Destillation [1]

[720] Destillation, chemische oder chemisch-technische Operation, bei der verdampfbare, flüssige, flüchtige, in Gefäßen befindliche Körper von nicht oder wenig flüchtigen Substanzen dadurch getrennt werden, daß man sie durch Zuführung von Wärme in Dampf verwandelt und durch darauffolgende Abkühlung wieder zu Flüssigkeiten verdichtet. Die durch Destillation gewonnene Flüssigkeit nennt man Destillat, das, was zurückbleibt, Rückstand (bei der Destillation geistiger Flüssigkeiten früher Phlegma, die Operation selbst Dephlegmieren).

Die ältesten Destillierapparate sind ohne Zweifel die sogenannten Retorten, birnförmige Gefäße mit einer spitz zulaufenden, knieförmig umgebogenen Röhre (Hals), an die das Gefäß zum Auffangen des Destillates, die Vorlage, angeschlossen wird. Häufig besitzen die Retorten eine mit Kork oder Glasstöpsel verschließbare Oeffnung (Tubus, Tubulus) zum bequemeren Einfüllen der zu destillierenden Substanzen. An ihrer Stelle nimmt man jetzt in den Laboratorien Kolben verschiedener Form und Größe, zum Teil mit seitlichen Ansätzen, ferner mit Aufsätzen verschiedener Art (Kugelaufsätze u.s.w.). Für die Wahl des Materials, aus denen die Destillierapparate hergestellt werden, ist in erster Linie die Natur der zu destillierenden Körper maßgebend. In den wissenschaftlichen und technischen Laboratorien bestehen die Apparate vorwiegend aus Glas, in vereinzelten Fällen aus Platin, neuerdings auch aus Aluminium (Heräus, Hanau), ferner aus dem feuerbeständigen Quarzglas oder Ton; in der Industrie aus Kupfer, Eisen, Ton, Holz, bei der Schwefelsäurefabrikation aus Platin, einem der teuersten Metalle, weil dasselbe bei der Rektifikation und Konzentrierung der Schwefelsäure durch keines der gewöhnlichen Metalle, die alle von der Säure angegriffen werden, ersetzt werden kann. Zum Schutz gegen das Zerspringen infolge direkter Berührung mit dem Feuer setzt man gläserne Retorten oder Destillationskolben auf Netze aus Eisen- oder Messingdraht auf Asbestunterlagen oder auf eine mit trockenem Sand versehene eiserne Schale oder Platte (Sandbad). Manche Flüssigkeiten entwickeln trotz gleichmäßiger Erhitzung ihre Dämpfe nur ruckweise, explosionsartig (Siedeverzug), wodurch nicht nur Retorten oder Kolben aus Glas leicht springen, sondern auch das Destillat leicht durch hinübergeschleuderte, noch nicht destillierte Flüssigkeit verunreinigt wird. Man begegnet diesen Uebelständen dadurch, daß man harte, in der zu destillierenden Flüssigkeit unlösliche Körper (Glassplitter, Metalldraht u.s.w.) vor Beginn der Destillation in die Retorte bringt. Das lästige Schäumen mancher, insbesondere schleimiger Substanzen verhindert man dadurch, daß man ein wenig Paraffin in das Gefäß einträgt, das bei der Destillation schmilzt und eine auf der Oberfläche der Flüssigkeit schwimmende, den Schaum zurückhaltende Decke bildet. – Für gewöhnliche Fälle genügt es, wenn die Vorlage zur Kühlung in einer Schale mit kaltem Waffel liegt. Bei schwerer kondensierbaren Dämpfen verbindet man die Retorte mittels eines Kautschukschlauches oder eines durchbohrten Korkstopfens mit Liebigschem Kühler oder andern Kühlern verschiedener Konstruktion, alle bestehen im Prinzip aus Glas- oder Metallröhren verschiedener Form (Schlangenwindungen oder gerade), die in eine weitere Glasröhre oder in einen Metallmantel eingedichtet sind. Der äußere Mantel ist mit Ansätzen für den Ein- und Ausfluß für die Zu- und Ableitung des Kühlwassers versehen. – Manche Substanzen lassen sich unter gewöhnlichem Luftdruck nicht unzersetzt destillieren. In solchen Fällen verdünnt man mittels einer Wasserstrahlluftpumpe die Luft in dem mit der Vorlage luftdicht verbundenen Destillierapparat so weit, bis sich der Siedepunkt der zu destillierenden Flüssigkeit so weit erniedrigt hat, daß die Destillation ohne Zersetzung stattfinden kann. Unter vermindertem Luftdruck sieden bekanntlich die Körper bei niederer Temperatur, sind also dementsprechend weniger leicht zersetzlich. – Von der eigentlichen Destillation ist die sogenannte trockene Destillation zu unterscheiden, bei der unter vollkommenem Luftabschluß und unter dem Einfluß hoher Temperaturen organische Stoffe in feste, flüssige und gasförmige Produkte zersetzt werden, die in der Regel alle zugleich auftreten. Ein Beispiel im großen hierfür liefert die Leuchtgasfabrikation aus Steinkohlen. – Zur Destillation unter vermindertem Druck, d.h. zur sogenannten Vakuumdestillation, sind eine ganze Anzahl von Vorrichtungen konstruiert.

Bujard.[720]

Wichtige Industrien, die sich auf die Destillation gründen, sind folgende: 1. Spiritusfabrikation; 2. Leuchtgasfabrikation, Koksfabrikation, die Holzdestillation zur Gewinnung der Essigsäure, des Holzgeistes und Teers für die Farbenindustrie, die Braunkohlendestillation zur Gewinnung des Solaröls u.s.w., mit ihren zahlreichen und wichtigen Nebenprodukten; 3. die Petroleumindustrie. Ueber die Apparate, deren sich der Großbetrieb bedient, s. die Artikel über die verschiedenen Industrien (Spiritusfabrikation, Leuchtgasfabrikation u.s.w.). Eine knappe, übersichtliche Zusammenstellung solcher Apparate, nebst Angaben über ihre Bezugsquellen, Leistungsfähigkeit u.s.w. findet sich in A. Parnicke, Die maschinellen Hilfsmittel der chemischen Technik, Frankfurt a.M. 1894, S. 238 ff.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 2 Stuttgart, Leipzig 1905., S. 720-721.
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