Gott

[245] Gott bedeutet das höchste Wesen. Je nach ihrem Bildungsstandpunkt, nach Abstammung und Umgebung und Glauben stellen sich die Menschen dieses Wesen verschieden vor. Mit der Darstellung der Entstehung und Kritik der verschiedenen Vorstellungen, welche die Menschheit allmählich von Gott erworben hat, beschäftigt sich die Religionsgeschichte, während die Religionsphilosophie Gottes Wesen, seine Existenz und Wirksamkeit untersucht. – Furcht und Liebe (Dankbarkeit) sind die Wurzeln des religiösen Gefühls, welches mit Hilfe der Phantasie verschiedene Naturgegenstände und Kräfte personifiziert (vgl. Religion). Die niedrigste Stufe dieses Gottesbewußtseins ist der Fetischismus (s. d.), der in der Verehrung irgend eines Gegenstandes als Gott besteht; aus diesem entwickelt sich dann der Polytheismus (s. d.), der Glaube an viele Götter. Dieser verehrt als Zoolatrie Tiere, als Sabäismus Gestirne, als Naturalismus Naturkräfte. Letzterer verklärt sich allmählich zum ethischen Anthropomorphismus, welcher die Götter wie verklärte Menschen schildert. In derselben Richtung bewegt sich der Dualimus, der ein gutes und ein böses Prinzip annimmt. Mit zunehmender Abstraktion erhebt sich die Menschheit zum Monotheismus, dessen niedrigste Stufe der Henotheismus ist; dieser verehrt nur einen Gott, als Gott eines Stammes, eines Volkes, ohne jedoch die Existenz anderer Götter zu leugnen. Der reine Monotheismus hat drei Formen: [245] Theismus, Deismus und Pantheismus. Der Theismus (Juden-, Christentum und Islam) denkt sich Gott als den persönlichen Schöpfer und Regenten der Welt, der Deismus denkt ihn sich nur als Schöpfer. Beide aber trennen Gott und die Welt als Schöpfer und Schöpfung (deus et natura). Der Pantheismus dagegen, der sich Gott als geistiges Prinzip der Welt denkt, sucht Gott in der ewigen Natur, nicht außerhalb derselben oder identifiziert Gott und Natur (deus in natura, deus sive natura, s. Pantheismus).

