Einsenkung

[247] Einsenkung eines Punktes einer Konstruktion, insbesondere eines Trägers, heißt die senkrechte Verrückung dieses Punktes infolge von Laiten oder sonstigen Einwirkungen (andre äußere Kräfte, Temperaturänderungen u.s.w.) gegen die anfängliche Gruppierung der Körperpunkte. Die Einsenkung oder Durchbiegung eines vollwandigen Trägers (s. Balken und Bogen, auch einfache und durchlaufende) für irgend einen seiner Querschnitte ist die vertikale Abweichung der Stabachse nach der Formänderung gegen die anfängliche Stabachse. Ost wird die größte dieser Einsenkungen eines ganzen Trägers, bei Trägern über mehrere Oeffnungen einer ganzen Oeffnung, als Einsenkung oder Durchbiegung kurzweg bezeichnet.

So hat man für einen einerseits festgespannten, anderseits freischwebenden Balken (Fig. 1) die Einsenkung am freien Ende durch eine auf die ganze Länge l gleichmäßig verteilte Last von u pro Längeneinheit bezw. durch eine Einzellast P am freien Ende:


Einsenkung

für einen horizontalen Balken mit beiderseits frei drehbaren Enden (Fig. 2) die Einsenkung in der Mitte durch eine auf die ganze Spannweite gleichmäßig verteilte Last von u pro Längeneinheit bezw. durch eine Einzellast P in der Mitte:


Einsenkung

und für einen horizontalen Balken der Spannweite l mit beiderseits festgespannten Enden (Fig. 3) die Einsenkung in der Mitte durch die gleichen Beladungen:


Einsenkung

In diesen Gleichungen bedeuten E den Elastizitätsmodul, J das Trägheitsmoment, G den Schubelastizitätsmodul, F den Querschnitt, k den Koeffizienten der Schubwirkung und sind EJ und k/GF auf der ganzen Länge l konstant vorausgesetzt. Die mit k behafteten Glieder stellen den Einfluß der vertikalen Schubkräfte dar, der früher unberücksichtigt blieb, was aber bei der Berechnung der Formänderungen im allgemeinen nicht zulässig ist (vgl. Biegung, Bd. 1, S. 797). Ueber die Einsenkungen in andern gewöhnlichen Fällen der Anordnung und Belastung einfacher Balken s. Bd. 1, S. 520, 521.

Bei einfachen wie durchlaufenden (kontinuierlichen) Balken pflegt man als ursprüngliche gerade Achse in einer Oeffnung die Verbindungsgerade der diese Oeffnung[247] begrenzenden Stützpunkte anzusehen (Fig. 4), letztere in der Stabachse gedacht. Bezeichnen c, y, c' die Ordinaten der elastischen Linie (Stabachse nach der Biegung) bei o, x. l, so ist die Einsenkung bei x [1], S. 21, [4], S. 95:


Einsenkung

wonach für die Abszisse e der größten Einsenkung die Bedingung besteht:


Einsenkung

Nachdem hieraus e bestimmt ist, findet sich die größte Einsenkung mit x = e aus 4. Für den gewöhnlichen Fall, daß die obenerwähnten Größen EJ und k/GF innerhalb der ganzen betrachteten Oeffnung als konstant vorausgesetzt werden, sind die Ausdrücke von y und dy/dx zu vorstehenden Gleichungen in dem Art. Elastische Linie gegeben. Die dabei vorkommenden Glieder mit dem Faktor k/GF stellen wieder den Einfluß der vertikalen Schubkräfte dar. Ueber die Werte von y und dy/dx bei Balken mit sprungweise veränderlichem Querschnitt s.u.a. [1], S. 22, vgl. [7], [8].

Für Bogen mit einer Oeffnung l und parabolischer Achse hat man unter Vernachlässigung des bei Bogen stets sehr geringen Einflusses der Schubkräfte die Einsenkung in der Mitte durch eine auf die ganze Spannweite gleichmäßig verteilte Last von u pro Längeneinheit bezw. durch eine Einzellast P in der Mitte:

bei drei Gelenken (Fig. 5) [21], S. 63


Einsenkung

bei zwei Gelenken (Fig. 6) [21], S. 85


Einsenkung

ohne Gelenke (Fig. 7) [21], S. 106


Einsenkung

E ist wieder der Elastizitätsmodul, über c, ε s. Bd. 2, S. 158. Mit ε = ∞ gehen 7., 8. in die für k = 0 (Vernachlässigung der Schubkräfte) geltenden Formeln 2., 3. über. Betreffend die Einsenkung parabolischer Bogen für andre Beladungen, Temperaturänderungen u.s.w. und die Formänderungen von Bogen mit beliebiger Achse s. [21].

