Bauer [1]

[457] Bauer, im Gegensatze zum Städter jeder Landbewohner, der sich im Hauptberuf mit Landwirtschaft beschäftigt. Im engern Sinn ist B. nur ein solcher kleiner Landwirt, der auf eignem Grund und Boden wirtschaftet, also der Bauerngutsbesitzer im Gegensatze zum Pachter und zum landwirtschaftlichen Arbeiter oder Dienstboten. Vom Großgrundbesitzer unterscheidet er sich durch den Umfang des Gutes. Die frühere Unterscheidung zwischen Rittergut und Bauerngut, die sich darauf gründete, daß der Besitz eines Rittergutes ein Vorrecht des Adels war und damit gewisse Vorrechte verbunden waren, ist durch die moderne Gesetzgebung beseitigt, wenn sich auch noch manche privatrechtliche Eigentümlichkeiten der Bauerngüter bis in die neueste Zeit erhalten haben (s. Bauerngut). Nach der Größe ihres Besitzes werden in den verschiedenen Gegenden unterschieden: Vollbauern (Vollspänner, Vollmeier, Vollerben, Vollhöfner, Besitzer ganzer Höfe, Hofbauern), Dreiviertelbauern (Hüfnermeier, Dreiviertelspänner), Halbbauern (Halbspänner, Halbhufner, Huber. Halbmeier), Viertelhofsbesitzer oder Lehner, Eigenlehner, Köter (Katen, Kotsassen, Kossäten, von »Kot« oder »Kat«, kleiner Hof), die nur ein Haus oder etwas Ackerland besitzen, endlich Hintersiedler (Hintersitzer, Hintersassen, Kleinhäusler, Tropfhäusler), die nur mit einem Haus und etwas Grundbesitz angesessen sind. Andre Bezeichnungen erklären sich aus dem frühern Abhängigkeitsverhältnis der betreffenden Bauern, wie Kirchen-, Kloster-, Stifts-, Pfarr-, Amts-, Patrimonialbauern u. dgl.

