenseitige Neigung führt zur Verlobung. Jeder erhält beim Abschiede ein Geschenk, Gunther eine Rüstung, Gernot ein Schwert, Hagen einen vortrefflichen Schild. Nur Giselher erhält nichts; Rüdeger hat ihm ja das Beste, was er besitzt, seine schöne Tochter zu eigen gegeben. Er giebt seinen Gästen das Geleite, damit sie sicher bei Etzel ankommen.

Der König Dietrich von Bern, der an Etzels Hofe weilt, reitet ihnen entgegen und warnt sie, indem er verrät, dass Kriemhild den ermordeten Siegfried noch immer beweine, somit sei es geboten, auf der Hut zu sein. Hagen spottet: »Ihre Thränen werden ihn wohl nicht so schnell wieder lebendig machen.« Kriemhild geht ihnen zum Empfang entgegen, es ist ihr aber nicht möglich, ihren Groll ganz zu verbergen; mit Hagen wechselt sie bittere Worte. Die Burgunden geben die Waffen nicht ab, und zornig sieht die Königin, dass sie gewarnt worden sein müssen.

Hagen und der Spielmann Volker, der das Schwert eben so gut zu führen weiss, als den Fiedelbogen, sitzen nachher zusammen vor dem Saal und Kriemhild geht an ihnen vorüber. Volker will sich erheben, wie es sich geziemt, Hagen aber sagt: »Nein, sie könnte glauben, wir fürchten sie.« Er entblösst vielmehr sein Schwert, das Siegfried einst gehört hat, und entgegnet der Königin, die ihm Vorwürfe macht, kaltblütig: »Ja wohl, ich habe dir Leides genug gethan: ich habe dir den Siegfried erschlagen.« Die Ritter im Gefolge der Königin wagen es aber nicht, den Kampf mit den Beiden aufzunehmen, und so geht diese günstige Gelegenheit vorüber. »Nehmt das Eisengewand und ergreift die Schwerter,« ruft Hagen seinen Genossen am Morgen zu, als sie zur Messe gehen, und da Etzel sich darüber wundert, erwidert er, das sei so der Burgunden Brauch. Nachher wird turniert und Volker tötet dabei einen der vornehmsten Hunnen; Etzel aber beschwichtigt seine Leute, da es nur ein unglücklicher Zufall gewesen sei.

Kriemhild, die vergeblich Dietrich von Bern und seinen Waffenmeister Hildebrand gebeten hat, sie zu rächen, wendet sich nun an Blödelin, der mit seinen Leuten alle Knappen in der Herberge der Gäste erschlägt. Dankwart tötet ihn und bahnt sich einen Weg durch die Feinde, um zu seinen Gefährten zu gelangen, die mit Etzel im Saale zu Tafel sitzen.

Hier hat Hagen den Hunnenkönig gröblich beleidigt und Alle sind in aufgeregter Stimmung. Plötzlich erscheint Dankwart bluttriefend[725] vor dem Saal. Da fährt Hagen auf: »Jetzt wollen wir dem König seinen Wein bezahlen;« Der erste Schlag trifft Etzels Söhnlein, dessen Haupt in den Schoss Kriemhilds rollt. Volker, der Spielmann, fiedelt mit seinem Schwerte ungefüge Töne auf den Leibern der Hunnen, die sämtlich erschlagen werden. Nur Etzel und Kriemhild werden von Dietrich gerettet und auch Rüdeger mit seinen Mannen verlässt den Saal, der nun von Etzels Mannen rings umzingelt wird. Hagen wird von mehreren Hunnen bestanden und in grosse Not gebracht, siegt aber schliesslich doch immer. Die Burgundenkönige suchen ihre Schwester zu besänftigen, und sie ist auch zum Frieden bereit, aber nur unter der Bedingung, dass Hagen ausgeliefert werde, worauf die Burgunden natürlich nicht eingehen können. Da lässt Kriemhild das oberste Stockwerk des Saales anzünden; die Haupthelden der Belagerten bleiben aber immer noch am Leben. Das Blut steht so hoch im Saal, dass die niedersinkenden Verwundeten ertrinken, und auf Hagens Rat stillen die Helden ihren Durst damit.