Es handle sich nun um die Einsenkung (oder Verrückung in beliebiger Richtung r, Fig. 8 und 9) eines beliebigen Knotenpunkts K, eines Fachwerks (s.d.) durch beliebige Belastung und sonstige äußere Kräfte. Setzen wir zunächst ein statisch bestimmtes Fachwerk voraus (vgl. Fachwerke, statisch bestimmte). Durch die fraglichen Einwirkungen mögen in den Fachwerkstäben Beanspruchungen S1, S1, ... der ganzen Querschnitte F1, F2 ... entstehen, während s1, s2 ... die Längen, E1, E2 ... die Elastizitätsmoduln dieser Stäbe bezeichnen. Berechnet man nun noch diejenigen ganzen Beanspruchungen q1, q2 ..., welche in den Fachwerkstäben durch eine im Knotenpunkt K vertikal abwärts wirkende (bezw. in der Richtung r wirkende, Fig. 8 und 9) Kraft P = l allein entstehen, so folgt die Einsenkung des Knotenpunkts K (bezw. dessen Verrückung in der Richtung r) [2], S. 512:


Einsenkung

worin die Summe 2 auf alle Stäbe zu erstrecken ist. Mitunter hat man die Einsenkung (oder die Verrückung in der Richtung r) mit Berücksichtigung von Temperaturänderungen T3, T2 ... der Stäbe gegen eine dem spannungslosen Zustande entsprechende Normaltemperatur zu berechnen. Bezeichnen alsdann a1, a2, ... die linearen Ausdehnungskoeffizienten der Stäbe, so tritt an Stelle von 9. (vgl. [4], S. 243):


Einsenkung

Gewöhnlich werden die E, α, τ für alle Stäbe gleichgroß angenommen, in welchem Falle die Temperaturänderungen τ auf die Stabkräfte S von einfachen und kontinuierlichen Balkenfachwerken (s.d.) wie von Bogenfachwerken (s.d.) mit drei Gelenken überhaupt keinen Einfluß ausüben. – Handelt es sich um ein statisch unbestimmtes Fachwerk (vgl. Fachwerke, statisch unbestimmte), dann sind die Summen in 9., 10. nur auf die zur statischen Bestimmtheit und Stabilität notwendigen Stäbe zu erstrecken; die o hat man für letztere unter Weglassung der überzähligen Stäbe und Reaktionen zu berechnen, während die S die Beanspruchungen der notwendigen Stäbe in dem vollständigen Fachwerk (einschließlich der überzähligen Stäbe und Reaktionen) durch die wirklichen Lasten und Temperaturänderungen bedeuten.[248]

Anstatt 9., 10. hat man für Fachwerke häufig Näherungsformeln auf Grund der Formeln für vollwandige Träger oder mit Vernachlässigung des Einflusses gewisser Stabgruppen und mit Einführung gewisser Mittelwerte abgeleitet, doch sind solche Näherungsformeln nur insoweit zulässig, als sie durch Vergleiche mit genaueren Berechnungen genügend begründet oder durch Versuche bestätigt sind. Ueber den Wert von Einsenkungsmessungen bei Probebelastungen vgl. [3], [9], [12]. Weiteres über Einsenkungen und insbesondere deren Einflußlinien s. Gegenseitigkeit der Verrückungen. Graphische Ermittlung der Einsenkung von Fachwerken s. Verschiebungspläne.


