Apokryphen

[619] Apokryphen (griech.), dem Ursprung oder Inhalt nach »verborgene«, auch im Unterschied zu den öffentlich vorzulesenden geheim gehaltene Bücher. Als sich ein christlicher Kanon bildete, verstand man unter A. teils solche Bücher, die, von Häretikern hervorgebracht, bei diesen als kanonisch galten oder in den Kanon der Kirche eingeschwärzt werden sollten, teils aber auch solche, die, von der Kirche früher günstiger beurteilt, schließlich, weil ihnen wesentliche Merkmale der Kanonizität abzugehen schienen, doch noch ausgeschieden wurden. Die A. des Alten Testaments haben, teils ursprünglich griechisch geschrieben, teils aus dem Hebräischen übersetzt, in der Septuaginta Aufnahme gefunden, während sie im hebräischen Kanon fehlen, daher sie auch in der alten Kirche zunächst nur als kirchliche Vorleseschriften galten und in der griechischen Kirche wenigstens nie völlig gleichen Rang mit den kanonischen Büchern erhielten, während die lateinische Kirche seit Augustin jeden Unterschied verwischte. Die Reformierten betonten diesen Unterschied streng, und die Britische und ausländische Bibelgesellschaft ließ seit 1827 die A. sogar ganz aus den Ausgaben der Heiligen Schrift aus. Dagegen erhoben die deutschen Lutheraner Widerspruch (der sogen. Apokryphenstreit). Luther selbst hatte nämlich die A. als Bücher beibehalten, »die der Heiligen Schrift nicht gleich zu achten, doch gut und nützlich zu lesen seien«. Es sind dies: die drei Bücher der Makkabäer (von denen Luther nur die zwei ersten übersetzt hat; ein viertes findet sich in einigen Handschriften der Septuaginta), das Buch Judith, das Buch Tobit (Tobias), das Buch Jesus Sirach (mit einer von Luther nicht übersetzten Vorrede), das Buch der Weisheit Salomos, das Buch Baruch, der Brief des Jeremias (bei Luther Baruch, Kap. 6), das sogen. dritte Buch Esra (nicht bei Luther, auch vom Tridentinum ausgeschlossen) und einige spätere Zusätze zu den Büchern Daniel, Esther und der Chronik. Zu unterscheiden von diesen Büchern sind die sogen. Pseudepigraphen, Nachbildungen biblischer Bücher und Umbildungen biblischer Geschichten, wie das Buch der Jubiläen (s. d.), die Psalmen Salomos u.a.; ebendahin gehören auch fast alle Apokalypsen (s. Apokalyptik). Wie die sämtlichen genannten Bücher von unschätzbarer Wichtigkeit sind für die Kenntnis des unmittelbar vor- und nachchristlichen Judentums, so die neutestamentlichen A. für die Kenntnis teils der Degeneration der christlichen Literatur, teils der Entwickelung altkirchlicher Traditionen und Dogmen. Sie sind in den Formen der christlichen Urliteratur geschrieben: Evangelium, Apostelgeschichten, Briefe und Apokalypsen, und zumeist nur in größern oder kleinern Bruchstücken erhalten. Die alttestamentlichen A. und Pseudepigraphen sind kritisch und exegetisch behandelt worden von Fritzsche und Grimm (Leipz. 1851–60) und Volkmar (das. 1860–67, 3 Bde.), ins Deutsche übersetzt von Kautzsch u.a. (Tübing. 1900, 2 Bde.). Um die Herausgabe machten sich verdient Thilo (Leipz. 1832), Tischendorf (das. 1851,1853,1866), Wright (Lond. 1871), Hilgenfeld (Leipz. 1884), Lipsius und Bonnet (das. 1891 ff.), Nestle (das. 1896), Preuschen (Gießen 1901). Vgl. auch Lipsius, Die apokryphischen Apostelgeschichten und Apostellegenden (Braunschw. 1883–90, 3 Bde.). Eine deutsche Übersetzung der apokryphischen Evangelien und Apostelgeschichten lieferte Borberg (Stuttg. 1841). S. auch Antilegomena.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 619.
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