Jetzt ist noch Rüdeger übrig von den hunnischen Recken. Der König bittet ihn, den Streit mit den Feinden zu bestehen, und so kommt der Markgraf in eine verzweifelte Lage. Er fleht: »Nimm mir mein Lehen, alles, was ich besitze, lass mich betteln gehen, nur fordere nicht, dass ich meinen Gästen, meinen Freunden, meinen Verwandten in ihrer Not als Feind gegenübertrete!« Da erinnert ihn Kriemhild an den Eid, den er ihr geleistet hat, als er um sie warb, dass er jederzeit der erste sein wollte, der ihr Leid räche. Nun kann er nicht mehr ausweichen, er muss sein Schwert gegen die ziehen, die mit ihm durch die engsten Bande verbunden sind. Als er den Burgunden naht, glauben sie, dass ihnen Hilfe komme; allein er setzt den Schild vor den Fuss zum Zeichen der Fehde. Die Helden klagen: »Willst du deine Tochter denn schon zur Wittwe machen?« ruft ihm Giselher zu. Hagen zeigt den Schild, den er von ihm als Gastgeschenk empfangen hat und der ganz zerhauen ist. Rüdeger giebt ihm den seinen und wünscht, dass er ihn noch in seinem Heimatlande tragen möge. Thränen der Rührung treten den Helden ins Auge bei diesem letzten Zeichen von Rüdegers Treue und Freigebigkeit. Dann beginnt der Kampf. Die Mannen Rüdegers und die Überbleibsel des burgundischen Gefolges fallen; Rüdeger und Gernot erschlagen sich gegenseitig und werden von den Burgunden tief beklagt.

Dietrich hört von dem Tode Rüdegers, seines treuen Freundes, und verlangt zornig den Leichnam heraus. »Hole ihn selber«, ist die trotzige Antwort. Volker fährt fort, zu höhnen und zu spotten, und so kommt es zum Kampfe, in welchem Alle, ausser Dietrich und Hildebrand, Gunther und Hagen fallen. Zuletzt überwältigt Dietrich die beiden Burgunden und bringt sie gebunden vor Kriemhild, indem er ihr Gnade für die kühnen Recken empfiehlt. Sie verlangt von Hagen die Angabe des Ortes, wo der Nibelungenhort verborgen liegt. Hagen weiss wohl, dass Nichts mehr sein Leben retten kann, will der Königin aber noch den letzten Schaden anthun: sie soll den Ort des Schatzes nie erfahren. »So lange einer meiner Herren lebt,« sagt er, werde ich den Ort nicht verraten Da lässt sie ihrem Bruder das Haupt abschlagen und zeigt es Hagen. »Jetzt weiss den Schatz niemand, als Gott und ich; und du wirst seinen Ort nie erfahren!« ruft er frohlockend aus. Da zieht sie Siegfrieds Schwert aus der Scheide und erschlägt ihn. Ergrimmt darüber, dass die kühnen Helden durch die Hand des blutdürstigen[726] Weibes gefallen sind, dessen wilde Rache so viel Unheil stiftete, haut Hildebrand auch sie nieder. So nimmt, was in Liebe und Glück begonnen hat, ein blutiges Ende, »als ie diu liebe leide an dem ende gerne gît.«

II. Die Frage nach dem Handschriftenverhältniss, womit auch die Frage nach der Entstehung des Gedichtes zusammenhängt, ist noch keine endgültig gelöste. Es sind sehr viele Handschriften vorhanden. Die meisten gehören zu der Gruppe, welche man die Vulgata zu nennen pflegt, an deren Spitze B, die St. Galler Handschrift, als die beste steht. Die Hohenems-Münchener Handschrift A nimmt in dieser Gruppe eine eigentümliche, selbständige Stellung ein. Weniger zahlreich ist die Gruppe, deren Hauptvertreter die Hohenems-Lassbergische Hdschr. C ist.

