Fastnachtsspiele

[349] Fastnachtsspiele, dramatische Aufführungen zur Fastnachtszeit, die in deutschen Städten seit dem Anfang des 15. Jahrh. nachweisbar sind. Am deutlichsten können wir die Entwickelung dieser Spiele in Nürnberg verfolgen, wo es Sitte war, daß zur Fastnachtszeit verkleidete junge Burschen in den Häusern umherzogen, wo fröhliche Gesellschaften vereinigt waren, und Tänze ausführten. Den Tänzen gingen gereimte Einleitungen voran, in denen die Tänzer einer nach dem andern erläuterten, was für Persönlichkeiten sie durch ihre Verkleidung vorstellen wollten. Diese Einleitungen nahmen allmählich einen dramatischen Charakter an, etwa in der Art, daß einer die Frau Venus darstellte und die andern als Liebesnarren an einem Seile hereinführte; sehr beliebt war auch die Form des Prozesses mit Anklage, Verteidigung und Abgabe des Votums der einzelnen Richter. Die Dramatisierung von Motiven aus der komischen Erzählungsliteratur, z. B. der Geschichte vom Kaiser und Abt, sind im 15. Jahrh. verhältnismäßig selten. Aus diesem Jahrhundert sind nur zwei Namen von Fastnachtsspieldichtern bekannt, aus der ersten Hälfte Hans Rosenblüt (s.d.), aus der zweiten Hälfte Hans Folz (s.d.). Die meisten dieser Spiele, zumal diejenigen, in denen Bauern und Bäuerinnen auftreten, wimmeln von schmutzigen und obszönen Späßen, so daß sich der Rat der Stadt Nürnberg wiederholt veranlaßt sah, einzuschreiten. Auch in andern Städten, z. B. in Frankfurt, Augsburg, Eger, Dortmund, können wir im 15. Jahrh. die Sitte der F. nachweisen, doch war die Art der Inszenierung nicht überall dieselbe wie in Nürnberg, in manchen Städten wurden die Aufführungen auf dem Marktplatz veranstaltet. Von den Lübecker Fastnachtsspielen hat sich noch ein Verzeichnis der Titel erhalten; dort spielte man auf fahrbaren Gerüsten, die durch die Stadt gezogen wurden. Im Zeitalter der Reformation hat man oft die religiöse Polemik in das Fastnachtsspiel eingemischt; mit großem Erfolg tat dies der eifrige Protestant N. Manuel (s.d.) in Bern. Doch blieb auch im 16. Jahrh. Nürnberg der Mittelpunkt dieser Dichtungsart; in den Fastnachtsspielen des Hans Sachs (hrsg. von Götze, Halle 1880–87, 7 Bde.), die zum größten Teil dramatisierte Anekdoten sind, zeigt sich der liebenswürdige Humor des Dichters im schönsten Lichte. In den Städten lassen sich die F. noch bis ins 17. Jahrh. verfolgen, wo sie allmählich der neuen, kunstmäßig gelehrten Richtung in der Poesie zum Opfer fielen. Die F. aus dem 15. Jahrh. sammelte A. v. Keller (Literar. Verein, Stuttg. 1853–58, 4 Bde.). Vgl. Creizenach, Geschichte des neuern Dramas, Bd. 1, S. 405ff. (Halle 1894); Tittmann, Schauspiele aus dem 16. Jahrhundert (Leipz. 1868, 2 Bde.); Lier, Studien zur Geschichte des Nürnberger Fastnachtsspiels (das. 1889); Michels, Studien zu den ältesten deutschen Fastnachtsspielen (Straßb. 1896).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 349.
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