Befruchtung

[555] Befruchtung, bei Pflanzen wie Tieren die Vereinigung der männlichen mit den weiblichen Geschlechtsprodukten, speziell bei den Tieren des Samenfadens mit dem Ei. Sie erfolgt nach vorhergegangener oder auch ohne Begattung (s. d.).

Fig. 1. Abschnitte des Eies von einem Seestern mit Samenfäden, von denen einer bei a sich in die Hülle des Eies einbohrt, bei b schon hindurchgedrungen ist. – Fig. 2. Oberer Abschnitt des Eies vom Neunauge. a Mikropyle, b Samenfäden, c Partie des Eiplasmes, worin der Samenfaden zum Eikern (d) gelangt.
Fig. 1. Abschnitte des Eies von einem Seestern mit Samenfäden, von denen einer bei a sich in die Hülle des Eies einbohrt, bei b schon hindurchgedrungen ist. – Fig. 2. Oberer Abschnitt des Eies vom Neunauge. a Mikropyle, b Samenfäden, c Partie des Eiplasmes, worin der Samenfaden zum Eikern (d) gelangt.

Da sowohl im Wasser, wohin die Geschlechtsprodukte entleert werden können, als auch im weiblichen Leitungsapparat die Wahrscheinlichkeit nicht sehr groß ist, daß das Spermatozoon das Ei erreicht, so werden im Vergleich zu den Eiern sehr viele und daher recht kleine Spermatozoen erzeugt, die durch eigne Beweglichkeit das Ei aufzusuchen vermögen (Fig. 1 a). Der Samenfaden dringt ganz oder teilweise in das Ei ein (Fig. 1a u. b), denn wichtig an ihm ist für die B. nur sein vorderer verdickter Teil (Kopf), während der Schwanz nur das Bewegungsorgan darstellt. Am Ei gibt es oft Vorrichtungen, die das Eindringen des Spermatozoons erleichtern, nämlich eigens differenzierte Stellen des Eikörpers, Durchbohrungen der Eihüllen (Mikropylen, Fig. 2) u. a.; auch sendet das Ei dem Samenfaden gelegentlich einen hügelförmigen Fortsatz (Empfängnishügel) entgegen. Das Wesentlichste am Befruchtungsvorgang besteht darin, daß der Kopf des Spermatozoons sich im Ei zu einem Zellkern, dem Spermakern oder männlichen Vorkern, umwandelt und dieser mit dem im Ei bereits vorhandenen weiblichen Vorkern oder Eikern sich vereinigt (Fig. 3–6, S. 556). Letzterer ist das Produkt eines Reifungsprozesses des Eies, der in einer zweimaligen Zellteilung besteht (verdeutlicht durch die Figuren 3–6). So werden die beiden Richtungs- oder Polkörper es gebildet, und der Eikern bleibt im Ei zurück. Er vereinigt sich[555] nunmehr mit dem bedeutend größer gewordenen Spermakern (Fig. 7 u. 8), Kernschleifen treten in beiden Kernen auf und neben ihnen die Strahlungen ks, d. h. es bildet sich eine Kernteilungsfigur, die zur Teilung der befruchteten Eizelle führt. Damit ist die Furchung und die Entwickelung des Embryos eingeleitet (s. Entwickelungsgeschichte). Die betreffenden Vorgänge konnten an den Eiern vieler wirbelloser und Wirbeltiere durch die Forschungen der letzten Jahrzehnte bis in die kleinsten Details erkannt werden.

Reifung und Befruchtung des Eies vom Pferdespulwurm. Die Reifung ist in den obern, der Samenkörper bez. Samenkern in den untern Hälften der Figuren abgebildet. Fig. 3. Unreifes Ei, in das der Samenkörper sz eindringt. – Fig. 4 u. 5. Bildung des zweiten Richtungskörpers. – Fig. 7. Aneinanderlagerung des Ei- und Samenkerns. – Fig. 8. Verschmelzung dieser beiden und Vorbereitung des Eies zur ersten Teilung.
Reifung und Befruchtung des Eies vom Pferdespulwurm. Die Reifung ist in den obern, der Samenkörper bez. Samenkern in den untern Hälften der Figuren abgebildet. Fig. 3. Unreifes Ei, in das der Samenkörper sz eindringt. – Fig. 4 u. 5. Bildung des zweiten Richtungskörpers. – Fig. 7. Aneinanderlagerung des Ei- und Samenkerns. – Fig. 8. Verschmelzung dieser beiden und Vorbereitung des Eies zur ersten Teilung.

An den Eiern mancher Tiere (Seeigel, Seescheiden, Fische, Frösche u. a.) läßt sich künstliche B. durch Übergießen der Eier mit spermahaltigem Wasser ausführen, was nicht nur für die Erkennung der Befruchtungsvorgänge, sondern auch praktisch für die Fischzucht und für Bastardierungsversuche wichtig ist. Die Eier mancher Tiere (besonders Rädertiere, einige Krebse und Insekten) entwickeln sich ohne B. auf parthenogenetischem Wege, durch sogen. Jungfernzeugung. Als Vorläufer der B. ist der Konjugationsprozeß der einzelligen Tiere, besonders der Infusorien, anzusehen.

Auch bei den Pflanzen beruht die B. auf einer Verschmelzung zweier Sexualzellen, die im einfachsten Fall einander an Gestalt und Größe gleich, meistens aber deutlich verschieden sind und als männliche und weibliche Gameten oder als Spermatozoiden und Eizellen unterschieden werden. Bei den Kryptogamen (s. d.) werden die männlichen Geschlechtsorgane, in denen die Spermatozoiden gebildet werden, als Antheridien, die weiblichen Geschlechtsorgane, die das zu befruchtende Ei enthalten, je nach der Entwickelungshöhe als Oogonien oder Archegonien bezeichnet. Die männliche Sexualzelle wird durch Eigenbewegung, durch Wachstumsvorgänge oder passiv durch äußere Kräfte mit der Eizelle in Berührung gebracht und verschmilzt mit derselben. Bei den Blütenpflanzen sind die Eizellen im Embryosack (s. d.) eingeschlossen, der in dem Gewebekörper der Samenanlage liegt. Die Pollenkörner treiben, sobald sie sich auf dem dazu eingerichteten Teil des weiblichen Befruchtungsorganes festgesetzt haben, einen schlauchartigen Fortsatz, den Pollenschlauch, der bis an den Embryosack in die Nähe der Eizelle vordringt. Im Pollenkorn ist inzwischen eine generative Zelle gebildet worden, die an das Ende des Pollenschlauches wandert und sich in zwei den Spermatozoiden der niedern Pflanzen homologe Spermazellen teilt. Die eine derselben tritt aus der Spitze des Pollenschlauches in die Eizelle über und bewirkt dadurch die B. Bei vielen Blütenpflanzen spielt der zweite Spermakern des Pollenschlauches insofern eine wichtige Rolle, als er mit dem Kern des Embryosackes verschmilzt u. dadurch zu der Bildung des als Endosperm bezeichneten Nährgewebes im Samen den Anstoß gibt. Das Wesen des in allen Fällen auf Zellverschmelzung beruhenden Befruchtungsvorganges setzt sich aus zwei Momenten zusammen. Einmal wird durch die B. die Eizelle zur Weiterentwicklung angeregt, und ferner wird eine Verschmelzung der erblichen Eigenschaften, deren Träger die Sexualzellen sind, herbeigeführt.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1905, S. 555-556.
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