Bodmer wurde zuerst auf die Hdschr. C aufmerksam gemacht und gab deren letzten Teil heraus, Myller liess dann auch noch den vordern Teil abdrucken, aber nach der Hdschr. A. Bodmer hielt A für die älteste Hdschr., und diese Meinung wurde allgemein angenommen, ohne dass irgend Jemand einen Beweis versucht hätte. Schon Docen blieb es nicht verborgen, dass C die älteste der uns erhaltenen Handschriften sei. Lachmann, der anfänglich diese Meinung teilte, gelangte später zu der entschiedenen Ansicht, dass die spätere Hdschr. A eine ältere Gestalt des Textes enthalte. Den Untersuchungen Wolfs zufolge sind die homerischen Gedichte als Verknüpfungen einzelner Lieder zu betrachten, und die mehrfache Vergleichung des Nibelungenliedes mit der Ilias, namentlich aber die vielen inneren Widersprüche in der Hdschr. A, wiesen darauf hin, zu untersuchen, ob sich nicht auch für das deutsche Epos das gleiche Verhältnis nachweisen lasse. Lachmann kam zu dem Resultate, dass das ganze Gedicht aus 20 romanzenartigen Liedern zusammengefügt sei, deren Strophenzahl sich immer durch 7 teilen lasse. Diese Volkslieder wurden seiner Zeitbestimmung zufolge etwa um 1190–1210 gedichtet, dann mit Zusätzen versehen und um 1210 zu einem Ganzen vereinigt, wie es A, freilich schlecht, überliefert. Der Verfasser des Textes B verbesserte die rohe Arbeit und sein Text wurde dann in C um 1220 noch einmal geglättet und verfeinert. Lachmann suchte nun aus A die ältesten Lieder wieder herauszuschälen, von denen er annahm, dass sie ganz unverändert in das Epos aufgenommen seien. Nach allerdings nicht immer konsequent durchgerührten Kriterien erklärt er eine Menge Strophen für unächt, vom Bearbeiter hinzugedichtet, und kam so zu den 20 Liedern.

Zuerst trat Holtzmann (1854) gegen diese Aufstellungen Lachmanns auf, die lange Zeit unangefochten geblieben waren, und ihm folgten sogleich mehr Gelehrte welche der Kritik Lachmanns den Vorwurf der Befangenheit in einer vorgefassten Meinung machten. Während sonst in der Kritik der Grundsatz gilt, dass man vom besten Texte auszugehen und, sofern nichts dagegen spricht, die ältesten Handschriften besonders zu berücksichtigen hat, so war in diesem Fall von Lachmann das umgekehrte Verfahren eingeschlagen. Nur die Liedertheorie konnte ihn dazu berechtigen, nur wenn diese feststand, ergab sich A als der ursprüngliche Text, aber die Liedertheorie selbst war bloss zu stützen, wenn A als ursprünglichster Text angenommen wurde. Die Kriterien für die Ausscheidung der Lieder fand man zu willkürlich und die Teilbarkeit durch 7 in der Strophenzahl ungenügend begründet.

Die Ansichten des damals bereits verstorbenen Lachmann suchten besonders [727] Müllenhoff und Lielienkron, in neuerer Zeit auch von Muth gegen diese Angriffe zu verteidigen, während Wilmanns, an Lachmann anknüpfend, mit einer neuen Ansicht von der Entstehung des Gedichtes hervortrat.

Holtzmann gelangte zum Resultate, dass C den Text am besten erhalten habe, während B und A stufenweise Verschlechterungen desselben seien. Durch Zarncke wurde diese Ansicht besser begründet, da Holtzmanns Ausführungen noch manches Unüberlegte und Flüchtige enthalten hatten. Seinen Untersuchungen zufolge ist die Handschrift C im Beginn, B in der Mitte, A gegen das Ende des 13. Jahrhunderts geschrieben worden. Das Original des Nibelungenliedes ist uns zwar verloren, aber in C ziemlich treu erhalten. B enthält den Text einer grobkörnigeren Bearbeitung, und A ist durch vielfache Auslassungen und Verschlechterungen aus B entstanden.

