Anisöl

[208] Anisöl (Oleum Anisi) wird aus dem Anis, der Frucht von Pimpinella Anisum L., durch Destillation mit Wasser gewonnen.

Es ist farblos oder blaßgelb, von süßlichem, gewürzhaftem Geschmack und eigentümlichem Geruch. Sein spez. Gew. ist 0,980–0,990; es schmilzt zwischen 15 und 19° C; je höher der Schmelzpunkt, um so besser ist das Oel. Im geschmolzenen Zustande läßt es sich, ohne fest zu werden, bedeutend unter seinen Schmelzpunkt abkühlen. Durch Hinzufügen von etwas festem [208] Anethol oder durch Reiben mit einem Glasstab erstarrt es dann plötzlich unter Wärmeentwicklung. Das Anisöl löst sich vollständig in wasserfreiem Weingeist, weniger in wasserhaltigem. Es besteht aus 80–90% eines Stearoptenkörpers, des starren, kristallinischen Anethols C10H12O, das bei 21–22° C. zu einer farblosen Flüssigkeit von reinem Anisgeruch und stark süßem Geschmack schmilzt. Es bildet farblose, glänzende, blätterförmige Kristalle. Das Anisöl findet Verwendung in der Medizin, der Likörfabrikation und in der Parfümerie- und Toiletteseifefabrikation. Am geschätztesten ist das Oel aus russischem Samen. Dem Anisöl sehr ähnlich ist das Sternanisöl aus den Früchten von Illicium anisatum Laur., einem in Tonkin heimischen Baume. Es unterscheidet sich von dem Anisöl durch seinen viel geringeren Gehalt an Anethol, weshalb es erst bei Temperaturen von 5–10° C. erstarrt. Außerdem ist der Geruch des im Sternanisöl enthaltenen Terpens ein andrer wie der des Terpens im Anisöl. Eine solche Beimischung läßt sich meist durch den Geruch und Geschmack erkennen; alle sonstigen Unterscheidungsmethoden sind unzuverlässig. Das Anisöl wird außerdem mit Terpentinöl, Zedernholzöl, Kopaiva- und Gurjunbalsam, Spiritus, Walrat und fettem Oel verfälscht, Verfälschungen, die sich durch Bestimmungen des spezifischen Gewichts, des Erstarrungspunktes und der Löslichkeit in Weingeist ermitteln lassen. – Das Anethol wird jetzt auch künstlich dargestellt und findet bedeutende Verwendung in der Likörfabrikation. Anethol geht durch Oxydation in Anisaldehyd C6H4(OCH3)∙COH über. Es ist bei gewöhnlicher Temperatur flüssig, hat ein spez. Gew. von 1,126, ist in Alkohol leicht löslich und erinnert im Geruch an blühenden Weißdorn, weshalb es jetzt unter dem Namen Aubépine (Weißdorn) vielfach zu Seifen und Extrakten Verwendung findet. Ein im Handel vorkommendes kristallisiertes Aubépine ist anisaldehydschwefligsaures Natrium und Soda. Es liefert auf Wasserzusatz nur 40% Anisaldehyd.

Deite.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 1 Stuttgart, Leipzig 1904., S. 208-209.
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