[425] Teer, neben andern Substanzen, wie Wasser, Gasen, Ammoniak u.s.w., bei der sogenannten trockenen Destillation entstehend, Stellt eine schwärzlichbraune, dickflüssige, teils aus öligen, teils aus harzigen und festen Anteilen bestehende Masse von charakteristischem, der Abstammung entsprechendem spezifischem Geruch dar und ist je nach den zu seiner Gewinnung wesentlich verwendeten Ausgangsmaterialien als Holzteer, Braunkohlenteer, Schieferteer, Torfteer und Steinkohlenteer zu unterscheiden.
Steinkohlenteer wird zumeist bei der Herstellung von Leuchtgas durch trockene Destillation der Steinkohlen, ein geringerer Teil bei der Verkokung der Steinkohlen gewonnen. Er enthält Fettkohlenwasserstoffe, sowohl gesättigte wie ungesättigte (s. Paraffine), aromatische Kohlenwasserstoffe, Phenole, Thiophen und dessen methylierte Abkömmlinge, Pyridinbasen und andre Verbindungen. Die wertvollsten von diesen Bestandteilen sind die aromatischen Kohlenwasserstoffe, das Benzol und seine Homologen, das Naphthalin, das Anthracen u.s.w. Denn von der Auffindung und Gewinnung dieser Kohlenwasserstoffe aus dem Teer datiert die glänzende Entfaltung der aromatischen Chemie, die beispiellose Entwicklung der Teerindustrie, der Technik der künstlichen Farbstoffe, der Heilmittel u.s.w. Die Zusammensetzung des Teeres ist abhängig von der Art der Kohle und besonders von der Temperatur, bei welcher die Destillation vorgenommen wird. Mit steigender Temperatur steigt das spezifische Gewicht des Teers, die Menge der wertvollen Benzolkohlenwasserstoffe und des Anthracens nimmt ab, dagegen steigt die des Naphthalins. Der Teer muß daher aus möglichst gutem Material bei nicht zu hoher Temperatur, etwa 800°, gewonnen werden. Zu seiner Reinigung und zur Gewinnung der einzelnen Bestandteile muß er destilliert werden. Die hierfür erforderlichen Apparate, Destillierblase mit Kühler und Vorlagen zum Auffangen der Destillate s. [1]. Die Destillation muß beim Beginn der Operation, um Feuersgefahr zu verhüten, sehr vorsichtig geleitet werden, da der Teer stark schäumt und, solange er noch Ammoniakwasser enthält, zum Uebersteigen sehr geneigt ist. Dagegen muß gegen Ende der Destillation das Kühlwasser warmgehalten und überhitzter Wasserdampf in die Blase eingeleitet werden, um ein Verstopfen der Kühlröhre durch erstarrendes Destillat zu verhindern. Im allgemeinen fängt man das Destillat in folgenden getrennten Fraktionen auf: 1. Vorlauf bis 105 oder 110°; 2. Leichtöl bis 210°; 3. Karbolöl bis 240°; 4. Schweröl oder Grünöl bis 270°; Anthracenöl über 270°; Rückstand: Pech (Hartpech, wird durch Mischen mit Anthracenöl weich gemacht). Das Pech ist ein Gemenge von Kohlenstoff und kohlenstoffreichen Kohlenwasserstoffen, von denen nur die wenigsten chemisch definierbar sind (Chrysen, Pyren u.s.w.) Nach Lunge und Häußermann werden im Mittel erhalten an Vorlauf 2,43,5%; Leichtöl (einschließlich Karbolöl) 58%; Schweröl 2530%; Anthracenöl 810%; Pech 55%, und hieraus an reinen Endprodukten: Benzol 0,6%; Toluol 0,4%; höhere Benzolhomologe 0,5%; Naphthalin 812%; Phenol 56%; Anthracen 0,250,3%. Im Vorlauf ist das meiste Benzol enthalten; das Leichtöl dient zur Gewinnung des Restes von Benzol, ferner von Toluol und der höheren Benzolhomologen. Das Karbolöl, die letzten Anteile des Leichtöls, liefert neben Naphthalin das Phenol und die höheren Phenole, wie Kresol u.s.w. Das Schweröl wird gewöhnlich nicht weiter verarbeitet, da dies nicht lohnend ist, sondern