Ein anderer Gegner erwuchs der Lachmann'schen Ansicht in Bartsch. Auch er legt A keinen massgebenden Wert bei, stellt das Verhältnis von C und B aber etwas anders auf, als Zarncke. Nach ihm sind C und B Umarbeitungen eines verlorenen Originals; dafür spricht namentlich der Umstand, dass die Kombination mancher Lesarten, wo die beiden Handschriften im Reime von einander abweichen, Assonanzen ergiebt, welche C und B offenbar in reine Reime umzuwandeln strebten. B soll dabei mehr Ursprüngliches in sich schliessen, als C, was Bartsch durch die Untersuchung der Metrik in den Strophen, welche nur in einer der beiden Handschriften stehen, darzuthun bemüht ist.

Die beiden Bearbeitungen gehen so weit auseinander, dass an eine Rekonstruktion des Originals nicht zu denken ist; man hat sich also an eine derselben zu halten. Ob C oder B. mehr Ursprüngliches erhalten haben, ist eine noch nicht endgültig entschiedene Frage; für B sprechen mehr äussere, für C mehr innere Gründe. Allgemein wird aber anerkannt, dass C die weitaus schönere und feinere Textesrezension in sich schliesse; jedem, der das Nibelungenlied des ästhetischen Genusses wegen lesen will, ist C in erster Linie zu empfehlen.

III. Für die Entstehung des Gedichtes sind, den Ansichten über das Handschriftenverhältniss entsprechend, ebenfalls abweichende Meinungen vorhanden. Dass der Sagenstoff ursprünglich in einzelnen Liedern verbreitet war, ist durch die Lieder der ältern Edda, soweit sie diesen Sagenkreis betreffen, bezeugt, dann aber auch noch durch zwei wichtige Stellen in der vita Canuti und bei Saxo Grammaticus. In den ersten Tagen des Jahres 1131 sucht der deutsche Sänger Siward den Herzog Knud Laward von Schleswig vor der hinterlistigen Einladung des dänischen Königs zu warnen, indem er ihm dreimal den vielbesungenen Verrat der Kriemhilde an ihren Brüdern vorsingt. Nach Lachmann ist das Nibelungenlied einfach eine Verknüpfung solcher Lieder. Zarncke und Bartsch sehen es dagegen als das Werk eines einzigen Dichters, eines fahrenden Sängers an, der nur den Stoff aus den alten Liedern schöpfte. Wilmanns ist in neuerer Zeit mit einer Ansicht aufgetreten, die derjenigen Lachmann's ähnlich ist, aber trotzdem ganz neue Gesichtspunkte enthält. Er nimmt an, dass sich Gedichte, welche einzelne Haupthelden des Nibelungensagenkreises zum Mittelpunkt hatten, miteinander verbanden, und dass diese grösseren Dichtungen wieder ineinander gearbeitet wurden. Es wäre dies also eine Entstehung durch Kontamination. So geistvoll diese Anschauung ist, so fehlt es ihr doch an überzeugender Kraft, und sie hat sich wenig Geltung verschafft (vgl. Germania[728] XXIV, 201) und die anderen dort aufgeführten Rezensionen.

IV. Über die Person des Dichters sind manche Ansichten aufgestellt und als haltlos zurückgewiesen worden. Am meisten hat die Vermutung Pfeiffer's für sich, welche dann von Bartsch verteidigt wurde, dass das Gedicht dem Kürnberger zuzuschreiben sei, dessen Minnelieder, in der Pariser Handschrift erhalten, die Form der Nibelungenstrophe zeigen. Diese Ansicht ist aber nicht durchgedrungen, da sie auf zu unsichern Boden gebaut ist.

V. Die Zeit der Verbindung jener 20 Lieder, aus welchen er das Epos zusammengefügt sein lässt, setzt Lachmann um 1190–1210. Holtzmann stellte die Abfassung des Nibelungenliedes ins 10. Jahrhundert, was entschieden unhaltbar ist; nach Zarncke ist es nicht viel vor 1200 entstanden, wie sich aus Verskunst, Reim und Sprache schliessen lässt. Nach Bartsch fällt die Entstehung des Originals in die Zeit von 1140 bis 1150, da Kürnberger seine Lieder um diese Zeit dichtete. Wer aber die Verfasserschaft des Kürnbergers für das Nibelungenlied nicht annimmt, für den fällt auch diese Datierung: denn das Gedicht selbst giebt durchaus kein Recht zur Annahme eines so hohen Alters, spricht vielmehr eher dagegen. (Vgl. Paul, Beiträge III, 373.) Die beiden Bearbeitungen des Originals, welche durch B und C vertreten sind, weist Bartsch der Zeit von 1190–1200 zu.

