[362] Mercerisieren oder Mercerieren der Baumwolle, ein Vorgang, welcher auf einer physikalischen und chemischen Veränderung dieser Faser unter dem Einflusse starker Natronlauge beruht.
Von John Mercer war im Jahre 1844 beobachtet worden, daß die Baumwollfaser durch konzentrierte Natronlauge bei gewöhnlicher Temperatur, unter gewissen Bedingungen auch durch Schwefelsäure und Chlorzink verkürzt wird, aufquillt, durchscheinend wird und eine größere Anziehungskraft für Farbstoffe erlangt. Diese Wirkung, welche nach dem Entdecker Mercerisieren oder Mercerieren genannt wird, hat zugleich eine Vergrößerung der Fertigkeit von 40% und eine Gewichtzunahme von 4,55,5% zur Folge. Letztere ist durch die Fähigkeit der Faser verursacht, eine größere Feuchtigkeitsmenge aufzunehmen. Ihr mikroskopisches Bild zeigt die Baumwollfaser nicht mehr flach und gewunden, sondern dick und gerade. Die Zellwände sind bedeutend verdickt, die innere Höhlung ist fast ganz verschwunden, während die Gestalt der Faser zylindrisch geworden ist [1]. Das Verfahren Mercers ist wegen des starken Einschrumpfens des Gewebes im großen niemals in beträchtlichem Maße gebraucht worden. Die Crefelder Firma Thomas & Prevost [2] fand nun im Jahre 1895, daß eine neue Erscheinung zutage tritt, wenn man die Natronlauge auf in gespanntem Zustande befindliche Baumwolle einwirken läßt. Die Baumwolle zeigt dann nach dem Auswaschen und Trocknen einen starken Seidenglanz, welcher dem der Chappeseide nahe kommt. Diesen Seidenglanz liefert jedoch nur Baumwolle ägyptischer Provenienz, sogenannte Makobaumwolle, oder langstaplige Baumwolle ähnlicher Qualität. Auf diesen Umstand ist es zurückzuführen, daß der Hinweis von H.A. Löwe in zwei englischen Patenten des Jahres 1889 und 1890, daß durch Spannen der Baumwolle während oder nach der Behandlung mit Natronlauge dieselbe einerseits am Schrumpfen verhindert, anderseits gleichmäßiger und glänzender aussehend wird und sich tiefer färbt, unbeachtet blieb, denn offenbar waren die Versuche mit kurzstapliger Baumwolle vorgenommen worden. Der Glanz tritt aber nur bei langstapliger Baumwolle und nur dann in vollem Maße auf, wenn das Strecken in Verbindung mit der Behandlung mit Natronlauge vorgenommen wird. Er ist um so stärker, je genauer diejenigen Bedingungen gewählt werden, unter welchen einerseits das Schrumpfen am stärksten eintritt, anderseits der Schrumpfung am stärksten entgegengewirkt wird. Die Dauer der Einwirkungszeit und die mechanische Bearbeitung während der Einwirkung sind nebensächliche Faktoren. Die Baumwolle soll durch Strecken während oder nach der Laugenbehandlung die höchste Spannung und nach dem Auswaschen der Lauge kein Eingehen erfahren. Die Ursache des seidenartigen Glanzes in gestrecktem Zustande mercerierter Baumwolle ist wesentlich durch das Fehlen der die nichtbehandelte Baumwollfaser als Häutchen äußerlich bedeckenden Cuticula gegeben. Die Faser erscheint nämlich fest und rund, infolge Fehlens der etwas rauhen Cuticula vollständig durchscheinend. Zum Zustandekommen eines seidenartigen Glanzes bedarf es nur einzelner möglichst parallel liegender Fasern, welche vermöge ihrer glatten Oberfläche einer starken Lichtreflexion und -absorption fähig sind. Es ist erklärlich, daß für das Zustandekommen dieses rein physikalischen Effektes diejenigen Baumwollsorten am bellen geeignet sind, bei welchen die Cuticula wenig ausgebildet bezw. leicht zu entfernen ist.
Die Mercerisation der Baumwolle geschieht im Strang und im Stück am häufigsten, aber auch als Baumwollketten, Vorgespinst. Die Garnmercerisation geschieht entweder auf Maschinen, bei denen das durch die Einwirkung der konzentrierten Natronlauge verkürzte Garn wieder auf seine ursprüngliche Länge ausgedehnt wird, oder auf Maschinen, bei denen ein Eingehen der Garne überhaupt vermieden wird, indem sie in gespanntem Zustande der Natronlaugebehandlung unterworfen werden. Die Mercerisation der Baumwolle im Strang wird jedoch mehr und mehr zurückgedrängt durch die Stückmercerisation, die sich wesentlich billiger stellt und sich besonders für Druckartikel und Futterstoffe, auch für bessere Waren ganz allgemein eingebürgert hat. Die mercerisierten Stoffe lassen sich besser waschen. Neuerdings werden aber nicht nur Makosatins, sondern jeder braune Satin mercerisiert, da die Differenz im Glänze nicht so wesentlich ist, vielmehr ganz verwischt wird durch physikalische Veränderung der Gewebsoberfläche mittels des Seidenfinish-(Riffel-)Kalanders. Derselbe verdankt seine Entstehung dem Gedanken, den Glanz eines seidenen Gewebes auf einem baumwollenen Stoff dadurch zu erzeugen, daß man die Oberfläche des Seidenstoffes galvanoplastisch abnahm, auf Ketten oder Walzen übertrug und diese dann so stark auf das baumwollene Gewebe abpreßte,[362] daß seine Oberfläche äußerlich gleich der des Seidenstoffes wurde, das Licht genau ebenso reflektierte, also denselben Glanz annahm. Man lernte aber alsbald dasselbe Ziel dadurch erreichen, daß man auf dem Gewebe zahlreiche seine, in verschiedenen Ebenen winklig zueinander liegende Flächen durch Pressen mit einer sehr sein geriffelten Walze erzeugte. J.P. Bemberg verwendet eine Riffelung von 520 Rillen pro 1 mm. Heute ist ein mercerierter Stoff ohne die Seidenfinishbehandlung gar nicht mehr denkbar. Wird während des ganzen Vorgangs (Imprägnieren, Neutralisieren, Waschen) das zu mercerierende Gewebe einem rollenden Druck unterworfen, so wird ein Glanz erzielt, welcher im Gegensatz zu dem durch Nachbehandlung erhaltenen gegen Wasser ganz beständig ist [4].
Literatur: [1] Gardner, Die Mercerisation der Baumwolle, Berlin 1898. [2] Lehnes Färberzeitung 1895/96, S. 441. [3] Knecht, Rawson und Löwenthal, Handbuch der Färberei der Spinnfasern, Berlin 1900/01; Herzfeld-Schneider, Das Färben und Bleichen, II. Teil, Berlin 1905; Editors of »The Dyer and Calico Printer«, Mercerisation, London 1903. [4] Lehnes Färberzeitung 1902, S. 127.
R. Möhlau.