Atlantis

[44] Atlantis, ein fabelhafter Inselkontinent, der einen Teil des jetzigen Atlantischen Ozeans eingenommen haben soll. Die einzige Nachricht darüber gibt Platon (im »Timäos« und »Kritias«), der sich auf Solon und die Jahrbücher der ägyptischen Priester beruft. Die Insel, größer als Libyen und Kleinasien zusammengenommen, von Königen beherrscht, die mit Ägypten und Griechenland Kriege führten, soll nicht weit von den Säulen des Herkules gelegen haben und schließlich in einem Tag und einer Nacht versunken sein. Über die politische Verfassung und die Reichtümer der A. gibt Platon ziemlich ausführliche Berich ke. Aber kein einziger der mehr realistischen ältern Schriftsteller hat eine andre ursprüngliche Nachricht darüber hinterlassen, und von Strabon und Plinius wird die Wahrheit der Erzählung Platons bereits bezweifelt. Sicher ist, daß schon früh die Mythen vom Atlas, nach dem die Insel benannt ist, an Vorstellungen über Völker und Länder im äußersten Westen anknüpften, und die Annahme, daß nach jener Richtung trotz des schroffen Abschlusses an den Säulen des Herkules die Welt wohl nicht zu Ende sei, konnte leicht in denkenden Köpfen entstehen. Später mag die übertriebene Kunde von irgend einem Naturereignis mit jenen Spekulationen in Verbindung getreten sein, und Platon faßte diese Sage auf, um sie für seine ethischen und politischen Ideen zu verwerten. Sehr allgemein hat man die Sage von der A., wie schon Bircherod in seiner Abhandlung »De orbe novo non novo« (Altdorf 1685), durch die Annahme zu erklären versucht, daß phönikische oder karthagische Handelsschiffe, durch Stürme und Strömungen verschlagen, an die Kanaren, Azoren oder gar an die amerikanische Küste gelangt und glücklich heimgekehrt seien. Jedenfalls ist ausgeschlossen, daß in historischer Zeit ein Kontinent existierte, dessen Uberrest etwa die Kanaren und Azoren darstellen; es müßten sonst diese Inselgruppen in Fauna und Flora weit mehr Übereinstimmung zeigen, als tatsächlich der Fall ist. Dagegen kann in der Tertiärzeit, vom obern Oligocän bis etwa in die Mitte der Miocänperiode, ein nordatlantisches Festland existiert haben. Vgl. Rudbeck, Atlantica sive Mannheim, vera Japheti posterorum sedes ac patria (Upsala 1675–78, 3 Bde.); Bailly, Lettre sur l'Atlantide de Platon (Par. 1779); Martin, Etudes sur le Timée de Platon, Bd. 1 (das. 1841); Heer, Urwelt der Schweiz (2. Aufl., Zürich 1879); Clarke, Examination of the legend of A. in reference to protohistoric communication with America (aus den »Transactions of the R. Histor. Society«, Lond. 1886).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1905, S. 44.
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