Die Religionsphilosophie untersucht zunächst Gottes Dasein. Für dieses haben Theologen und Philosophen eine Reihe von Beweisen aufgestellt. Schon Melanchthon ( 1560) kannte deren zehn, reformierte Dogmatiker, wie Polanus, sogar sechzehn. Diese sechzehn aber lassen sich mit Ausscheidung der sekundären, die nur geringe Bedeutung gehabt haben, sämtlich auf vier zurückführen. Der Beweis a tuto hat z.B. keinen, der a consensu gentium (s. d.) geringen Wert, der ab utili entspricht nur bestimmten Gesellschaftstheorien. Der erste sagt, Gottes Dasein sei zwar nicht ausgemacht, aber es sei doch sicherer, dasselbe anzunehmen; der zweite beruft sich darauf, daß alle Völker an eine Gottheit Glauben (Arist, de caelo I, 3. Cic. Tusc. I, 13); der dritte leitet die Existenz Gottes aus der praktischen Nützlichkeit des Gottesglaubens für die Wohlfahrt der Gesamtheit ab (Si Dieu n'existait pas, il faudrait l'inventer. Voltaire). Die vier Beweise dagegen, die allein als primäre gelten können, sind folgende: 1. Der kosmologische Beweis, welcher von der Zufälligkeit und Bedingtheit der Schöpfung, also a posteriori, auf einen bedingenden Schöpfer schließt. Jedes Ding hat seine Ursache, diese wiederum usf., folglich muß es eine letzte Ursache (eine causa sui) geben. Dieser Beweis findet sich schon bei Anaxagoras, Aristoteles (kinei ou kinoumenon) und Cicero. Wenn man nun auch weiter fragen kann, woher diese »letzte« Ursache stamme, so führt uns doch dieser Gedankengang auf ein Allbedingendes, Allererstes, aber freilich nur durch eine im Grunde eigenmächtige Bescheidung und Grenzsetzung. Unser Geist vermag bei Beobachtung des Wechsels in allem Werdenden nicht stehen zu bleiben, sondern sucht das Sein eines Unbedingten, eines Wesenhaften und Allbedingenden zu gewinnen, welches ihm gerade, je mehr er in den Zusammenhang der Welt eindringt, als Einheit erscheinen wird (Aristoteles, Duns Scotus). 2. Der teleologische Beweis, welcher von der Zweckmäßigkeit des Kosmos auf einen höchst geschickten[246] Weltbaumeister schließt, und zwar entweder physikotheologisch von der sichtbaren Schönheit und Harmonie des einzelnen Weltobjektes auf einen ebenso beschaffenen Weldgrund (Sokrates, Augustin), oder spezifisch teleologisch aus der Zielstrebigkeit des Universums auf die Idee einer zwecksetzenden Urvernunft (Platon, Aristoteles, Fechner). Dieser Beweis hat sehr viel für sich und wirkt am tiefsten auf das Menschengemüt ein; denn wenn sich auch manche Unzweckmäßigkeiten oder Lücken in den Tatsachen nicht leugnen lassen, so findet sich doch solche Harmonie zwischen den Dingen untereinander, sowie zwischen den physikalischen, logischen und moralischen Gesetzen, daß wir uns getrieben fühlen, die Existenz einer objektiven Vernunft anzunehmen. 3. Der Moralbeweis, welcher den Zweckbegriff auf die sittliche Sphäre anwendet und aus dem Widerspruch zwischen Tugend und Glück, Pflicht und Leistung, Ideal und Wirklichkeit auf eine göttliche Gerechtigkeit schließt, welche diesen Streit ausgleicht und in der dieser Widerspruch nicht existiert. Er schließt also entweder von der Unendlichkeit des sittlichen Bedürfnisses auf das Sein eines absoluten Wertes (Jacobi) oder von der Tatsache des Sittengesetzes und des Freiheitsbewußtseins. auf einen absolut verpflichtenden höchsten Willen (Kant) oder von unserem sittlichen Streben auf eine sittliche Weltordnung (Raimund v. Sabunde, Fichte, Ulrici). Der moralische Beweis führt leicht zu der Idee eines unpersönlichen Gottes; daß Schicksal, welches die Alten als etwas Über- und Außerweltliches vorstellten, war das Resultat eines solchen Widerstreites der psychologisch begründeten Handlungen, welche mit anderen Verhältnissen kollidieren. Der Moralbeweis ist aber auch lückenhaft, sofern nicht bewiesen ist, ob jene sittliche Weltordnung auch außerhalb der Menschen existiere; denn sittliches Bedürfnis, Gewissen und Streben sind zunächst nur im Menschenkreise gegeben. Dazu kommt nun 4. der ontologische Beweis, welcher aus der Idee des höchsten Wesens auf dessen Dasein schließt. Dieses metaphysische Argument sucht allein aus Gottes Wesen den Zusammenhang zwischen seinem Sein in uns und seinem Sein an sich zu ermitteln. So Augustin, Anselm und Cartesius. Wer Gott denkt, muß ihn als das vollkommenste Wesen denken; dieses muß mit allen nur denkbaren Eigenschaften ausgerüstet sein; eine derselben ist auch die Existenz – folglich muß Gott nicht nur gedacht werden, sondern auch existieren. Gegen diesen Beweis hat schon[247] Gaunilo, Roscellin (c. 1100) und später Kant mit Recht eingewendet, er beweise nur, daß Gott als existierend gedacht werden müsse, nicht aber, daß er existiere. Gegen diese Kritik läßt sich vielleicht nur erwidern, daß, wenn der Gottesbegriff mit Ernst psychologisch erfaßt ist, der Mensch ihn nicht leicht spielend wieder aufgeben wird und somit eine subjektive Nötigung, an ihm festzuhalten, zurückbleibt.