findet als solches technische Verwendung zum Imprägnieren von Holz, zur Herstellung von Teerfirnis, als Schmieröl, für Beleuchtungszwecke oder schließlich als Brennmaterial. Das Anthracenöl, nach dem Erkalten eine grünlichgelbe, butterähnliche Masse, besteht wesentlich aus den höchsten aromatischen Kohlenwasserstoffen, Anthracen, Methylanthracen, Phenanthren und seinen Abkömmlingen Chrysen, Reten, Pyren, Fluoranthen, aus Diphenyl, Fluoren und Acenaphthen, Picen, aus Acridin u.s.w. Ueber die Aufarbeitung der einzelnen Fraktionen auf ihre Bestandteile und die Reingewinnung derselben, namentlich von Benzol, Naphthalin, Anthracen, Phenol s. die betreffenden Einzelartikel, sowie [2]. Eine Uebersicht der Steinkohlenteerdestillation enthält [1], Lunge, worauf wir verweisen. Die überwiegende Menge des erzeugten Steinkohlenteers wird der Destillation unterworfen. Man verwendet den Teer sonst noch zum Imprägnieren und zum Anstrich, zur Herstellung von Dachpappe, zur Ruß- und Brikettfabrikation. Doch ist diese direkte Verwendung nicht sehr bedeutend, weil für die genannten Zwecke bestimmte Abfallprodukte der Teerdestillation viel geeigneter sind, z.B. das Pech oder Mischungen von Pech mit Anthracenöl. Bemerkenswert ist noch die Verwendung von Steinkohlenteer zur Darstellung des basischen Futters für die Konverter bei der Stahlfabrikation.
Braunkohlenteer ist vom Steinkohlenteer ganz wesentlich durch seinen Gehalt an Kohlenwasserstoffen der Fettreihe, namentlich an Paraffin und durch das gänzliche Fehlen der aromatischen Kohlenwasserstoffe unterschieden. Es wird daher besonders auf festes Paraffin verarbeitet; die öligen Anteile bilden die sogenannten Mineralöle (s.d.). Dem Braunkohlenteer mehr oder weniger ähnliche Destillationsprodukte liefern Torf, Bogheadkohle, Kerosenschiefer und der bituminöse Schiefer, von welchen namentlich aus den schottischen Schiefern sehr beträchtliche Mengen an Teerölen gewonnen werden. Die Bereitung des Teers, die Teerschwelerei, findet in Thüringen, dem hauptsächlichen Sitz der Braunkohlenteerindustrie in Deutschland, jetzt meistens in stehenden Zylindern mit einem System übereinander greifender, glockenförmiger Eiseneinsätze statt, über deren Konstruktion bei Fischer [3] nachzusehen ist. Die Destillation geht bei schwacher Rotglut vor sich und die Temperatur wird absichtlich so niedrig als möglich gehalten, um die Entstehung der aromatischen Kohlenwasserstoffe zu vermeiden. Der entstehende[425] Teer wird nebst dem gebildeten Wasser mittels weiter Blechröhre, in welchen durch die Luftkühlung die Kondensation der Gase zum tropfbarflüssigen Zustand stattfindet, in große Sammelbehälter geleitet und hier durch Erwärmen mittels Dampf vom Wasser befreit. Die abgeschwelte Kohle ist der sogenannte Grudekoks. Der Baunkohlenteer enthält Kohlenwasserstoffe der Aethan- und Aethylenreihe, Phenole, saure Harze, Pyridinbasen, Tiophene u.s.w. Seine Verarbeitung ist in den einzelnen Fabriken etwas verschieden, je nach der Zusammensetzung des Teers, läuft aber, wie beim Steinkohlenteer, im wesentlichen darauf hinaus, durch Destillation in einzelne Fraktionen zu teilen, aus diesen durch Behandlung mit konzentrierter Schwefelsäure bezw. Natronlauge, den sogenannten Mischprozeß, die Brandharze, basischen Verbindungen, die ungesättigten Kohlenwasserstoffe bezw. die Phenole zu entfernen und aus den hochsiedenden Anteilen das Paraffin durch Kristallisieren und Entölen zu gewinnen. Da sich die