Kunststeine

[779] Kunststeine. Außer den gebrannten künstlichen Steinen (s. Backsteine) werden – teils um das Brennen zu ersparen, teils um einen Ersatz für nicht vorhandenen, zum Brennen geeigneten Ton durch billige, sonst nicht verwertbare Materialien zu erhalten oder um Steine mit besonderen Eigenschaften herzustellen (Leichtigkeit, geringes Vermögen für Schall- und Wärmeleitung) – vielfach ungebrannte künstliche Steine erzeugt und zur Herstellung von Wänden und Mauern verwendet [1] und [2], Hierher gehören:

1. Die Lehm- oder Luftziegel, die ebenso wie die zu brennenden Backsteine hergestellt, aber nur an der Luft getrocknet werden, wobei sie etwa um 1/20 schwinden. Bei Verwendung von sandigem Lehm müssen zur Hervorbringung größerer Fertigkeit und Wasserbeständigkeit 4–6% gelöschter Kalk zugesetzt werden. Die Abmessungen werden nach Engel [3] zu 30/14/8–10 cm oder zu 26/12,5/8 cm gewählt. Die Lehmziegel eignen sich hauptsächlich nur für Innenwände, da sie der Nässe schlecht widerstehen und bei Verwendung für Außenmauern durch weit überhängende Dächer, hohe Sockelmauern und durch geeignete Verblendung oder Putz vor den Einwirkungen der Nässe geschützt werden müssen. Als Putz dient gewöhnlich Lehmputz. Kalkputz haftet nur nach vorhergehendem Anstrich mit heißem Teer [4]. Dieselben Mängel zeigen die Lehmpatzen, die aus erweichtem Lehm mit 10–20% Pflanzenteilen in etwas größeren Abmessungen hergestellt werden [3].

2. Kalksandsteine, Sandstein-, Sand- oder Kalkziegel wurden schon seit längerer Zeit als billiger Ersatz für Backsteine aus scharfem, reinem Quarzsand mit 12–14% frisch gelöschtem Kalk und wenig Wasserzusatz hergestellt [2], S. 141, [5] und [6]. Ihre zulässige Beanspruchung betrug nach Böhme [7], S. 12, rund 4,2 kg für 1 qcm, und das aus ihnen hergestellte Mauerwerk hatte den Vorzug der Billigkeit und brauchte nicht geputzt zu werden. Solange diese Kalkziegel zu ihrer Erhärtung nur der Lusteinwirkung ausgesetzt wurden, erfolgte diese jedoch je nach ihrer Zusammensetzung und je nach der Witterung sehr langsam und konnte Wochen und Monate dauern. Auch vertrugen solche Steine weder Gluthitze noch Frost und zerfroren namentlich leicht nach vorhergegangener Anfeuchtung. In neuerer Zeit ist es gelungen, eine bedeutend raschere Erhärtung der Steine bei gleichzeitiger Verminderung des Kalkzusatzes und Erhöhung der Widerstandsfähigkeit zu erzielen, indem man die in Pressen geformten Kalkziegel der Einwirkung heißer Wasserdämpfe aussetzte. Anzuführen sind: das der Firma Becker & Klee in Köln patentierte Niederdruckdampferhärtungsverfahren, bei dem die Erhärtung sich in 21/2–5 Tagen vollzieht, und das durch Hochdruck herbeigeführte Michaelissche Schnellerhärtungsverfahren, das nur 8–14 Stunden beansprucht. Das Patent von Michaelis ist, weil er es fallen ließ, der Allgemeinheit preisgegeben und wird von den neueren Sandziegeleien allgemein verwendet [11], S. 15. Außer dem Erhärtungsverfahren ist das Aufbereitungsverfahren der Rohstoffe von Wichtigkeit. In dieser Hinsicht hat sich die W. Schwarz in Zürich patentierte Aufbereitungs- und Mischmaschine bewährt, welche die Möglichkeit bietet, zur Kalk-Sandmischung eine bestimmte Feuchtigkeitsmenge in Form heißen Wasserdampfes zuzuführen, gleichzeitig die überschüssige verdunstete Feuchtigkeit abzusaugen und dadurch ein stets gleichmäßiges Preßgut zu erhalten [11], S. 14, [12] und [13]. Wesentliche Verdienste um die Ausbildung der Sandziegelherstellung hat sich die Aktiengesellschaft für industrielle Sandverwertung in Zürich erworben, deren Katalog [13] Aufschluß über die verschiedenen Verfahren, über die dabei zu verwendenden Maschinen sowie über die Fertigkeit und sonstigen Eigenschaften der Steine gibt. Ueber die chemischen Vorgänge bei der Erhärtung der Steine durch Einwirkung des Dampfes in erhöhter Temperatur sind interessante Untersuchungen von M. Glasenapp in Riga angestellt worden [14] und [15], aus denen er eine Theorie der Erhärtung der Kalksandsteine abgeleitet hat [15], S. 163.