VI. Als Ort der Entstehung des Liedes hat man allgemein Österreich angenommen; Zarncke suchte (1857) darzuthun, dass mehr Wahrscheinlichkeit für Tirol spreche.

VII. Die Strophe besteht aus vier Langzeilen, deren jede in zwei Hälften zerfällt. Jede Hälfte wird durch drei Hebungen gebildet und die erste hat klingenden, die zweite stumpfen Schluss. Nur die letzte Hälfte des vierten Verses enthält vier Hebungen mit stumpfem Ausgang. Solche Verlängerungen des Strophenschlusses waren im 12. Jahrhundert sehr beliebt. Dieselbe Strophenform wurde schon von dem Minnesinger Kürnberger verwendet. (Minnesangs Frühling S. 7.)

VIII. Die Nibelungen-Klage ist eine angehängte Schlussdichtung in Reimpaaren und in den meisten Handschriften des Nibelungenliedes enthalten, so dass dessen Handschriftenverhältnis auch für die Klage gilt. Der Inhalt besteht aus einer kurzen Wiederholung der Handlung, welche der zweite Teil des Nibelungenliedes darstellt, worauf Klagereden Etzel's, Dietrich's und Hildebrand's um die gefallenen Helden folgen. Der Spielmann Swemmel bringt die Trauerkunde nach Bechelaren und Worms. Dietrich zieht mit seiner Gemahlin und Hildebrand heim nach Bern.

In den kurzen Erzählungen der Kämpfe hat die Klage einen ältern Text des Nibelungenliedes benutzt, als der uns vorliegende ist. Gestützt auf die Verse 4675–4702, auf die Untersuchungen Zarncke's (Beiträge u.s.w., 1857) und Dümmler's darf man mit höchster Wahrscheinlichkeit folgendes aufstellen: Um 980 liess der Bischof Piligrim von Passau durch seinen Schreiber Kuonrad in lateinischer Prosa eine Redaktion vom zweiten Teile des Nibelungenliedes verfassen und die Klage ebenfalls in lateinischer Prosa anfügen. Darauf fussend schuf ein Dichter (vielleicht derjenige des Biterolf) ein Gedicht in Reimpaaren, welches der Dichter des Nibelungenliedes an sein Werk anschloss. Ausgaben von Lachmann, der Nibelungen Not und Klage, 1326, 5. Ausgabe 1870, Bartsch, Die Klage, 1875, Edzardi, die Klage mit vollständigem kritischen Apparat, Hannover 1875.

IX. Die Verbreitung der Sage war gross. In Deutschland und zwar wahrscheinlich bei den Franken, den Nachbarn der Burgunden, entsprungen,[729] wanderte sie nach dem Norden und erwarb sich auch dort viele Freunde. Dass sie im Norden nicht einheimisch war, zeigt sich deutlich darin, dass sie auch in der nordischen Gestalt am Rhein spielt und mit den Namen der burgundischen Helden verwachsen ist. Es sind zwei Überführungen der Nibelungensage nach dem skandinavischen Norden zu unterscheiden.

In der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts war die Sage im Norden schon bekannt geworden, und ihren Inhalt besangen Lieder, von denen uns ein Teil in der ältern Edda aufbewahrt ist. Lücken, welche diese Lieder im Zusammenhange der Sage lassen, werden durch die jüngere Edda und die Völsungasage ausgefüllt, die in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts verfasst wurde.