Literatur: [1] Weyrauch, Allgemeine Theorie und Berechnung der kontinuierlichen und einfachen Träger, Leipzig 1873, S. 21, 77, 80, 82, 83, 86. – [2] Mohr, Beitrag zur Theorie des Fachwerks, Zeitschr. d. Arch.- u. Ingen.-Vereins zu Hannover 1874, S. 509. – [3] Engesser, Die Durchbiegungen von Fachwerkträgern und die hierbei auftretenden zusätzlichen Spannungen, Zeitschr. f. Baukunde 1879, S. 539. – [4] Weyrauch, Aufgaben zur Theorie elastischer Körper, Leipzig 1885, S. 71, 95, 96, 208, 242, 247. – [5] Zimmermann, Messung der Durchbiegung eiserner Brücken, Zentralblatt d. Bauverwaltung 1885, S. 23. – [6] Winkler, Theorie der Brücken, 1. Heft, Wien 1886, S. 313. – [7] Zaleski, Berechnung der Durchbiegung von Trägern mit wechselnden Querschnitten, Zeitschr. d. österr. Ingen.- u. Arch.-Vereins 1886, S. 165. – [8] Land, Durchbiegung eines vollen Trägers mit veränderlichem Querschnitt, Zentralblatt d. Bauverwaltung 1886, S. 249 (s.a. 1885, S. 140). – [9] Forchheimer, Zur Beurteilung einer Konstruktion nach ihrer Einsenkung, Zentralblatt d. Bauverwaltung 1886, S. 362, 373, 446 (s.a. Kötter, 1890, S. 71). – [10] Ritter, Anwendungen der graphischen Statik, II: Das Fachwerk, Zürich 1890, S. 119. – [11] Zur Frage des Einflusses der Fahrgeschwindigkeit auf die Durchbiegung eiserner Brücken, Zentralblatt d. Bauverwalt. 1890, S. 432 (s.a. S. 317, 400). – [12] Diskussion über den Wert von Probebelastungen, Zentralblatt d. Bauverwalt. 1892, S. 143, 197, 265, 288, 345, 351, 460. – [13] Mayer, R.F., Zur Berechnung der Durchbiegung frei aufliegender Brückenträger, Zeitschr. d. österr. Ingen.- u. Arch.-Vereins 1892, S. 566, und 1894, S. 135 (Halbparabelträger, von Formeln für vollwandige Träger ausgehend). – [14] Seefehlner, Beiträge zu den bei eisernen Balkenbrücken vorkommenden Berechnungen, Allgem. Bauztg. 1893, S. 25, 33, 49, 57, 73, 79 (s. S. 90). – [15] Marloh, Die Durchbiegung der Fachwerkträger, Zeitschr. f. Bauwesen 1893, S. 473, und 1894, S. 425 (statisch bestimmte Balkenfachwerke). – [16] Pustau, Auflagerdrücke, Laststellungen und Durchbiegungen vollwandiger durchlaufender Träger zur Benutzung bei Nachrechnung der amtlichen Brückenproben, Organ f. d. Fortschritte des Eisenbahnwesens 1894, S. 167. – [17] Labes, Zur Berechnung der Durchbiegung gegliederter eiserner Balkenbrücken, Zeitschr. f. Bauwesen 1894, S. 119 (Zahlenbeispiel eines parabolischen Segmentträgers mit Berücksichtigung von Nebenspannungen). – [18] Land, Einfluß der Schubkräfte auf die Biegung statisch bestimmter und die Berechnung statisch unbestimmter gerader vollwandiger Träger, Zeitschr. f. Bauwesen 1894, S. 611. – [19] Franke, Beitrag zur Berechnung der Durchbiegung und der Beanspruchung der eisernen Querschwelle, Zeitschr. d. Arch.- u. Ingen.-Vereines zu Hannover 1895, S. 191 (s.a. 1894, S. 467). – [20] Malverd Howe, Bridge Deflections, Journal of the Association of Engineering Societies 1895, XIV, Nr. 6 (Versuche betreffend Einfluß bewegter Lasten). – [21] Weyrauch, Die elastischen Bogenträger, ihre Theorie und Berechnung entsprechend den Bedürfnissen der Praxis, München 1897, S. 63, 70, 84, 90, 97, 106, 113, 122, 159, 207, 223, 251, 287. – [22] Handbuch der Ingenieurwissensch., Bd. 2, Abt. 2, Leipzig 1901, S. 241, 262, 305. – [23] Frank, Ueber die analytische Bestimmung der elastischen Verrückungen von Fachwerken und vollwandigen Trägern, Stuttgart 1901 (Dissertation). – [24] Müller-Breslau, Die graphische Statik der Brückenkonstruktionen, II (Fachwerke), Leipzig 1903, S. 57. – [25] Ostenfeld, Techn. Statik, Leipzig 1904, S. 224, 311. – [26] Müller-Breslau, Neuere Methoden d. Festigkeitslehre, Leipzig 1904, S. 32, 147, 303.

Weyrauch.

Fig. 1., Fig. 2., Fig. 3.
Fig. 1., Fig. 2., Fig. 3.
Fig. 4.
Fig. 4.
Fig. 5., Fig. 6., Fig. 7.
Fig. 5., Fig. 6., Fig. 7.
Fig. 8., Fig. 9.
Fig. 8., Fig. 9.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 3 Stuttgart, Leipzig 1906., S. 247-249.
Lizenz:
Faksimiles:
247 | 248 | 249
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