3. Schlackensteine sind poröse, aus granulierter Hochofenschlacke und gelöschtem Kalk im Normalformat (25/12/6,5 cm) hergestellte sehr wetterbeständige Steine von lichtgrauer Farbe, die sich gut mit Kalkmörtel verbinden und nach Böhme ([7], S. 13, 28 und 29) eine Belastung von 4,5–9 kg für 1 qcm bei zehnfacher Sicherheit zulassen. Sie werden auch zu Pflastersteinen verwendet.

4. Die Löschziegel und die Bimssandsteine, auch Schwemm- oder Tuffsteine genannt ([1], S. 49, [2], S. 142), sind noch poröser als die Schlackensteine, aber von geringerer Fertigkeit. Bei ersteren wird statt Sand geliebte Steinkohlenasche, bei letzterem Bimssand verwendet. Sie eignen sich namentlich zur Ausfüllung der Fachwerkwände, zu Deckengewölben und werden als Achtecksteine auch für Schornsteinröhren verwendet [8].

5. Korksteine, D.R.P. Nr. 13107 (s. S. 635) und [9].

6. Die verschiedenen Arten der übrigen Kunststeine oder Kunstsandsteine bestehen in der Nachahmung der Natursandsteine, indem Sand, Steinbrocken oder Straßenstaub durch hydraulischen Kalk, Gips oder Zement, dem bisweilen noch Wasserglas, verschiedene Harze u.s.w.[779] beigemengt sind, zu einer festen steinartigen Masse verbunden werden, die je nach der Herstellungsweise verschiedene Festigkeiten aufweist ([1], S. 49; [6], S. 280; [7], S. 28–32 und [10]).

Ein marmorartiger Kunststein ist das von Gran in Aalberg angegebene Gemisch aus 100 Teilen Gips, 180 Teilen Quarz, 70 Teilen Feldspat und 25 Teilen Borsäure, das mit Wasser verrührt, geformt, getrocknet und gebrannt wird (D.R.P. Nr. 84998).


Literatur: [1] Handb. der Architektur, 3. Teil, Bd. 2, 1. Heft, Darmstadt 1891, S. 47. – [2] Ebend., Bd. 1, 1. Hälfte, 2. Aufl., Darmstadt 1895, S. 100; 3. Aufl., Stuttgart 1905. – [3] Engel, F., Die Bauausführung, Berlin 1881, S. 70. – [4] Baugewerksztg. 1885, S. 200. – [5] Krause, F., Anleitung zur Kalksandbaukunst, 1851; Engel, Der Kalksand-Pisébau, 3. Aufl., Leipzig 1855; Bernhardi, Die Kalkziegelfabrikation und der Kalkziegelbau etc., 4. Aufl., Eilenburg 1873. – [6] Heusinger von Waldegg, Die Kalk- und Zementfabrikation, 3. Aufl., Leipzig 1875, S. 195. – [7] Böhme, Die Fertigkeit der Baumaterialien, Berlin 1876. – [8] Die Eigenschaften und die Verwendung von Schwemmsteinen, Baugewerksztg. 1894, S. 121. – [9] Zentralbl. der Bauverw. 1884, S. 239. – [10] Gottgetreu, F., Die physikalische und chemische Beschaffenheit der Baumaterialien, 3. Aufl., Berlin 1880, Bd. 1, S. 399; Rombergs Zeitschr. für praktische Baukunst 1879, S. 211; Baugewerksztg. 1880, S. 374; 1881, S. 626; Wochenbl. für Arch. und Ing. 1880, S. 215; Deutsche Bauztg. 1881, S. 199; 1884, S. 60; Feichtinger, G., Die chemische Technologie der Mörtelmaterialien, Braunschweig 1885, S. 416; Kunststeine aus Beton, Zeitschr. für Baukunde 1881, S. 544; Deutsches Baugewerksbl. 1887, S. 476; Baugewerksztg. 1887, S. 1014; Lucht, Phil. Jak., Kurze Anleitung für die Verarbeitung und Verwendung von Portlandzement, Frankfurt a.M. 1897. – [11] Stöffler, E., Kalksandsteine, Zürich 1900. – [12] Darstellung der Sandsteinziegel nach Schwarz Verfahren, Zürich 1900. – [13] Illustr. Katalog über Sandziegelfabrikation der Aktiengesellschaft für industrielle Sandverwertung, Zürich. – [14] Glasenapp, M., Chemische Untersuchungen über Kalksandsteine, Tonindustrieztg. 1900, S. 1703; 1901, S. 761; Rigasche Industrieztg. 1901, Nr. 6; Ders., Feuerfeste Kalksandsteine, Tonindustrieztg. 1903, S. 702. – [15] Ders., Weitere Untersuchungen über Kalksandsteine, Rigasche Industrieztg. 1904, Nr. 12, S. 161.

L. v. Willmann.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 5 Stuttgart, Leipzig 1907., S. 779-780.
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