Um die Mitte des 13. Jahrhunderts wurde die Sage zum zweiten Male nach dem Norden gebracht und nebst anderen um Dietrich von Bern gruppiert. So entstand die Thidreksaga. Das Nibelungenlied lag dem Verfasser dieser Saga in einer Handschrift der Gruppe B vor; er versuchte aber eine Angleichung an die im Norden schon vorhandene Sagenfassung herzustellen, wie sie sich infolge der ersten Entlehnung der Sage verbreitet hatte.

Eine Darstellung der nordischen Sagengestalt, wie sie aus diesen Denkmälern resultiert, ist ziemlich schwer zu geben, da die einzelnen Quellen sich in manchen Zügen widersprechen. Doch lässt sich im allgemeinen folgendes feststellen:

a. Vorgeschichte. Von Odin's Nachkomme Völsung stammen Sigmund, seine neun Brüder und ihre Schwester Signy. Deren Gemahl Siggeir tötet den Völsung und lässt die zehn Söhne, die den Vater rächen wollen, im Walde festbinden, wo sie nacheinander durch ein Ungetüm getötet werden. Nur Sigmund wird durch die Hilfe seiner Schwester gerettet und tötet das Untier. Um einen Rächer für den Tod ihrer Brüder zu gewinnen, verwandelt Signy ihre Gestalt und zeugt mit ihrem Bruder Sigmund den Sinfjötli, der also von väterlicher und mütterlicher Seite Odin's Nachkomme ist. Im Walde verborgen wächst er zum tüchtigen Recken auf und verbrennt mit Sigmund den Siggeir in dessen Burg. Signy, befriedigt, die Pflicht der Vaterrache erfüllt zu haben, sucht in den Flammen des Palastes den Tod. Sigmund vermählt sich mit Borghild, welche den Sinfjötli umbringt. Die zweite Ehe schliesst Sigmund mit Hjöördis, der Tochter des Königs Eylimi von Frakkland (Franken), wird von Hunding erschlagen und von einem Sohne gerächt. Hialprek nimmt Hjördis gefangen und in der Gefangenschaft gebiert sie Sigurd, von dem ihre nachfolgende Heirat mit König Alf den Makel, in der Gefangenschaft, also unfrei geboren zu sein, nicht wegnehmen kann.

b. Gewinnung des Schatzes. Der Zwerg Andvari hütet in Gestalt eines Hechtes einen Schatz. In der Nähe lebt ein Bauer, dessen drei Söhne Otr, Fafnir und Regin heissen. Der erste hält sich als Otter im Wasser auf, der zweite ist ein Drache, der dritte ein kunstgeübter Zwerg. Die Götter Odin, Hönir und Loki kommen dahin, und der letztere schlägt die Otter tot. Als Sohnesbusse verlangt der Bauer so viel Gold, dass die Otter ganz damit verdeckt werden kann. Loki fängt den Andvari, nimmt ihm seinen Schatz und zuletzt auch noch seinen Ring, an den der Zwerg wütend seinen Fluch heftet. Den ganzen Schatz müssen sie als Busse hingeben, selbst den Ring noch, der bald seine verderbliche Wirkung zeigt. Es entsteht Streit um das Gold unter dem Bauer und seinen beiden Söhnen, sie erschlagen ihn. Der Drache Fafnir nimmt den[730] Schatz, bei dem auch ein Helm, eine Brünne und ein treffliches Schwert liegt, für sich allein und hütet ihn auf einer Haide. Regin schmiedet ein vorzügliches Schwert und bringt es Sigurd ins Frankenland mit der Aufforderung, den Drachen zu töten. Dies vollführt Sigurd und Regin ist nun im Besitze des Schatzes. Er verlangt von Sigurd als Bruderbusse ein Zeichen der Dienstbarkeit, er soll ihm das Herz Fafnir's braten. Dabei kommt ihm etwas von dem Blute an seine Lippen, und nun versteht er die Sprache der Vögel, die ihn vor Regin's Tücke warnen. Er erschlägt diesen und reitet mit Schatz und Ring davon.

III. Sigurd und Brynhild. Sigurd kommt zur Sigrdrifa, einer Walküre, welche Odin wegen ihres Ungehorsams in Schlaf versenkt und mit einem Feuerkreis, der Waberlohe, umgeben hat. Sigurd reitet durch das Feuer, die Walküre lehrt ihn die Runen, und er zieht wieder weiter. Seinen entflogenen Falken suchend, kommt er zu einem Turm, wo er die Brynhild mit Sticken beschäftigt findet. Von ihrer Schönheit hingerissen, verlobt er sich mit ihr.