Kohlenwasserstoffe dieses Teers bei der Destillation zersetzen, so wird die Rektifikation unter vermindertem Druck ausgeführt. Durch die erste Destillation wird der Teer in Rohöl und in Rohparaffinmasse geteilt. Das Rohöl enthält zumeist die flüssigen Kohlenwasserstoffe und die Phenole; es unterliegt dem Mischprozeß und je nach Verwendungszweck und erforderlichem Reinheitsgrad einer ein- bis viermaligen Destillation. Die so schließlich gewonnenen Oelfabrikate aus Braunkohlenteer sind: 1. leichtes Braunkohlenteeröl vom spez. Gew. 0,790,8; 2. Solaröl, Leuchtöl zum Brennen in Lampen, farblos, bei 260° siedend, spez. Gew. 0,8250,830. Entflammungspunkt 50°; 3. Putzöl, Extraktionsöl, fall farblos bis schwach gelb, bei 280° siedend, spez. Gew. 0,8500,860. Entflammungspunkt 100°; 4. helle bis rote Paraffinöle für verschiedene Zwecke, auch zur Oelgasbereitung, bei 300° siedend; spez. Gew. 0,8600,880; 5. dunkle Paraffinöle oder Gasöle zur Oelgasdarstellung und zur Fabrikation von Wagenschmieren; rotbraun bis schwarz; spez. Gew. 0,8800,925; 6. Fettöle, Mineralöle für bessere Schmiermittel, gelb bis gelbrot; spez. Gew. 0,880 bis 0,900; 7. Kreosotöle; Phenole enthaltend, durch Behandeln mit Natronlauge gewonnen; zum Imprägnieren von Holz; 8. Rückstände: Braunkohlenpech, Asphalt. Neben diesen Oelen kommen ähnliche unter wechselnden Bezeichnungen in den Handel, welche willkürlich je nach den Temperaturgrenzen, innerhalb deren die einzelnen Fraktionen bei der Rektifikation aufgefangen werden, erhalten werden können. So unterscheiden sich die zur Beleuchtung verwandten Oele Photogen oder Pyrogen durch den Siedepunkt und das spezifische Gewicht vom Solaröl. Die leichten Braunkohlenteeröle zerfallen noch in die einzelnen Fraktionen Benzin, Benzolin, Naphtha, Ligroin, welche also gleich den entsprechenden Fraktionen der Erdöle genannt werden. Sie dienen als Fleckwasser, zum Entfetten von Wolle, als Terpentinölzusatz, zum Karburieren von Leuchtgas u.s.w. Das feste Paraffin ist diesen Oelen durch Abkühlen und Auskristallisierenlassen soweit wie möglich entzogen und mit der Rohparaffinmasse vereinigt worden. Diese wird zunächst durch systematisches Auskristallisieren in der Winterkälte oder in Eismaschinen in mehrere Fraktionen mit unterschiedlichen Schmelzpunkten geteilt und so schließlich die Weichparaffinmasse erhalten, wobei die abfallenden öligen Anteile den Mineralölen wieder zugeschlagen werden. Die Paraffinmasse wird nunmehr zerkleinert, in Filterpressen und hydraulischen Pressen von den letzten Anteilen Oel befreit und einem wiederholten Umschmelzungsverfahren unter Zusatz von leichten Braunkohlenölen unterworfen, wieder abgepreßt und schließlich von den zugesetzten Oelen durch Abblasen mit Dampf befreit. Endlich muß das Paraffin noch mittels Tierkohle oder des sogenannten Entfärbungspulvers (Rückstände der Blutlaugensalzfabrikation) entfärbt werden. Ueber die Zusammensetzung des Paraffins s. Paraffine und [4]. Die Verwendung des Paraffins ist eine mannigfaltige. Die Hauptmenge wird auf Kerzen verarbeitet (s. Kerzen); außerdem dient es als Schmiermittel, als Konservierungsmittel für Holz und Leder, zum Wasserdichtmachen der Gewebe, zur Herstellung von Glanzpapier, zum Tränken der Gipsabgüsse, in der Zündhölzchenfabrikation, bei der Herstellung von Patronen, zum Tränken der hölzernen Gärbottiche in der Brauerei und Brennerei, zur Verhütung des Ueberkochens und Schäumens des Zuckersaftes in der Zuckersiederei u.s.w.