Die Kritik aller dieser Beweise überhaupt faßt sich dahin zusammen: Keiner derselben ist stringent. Dies hat z.B. Kant, der Vertreter des moralischen Beweises, der aber auch diesen nicht als demonstrativen Beweis ansieht, sondern die Existenz Gottes nur für ein Postulat der praktischen Vernunft erklärt, in seiner Kr. d. r. V. S. 571-704 zu zeigen versucht. Aber zusammen haben die Beweise doch ein gewisses Gewicht. Das Richtigste ist wohl: das Verhältnis des Menschen zu Gott als ein persönliches aufzufassen. Wer Gott nicht in den Schicksalen des Lebens von innen heraus findet, um in ihm seine Ruhe und sein Ziel zu gewinnen, wird ihn nicht finden. (Unser Herz ist unruhig, bis es Ruhe findet in Gott. Augustinus.) Alle solche Begriffe wie Ursache, Zweck, Moral, Wesen haben ihren Hauptwert in bezug auf den Menschen. Ob z.B. die Welt als solche und an sich einen Zweck habe, ist für die meisten viel unwichtiger, als daß wir Menschen eben genötigt sind, nach Zwecken zu handeln und bei allen Dingen nach dem Zweck zu fragen; und das religiöse Gefühl des Menschen besteht wesentlich darin, daß er sich und alles abhängig setzt von einem Höheren, das alle diese Zwecke zusammenfaßt. Für ihn existiert also Gott so real wie alles Geistige überhaupt, d.h. mehr als das Sinnliche. Dieses Gefühl findet dann in den für jene Gottesbeweise benutzten Gedanken seine unterstützende theoretische Wendung. Ist für uns die Vielheit der Weltdinge undenkbar ohne eine allbedingende Einheit und ohne einen vernünftigen Zweck, hat das Leben des einzelnen wie der ganzen Menschheit keinen Zweck ohne die sittlichen Maßstäbe, so ist eben die Existenz Gottes so weit bewiesen, als sie bewiesen zu werden braucht, d.h. die Idee Gottes ist in den Zusammenhang unseres geistigen Bewußtseins aufgenommen.

Das Wesen und die Wirksamkeit Gottes ergibt sich aus dem bisherigen. Wie die Wahrheit, ist Gott für uns erkennbar und unerkennbar zugleich; jenes, soweit sein Geist in uns lebt, dieses, soweit seine Fülle weit über unsere beschränkte[248] Einsicht hinausgeht. Wir denken ihn uns als »das vollkommenste Sein« zunächst substantiell oder auch aktuell. Da nun Sein und Tätigkeit wieder als Wechselwirkung, dieses aber nur unter Voraussetzung einer Ordnung, d.h. einer zweckmäßigen Harmonie gedacht werden kann, Zweckmäßigkeit, Ordnung, Harmonie aber wiederum dasselbe ist als Vernunft, so läßt sich aus jener einfachen Definition das Wesen Gottes als das objektiv Vernünftige erschließen. Die pantheistische Strömung unserer Philosophie faßte Gott unpersönlich, so Fichte (1762 bis 1814) als moralische Weltordnung, Schelling (1775-1854) als absolute Indifferenz, Schleiermacher (1768-1834) als einfache Kausalität der Welt, Hegel (1770-1831) als die absolute, sich in der Welt realisierende Vernunft. Dagegen trat die theistische Richtung des J. H. Fichte, H. Ulrici und C. Schwarz auf, welche die Persönlichkeit mit der Immanenz zu vereinigen strebt. Ihm aber persönlich, d.h. als höchste Einheit des Bewußtseins, zu denken, fühlen wir uns durch unser eigenes Wesen gedrängt. Persönlichkeit ist die höchste Daseinsform, die wir kennen, folglich neigen wir dahin, sie auch Gott beizulegen. Will man Gott besondere Eigenschaften zuschreiben, so würde dem ontologischen Argument die Macht, dem teleologischen die Weisheit, dem moralischen die Gerechtigkeit, dem kosmologischen die Liebe entsprechen. Daraus lassen sich dann die ändern Eigenschaften: Gnade, Langmut, Güte usw. ableiten. Vgl. Religion, glaube, Theodicee. Schleiermacher, Der christliche Glaube. 1821. F. E. Beneke, System d. Metaphysik. 1840. M. W. Drobisch, Religionsphilosophie. 1840. Pfleiderer, Religionsphilosophie. 1878. R. Seydel, Die Religion u. d. Religionen. 1872.

Quelle:
Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 51907, S. 245-249.
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