Weiter ziehend gelangt er an den Rhein, wo drei Brüder herrschen, Gunnar, Högni, Guthorm. Ihre Mutter Grimhild wünscht ihn zum Eidam und giebt ihm einen Vergessenheitstrank, worauf er sich mit ihrer Tochter Gudrun verlobt. Gunar will um Brynhild freien und Sigurd verspricht ihm seine Hilfe, da ihm der Vergessenheitstrank alle Erinnerung an seine frühere Verlobung mit ihr geraubt hat. Brynhild erkennt ihn auch nicht wieder, fühlt aber grosse Neigung zu ihm. Nur der soll sie gewinnen, der durch loderndes Feuer reiten kann. Das vermag aber nur Sigurd, welcher deshalb die Gestalt mit Gunnar tauscht und sich mit Brynhild verlobt. In der Brautnacht legt er ein blosses Schwert zwischen sich und sie und tauscht dann seine Gestalt wieder. So wird Brynhild Gunnars Gattin; sie fühlt sich aber immer mächtiger zu Sigurd hingezogen, traurig gehen ihr die Tage dahin. Eines Tages, als sie mit Gudrun ihre langen Haare am Strande wäscht, erhebt sich Streit unter ihnen, weiche die Vornehmere sei. Zuletzt hält ihr Gudrun vor, dass sie den würdigern Gatten besitze, denn Sigurd habe das Feuer durchritten. Die Wirkung auf Brynhild ist furchtbar, nicht nur ihr Stolz ist tief beleidigt, sie ist um ihr Lebensglück betrogen. Es bleibt kein andrer Ausweg: Sigurd, der ihr nicht angehören kann, muss sterben. Guthorm ermordet Sigurd im Bette. Jetzt ist sein Betrug gesühnt, jetzt kann ihm Brynhild angehören; sie lässt einen Scheiterhaufen errichten und verbrennt sich neben ihm als seine rechtmässige Gattin.

IV. Gudrun und Atli. Der König Atli trachtet darnach den Schatz Sigurds zu gewinnen, den jetzt Gunnar und seine zwei Brüder besitzen. Er befehdet sie, und zur Besänftigung erhält er die Hand der Gudrun. Allein dies beschwichtigt seine Gier nicht. Trotz der Warnung ihrer Schwester kommen die Könige auf Atlis Einladung in dessen Land und werden da bis auf Gunnar und Högni erschlagen. Gunnar erklärt, er werde das Versteck des Schatzes nicht nennen, so lange Högni lebe. Atli lässt diesen töten, worauf Gunnar als einziger Besitzer des Geheimnisses schwört, dasselbe nicht verraten zu wollen. Seinen Tod rächt Gudrun, indem sie ihre und Atlis Kinder tötet und diesen in seinem Palaste verbrennt.

Die Jörmunreksaga erzählt die weitern Schicksale der Gudrun, aus denen sich aber nichts Weiteres für die Nibelungensage ergiebt.

Für die Entstehungsgeschichte der Nibelungensage ist die nordische Sagengestalt sehr wichtig. Eine Vergleichung[731] derselben mit der deutschen zeigt klar, dass in der nordischen Gestalt mehr Ursprüngliches erhalten ist, obwohl die Sage ihre eigentliche Heimat in Deutschland hatte. Da die Christianisierung im Süden viel energischer betrieben wurde, verblassten in Deutschland die alten heidnischen Götter viel schneller, als im Norden. So sind viele zur Handlung notwendige Züge, wie z B. die Walkürennatur der Brünhild, in der deutschen Sage verwischt. Auch einzelne historische Züge hat das nordische treuer bewahrt.