Die schottischen Schieferteere und Teeröle werden unter sonst gleichen Umständen in ähnlicher Weise wie die entsprechenden Braunkohlenfabrikate gewonnen. Die Destillation wird durch Einblasen von überhitztem Dampf unterstützt, und die Temperatur darf nicht über Dunkelrotglut steigen. Bei der Destillation der Schiefer erhält man etwa 12% Rohöl, 8% Ammoniakwasser, 4% Gas, 9% Kohle, 67% Asche.
Holzteer. Bei der Verkohlung von Holz fällt ein Teer ab, welcher, in seiner Zusammensetzung dem Steinkohlenteer ähnlich, technische Verwendung findet und namentlich in Rußland und Schweden gewonnen wird. Früher wurde der Teer in sehr primitiver Weise in Meilern dargestellt; jetzt wendet man in Rußland und Schweden sogenannte Thermokessel an, welche im wesentlichen aus Destillierblase mit Helm und Kühler bestehen. In Deutschland und England sind meist liegende Retorten im Gebrauch. Außer Teer entstehen bei der Verkohlung des Holzes brennbare Gase von geringem Heizwert, Terpentinöl, Holzgeist und Holzessig (s.d.). Der Rückstand ist die Holzkohle. Die Ausbeuten an Rohessig, Teer und Kohle sind bei den einzelnen Hölzern nicht beträchtlich voneinander verschieden. Bei schneller Verkohlung entstehen mehr Gase auf Kosten an Destillat und Kohle. Es darf also auch bei der Holzverkohlung die Temperatur nur eine mäßige sein. Der Teer enthält gleich dem Steinkohlenteer gesättigte, ungesättigte und aromatische Kohlenwasserstoffe, Phenole und andre Verbindungen. A.W. Hofmann hat namentlich Toluol, Xylol, Kumoi, Naphthalin, Chrysen, Reten und Pyren, von den Phenolen dieses sowie Kresol, Brenzkatechin und Derivate des Pyrogallols isoliert. Der Teer wird in ähnlicher Weise durch Destillation und Behandlung mit Schwefelsäure bezw. Alkali gereinigt, wie nun schon mehrfach beschrieben. Die Holzteerphenole bilden das echte Kreosot des Handels (s. Kreosot und Kreosotöl), welches vornehmlich aus Kresol und Guajakol besteht. Durch die Destillation wird der Teer in leichtes Oel oder Kienöl, schweres Oel und den Rückstand, das sogenannte Schusterpech, geschieden. Außer zur Gewinnung[426] dieser Substanzen dient der Holzteer als konservierender Anstrich für Holz und Eisen, in der Dachpappefabrikation und in der Medizin äußerlich gegen Hautleiden (s.a. Aromatische Verbindungen, Farbstoffe, künstliche organische, Retortenöfen) und [5].
Torfteer, durch trockene Destillation des Torfes gewonnen, hat ein spez. Gew. von 0,896 bis 0,965, ist von kaffeebrauner Farbe, zähe, aber nicht dickflüssig. An Destillationsprodukten liefert er Photogen (Turfol, Solaröl), Gasöl, Paraffin, Asphalt; Kreosot, Karbolsäure.
Literatur: [1] Lunge-Köhler, Die Industrie des Steinkohlenteers, Braunschweig 1900, vgl. a. Schultz, G., Die Chemie des Steinkohlenteers, 2. Aufl., Braunschweig 1886, Bd. 1, S. 17 bis 91. [2] Fischer, F., Handbuch der chemischen Technologie, Leipzig 1893, S. 642 ff. [3] Ebend., S. 142153. [4] Ebend., S. 150. [5] Ebend., S. 1417 und 42; Fehling-Hell, Neues Handwörterbuch der Chemie, Bd. 6, 1898; ebend., Bd. 8, (Torf).
Bujard.
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