Ledersurrogate

[113] Ledersurrogate. Zum Ersatz des Leders werden für die verschiedensten Zwecke Kunstprodukte unter den Bezeichnungen Kunstleder, Cuir factice, Lederpapier, Braunholzpapier, Ledertuch, Lederimitation u.s.w. hergestellt. Man sucht Geweben pflanzlichen oder tierischen Ursprunges durch eine geeignete Behandlung die Eigenschaften des Leders, wie Festigkeit, Haltbarkeit, Glanz, Widerstandsfähigkeit gegenüber Wasser u. dergl., zu verleihen, oder man zerfasert Lederabfälle (Blanchierspäne nach der Entfettung, Falzspäne, schwache Spaltstücke, Lederabschnitte u.s.w.) und stellt daraus auf nassem Wege nach dem Prinzipe der Papiererzeugung Lederpappen her, welchen durch Anwendung der verschiedensten Mittel die dem Leder zukommenden Eigenschaften erteilt werden.[113]

Die Ledersurrogate finden Verwendung namentlich zur Herstellung von Brandsohlen für gewöhnliches Schuhwerk, zu Futterleder für Phantasieartikel, in der Portefeuillerei, als Möbel- und Tapetenleder, als Fußbodenbelag u. dergl.

Nach Kohnstein und Heimann (Polytechnisches Zentralblatt 1854, S. 1278) werden Gewebe wiederholt mit einer aus Ruß und Leinölfirnis beliebenden Mischung getränkt, nach dem Trocknen der Masse mit Bimsstein poliert und noch mehrmals mit Leinölfirnis bestrichen. In ähnlicher Weise verfährt Piper (Polytechnisches Zentralblatt 1855, S. 1212), welcher die in Rahmen gespannten Gewebe erst mit Mehlkleister und dann mehrmals mit einem beliebig gefärbten Firnis bestreicht; nach dem Trocknen und Polieren erfolgt zur Erzielung eines hohen Glanzes noch ein Ueberzug mit Kopallack. Die Verfahren von Newton (Dingl. Polyt. Journ. 1858, Bd. 150, S. 432), Micoud, Destibeaux (Jahresber. d. chem. Techn., 1857, S. 429), Guyot de Brun unterscheiden sich von den obigen nur in unwesentlichen Punkten. Das gegenwärtig sehr in Aufnahme gekommene Linoleum (s.d.) ist auch als ein Ledersurrogat aufzufassen. Bei andern Ledersurrogaten werden leinene oder wollene Gewebe oder Papier bezw. Pappe entweder mit einer Kautschuklösung durchtränkt, wodurch das Produkt nach der Verdunstung des Lösungsmittels eine lederartige Beschaffenheit annimmt, oder mit Leimlösung und nachher mit einer Substanz behandelt, welche den Leim in eine unlösliche, gegen Wasser möglichst widerstandsfähige Verbindung überführt, namentlich mit vegetabilischen Gerbstoffen, essigsaurer Tonerde und Kaliumbichromat. Durch Zumischen von Farbstoffen zu der Leimlösung und durch Einpressen von Mustern kann man beliebige Färbungen und Bemusterungen auf der Oberfläche des Kunstleders herstellen. Auf diesen oder ähnlichen Prinzipien beruhen die Verfahren von Sinn (D.R.P. Nr. 6472), Stierlin (D.R.P. Nr. 9140), Lippold (D.R.P. Nr. 15181), Hurwitz (D.R.P. Nr. 17677), Fell (D.R.P. Nr. 23492), Glatz (D.R.P. Nr. 24177 und 28887), Pollack (D.R.P. Nr. 18662), Roulleau (D.R.P. Nr. 109846).

Bei der Verarbeitung von entfetteten Lederabfällen zu Kunstleder werden diese zunächst zerkleinert, was entweder durch Vermählen, in ähnlicher Weise wie das Zerkleinern des Holzes in den Holzschleifereien, oder durch Zerschneiden und Zerfasern, in gleicher Weise wie die Zerfaserung der Lumpen in den Holländern der Papierfabriken, ausgeführt wird. Aus dem zerkleinerten Materiale werden nach dem Prinzipe der Papiererzeugung je nach der Verwendung mehr oder weniger dicke Lagen hergestellt, die im trockenen oder halbtrockenen Zustande mit Kautschuklösung, Leinölfirnis, Metallsalzlösungen oder nacheinander mit Leimlösungen und Gerbstofflösungen so behandelt werden, daß in der Masse eine gegen Wasser widerstandsfähige Verbindung erzeugt wird. Durch Zumischen von Farbstoffen zu den Lösungen und durch Aufpressen von beliebigen Mustern, wie z.B. künstlichem Narben, kann man diese Surrogate im Aussehen dem Leder sehr ähnlich herstellen. Sören (D.R.P. Nr. 1664), Micklewood (D.R.P. Nr. 3128), Pollack (D.R.P. Nr. 18662), Cohn und Wollheim (D.R.P. Nr. 19166), Brunswick Barton (D.R.P. Nr. 60015) und Vögel (D.R.P. Nr. 70191) haben bei den ihnen patentierten Verfahren diese Prinzipien zur Anwendung gebracht.

Das als Cuir factice bezeichnete Produkt wird meist in der Weise hergestellt, daß dünne, lohgare Spaltstücke aufeinander geklebt und dann so gepreßt werden, daß sie gleichmäßig dicke Schichten bilden, die zur Herstellung von Brandsohlen Verwendung finden können.


Literatur: Sichling, »Collegium« 1906, S. 184 ff.

Päßler.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 6 Stuttgart, Leipzig 1908., S. 113-114.
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