In der Entwicklung der Sagen und Mythen beobachtet man zwei Wege: 1. Ein vielbesungener Held wird von der Volksphantasie schliesslich in den Götterhimmel versetzt und seine Thaten werden zu göttlichen, das heisst, die Sage wird zum Mythus oder 2. Göttergestalten verblassen mehr und mehr, sie werden zu Heroen und ihre Thaten werden ins Menschliche übertragen: der Mythus wird zur Sage. Für den ersten Fall ist die Geschichte des Herkules, für den zweiten diejenige Wodans bezeichnend, den wir im wilden Jäger und zuletzt gar in der Person eines Oberjägermeisters von Braunschweig wiedererkennen.

Für den Kern der Nibelungensage ist offenbar die zweite Art der Entwicklung anzunehmen. Was für ein Mythus aber zu Grunde liegt, ist unsicher. Lachmann nahm an, es sei der Baldr-Mythus, und der Grundgedanke sei der, dass das Gold alle, die nach ihm streben, der Gewalt finsterer Mächte weiht. Gegen diese Annahme wenden sich Bugges Untersuchungen über Baldr und die Beobachtung, dass die Mythen sich auf Vorgänge in der Natur, aber wohl kaum je auf ethische Gedanken gründen. W. Müller verglich daher einen Naturmythus, denjenigen von Freyr, dem Gott der Fruchtbarkeit. Der Grundgedanke wäre ihm zufolge der Kampf zwischen Winter und Sommer um die Erde.

Mit dem Mythenstoffe vermischten sich historische Sagenzüge aus der Erinnerung der Franken, bei denen die Sage wohl ihren Ursprung nahm. Im Jahre 437 erlitten die Burgunden, die südlichen Nachbarn der Franken, eine gewaltige Niederlage durch die Hunnen. Manche Einzelheiten dieses gewaltigen Ereignisses, welche sich geschichtlich nachweisen lassen, hat die Nibelungensage treulich bewahrt. 20 Jahre nach der grossen Schlacht flog die Kunde durch die deutschen Gauen, dass Attila tot sei, und zwar habe ihn sein eigenes Weib, die Ildico, getötet. Ildico ist das Deminutivum von Hilde und kann wohl mit Kriemhilde identisch sein. Es mag also wohl auf historischen Reminiszenzen beruhen, wenn Kriemhilde (deren Namen im Norden erst später durch Gudrun verdrängt wurde) ihren Gemahl Atli (Attila) vernichtet. Später drangen auch noch Züge aus der Dietrichsage ein.

So lebte die Nibelungensage fort, ein willkommener Gast bei Hoch und Niedrig, bis im 12. Jahrhundert die Sagen fremder Nationen den Blick der vornehmen Gesellschaft in den höfischen Kreisen auf sich lenkten. Von da ab gehörte das Singen und Sagen dieser volkstümlichen Epen nicht mehr zum feinen Ton und das Nibelungenlied zog sich mit seinen stammverwandten Dichtungen in den Kreis des niedrigern Adels und des Volkes zurück, dessen Schoss es entsprossen war. Die zahlreichen Jahrmarktsdrucke des Volksbuches vom hörnenen Seifrid zeigen, wie lieb ihm der Stoff war, und jetzt noch findet man dieses Volksbuch auf den Jahrmärkten feilgeboten, während die vornehmern Kreise ihren Irrtum bereits erkannt haben und stolz darauf sind, dem vergötterten Homer ein ebenbürtiges Kunstwerk an die Seite stellen zu können, dem heimisches Blut in[732] den Adern schwungvoller Verse schäumt.

Ausgaben auf Grund von A durch Lachmann, der Nibelungen Not und die Klage, Berlin 1826, 5. Ausgabe 1878; nach B von Bartsch, das Nibelungenlied 1866, 4. Auflage 1875. Eine grosse kritische Ausgabe mit sämtlichen Varianten und Wörterbuch lieferte auch Bartsch, der Nibelunge Not, 2 Teile 1870–1880. C legt zu Grunde Zarncke, das Nibelungenlied, Leipzig, 1856. 5. Auflage 1875. Ausser einer trefflichen Einleitung findet sich hier auch ein vollständiges Verzeichnis aller Schriften über Lied und Sage und sämtlicher Ausgaben.

R. Sp.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 720-733.
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