[Geschichtliches.] Bei den Völkern des Altertums wurden Ackerbau und Viehzucht ursprünglich in hohen Ehren gehalten. Später wurde der Ackerbau bei den Griechen den Sklaven, bei den Römern größtenteils den ärmern Bürgern oder den Sklaven überlassen. Ein Bauernstand im heutigen Sinn entwickelte sich erst unter den germanischen Völkern. Als freier Mann wohnte der Germane ursprünglich auf seinem Los (sors, althochdeutsch hlôz), das ihm Unterhalt und Selbständigkeit sicherte. Neben den Freien gab es aber schon in alter Zeit Unfreie (z. B. Kriegsgefangene) und sogen. Hörige (laeti, liti, lati, lassi, aldio, aldius, barscalk), die entweder von ihren Herren aus dem Zustande der völligen Unfreiheit entlassen oder von einem erobernden Stamm unterdrückt waren. Oft waren diese Liten wohl auch solche, die sich freiwillig an einen Freien anschlossen und Ländereien zum Bebauen gegen einen bestimmten Zins übernommen hatten. Sie standen unter dem Schutz ihres Hofherrn und folgten ihm in den Krieg, nicht als freie Glieder des Heerbannes, sondern nur als Dienstpflichtige. Folgen dieses Verhältnisses der Hörigkeit waren, daß die Liten bei Heiraten die Erlaubnis ihres Hofherrn nachsuchen, beim Tode des hörigen Familienhauptes eine Abgabe geben, Zins entrichten mußten u. dgl. Diese ursprünglichen Abhängigkeitsverhältnisse wurden infolge der Eroberungen und Wanderungen der germanischen Stämme bedeutend vermehrt, insofern durch diese eine völlige Umgestaltung des Grundbesitzes herbeigeführt und das Entstehen eines privilegierten Standes, des Adels, angebahnt wurde. Dazu[457] kam die Stellung von Kirche und Geistlichkeit. Ihnen wurde vieles Grundeigentum freiwillig zugewendet (»pro salute animarum«); dann bestimmte der Umstand, daß die kirchlichen Besitzungen eine verhältnismäßig friedliche Stellung einnahmen, vielfach freie Grundeigentümer, ihr Land der Kirche zu übergeben und deren Zinsmänner zu werden. So entwickelte sich nach und nach das sogen. Hofsystem, dessen Grundzüge folgende waren: Die geschlossenen Gutskomplexe (villae curtes), in die das flache Land zerfiel, enthielten Wohnungen und Ackerland und waren mit vollen Eigentumsrechten und mit den Gerechtsamen an der unverteilten gemeinen Mark versehen. Ein solcher Hofverband hieß curtis, während huba (Hufe) ein eingehegtes Stück Ackerland, das jemand zur Bestellung übergeben und von ihm eingehegt worden war, und mansus einen eigentlichen Bauernhof mit Gebäuden, Acker- und Weideland bezeichnete, auf dem eine Familie hinlänglichen Unterhalt fand. Auf diesen kleinern Gutsteilen saßen entweder hörige, eigne Leute (mancipia), in welchem Fall sie mansi serviles hießen, oder freie Besitzer, an die sie verliehen waren, daher mansi ingenuiles genannt; mitunter waren auch nur einzelne Morgen ausgebrochen und an eine Person verliehen (bona solitaria, Söltengüter). Die Herren solcher Gutskomplexe aber, Adel und Klerus, pflegten sich das beste, vielleicht das ihre Wohnungen umgebende Ackerland zu eigner Benutzung vorzubehalten, als die Sal-, Fron-, Freihube (mansus indominicatus). Sie hatten allein echtes, volles Eigentum (terra salica, aviatica) und erwarben und besaßen es unter dem Schutz des Gemeinde- und des Gaugerichts, während die hörigen Leute unmittelbar unter dem Hofrecht standen und vor der Gemeinde durch ihre Hofherren vertreten wurden. Der Meier (villicus), der die Aufsicht über die Güter führte, war der nächste Vorgesetzte der eignen Leute. Bedeutende Modifikationen führte aber das inzwischen aufgekommene Immunitätsverhältnis mit sich, d. h. die Befreiung eines Bezirks von der Gerichtsbarkeit des Gaugrafen oder sonstigen ordentlichen Unterrichters. In diesem Falle nahmen alle auf diesem eximierten Bezirk wohnenden Leute an dieser Befreiung teil und wurden dadurch der drückenden Beamtengewalt entzogen. Viele Freie traten daher mit ihren Gütern in den Immunitätsbezirk einer Schutzherrschaft ein. Solche Schutzherrschaften waren König, Adel und Geistlichkeit. Durch dieses Schutzverhältnis wurde die Zahl der in einer gewissen Abhängigkeit stehenden Leute erheblich vermehrt. Deutlich unterschieden finden wir in den Urkunden aber nur folgende Klassen: die eigentlichen Leibeignen (servi, mancipia), die Liten (liti, litones, auch hovelingi), die hörigen Leute, die freien Schutzgenossen, die erst neuerlich hinzugetreten waren (cereales, Malmanen, Masmanen, auch Mundmanen), und deren ursprüngliche und angeborne Freiheit in der ersten Zeit bei jeder Gelegenheit anerkannt wurde, und als eine Mittelklasse die coloni, später Bauleute, Zinsleute genannt, die besonders bei Kirchengütern vorkommen und ein dem Eigentum nahekommendes Recht gehabt zu haben scheinen. Die Stellung der Hofhörigen dem Hofherrn gegenüber wurde durch sogen. Hofrechte geregelt.

Die bevorzugte Stellung des Adels und des Klerus nahm in der Folgezeit einen immer größern Umfang an, und nur am Niederrhein, in den Marschländern Norddeutschlands und in den Alpentälern der Schweiz und Tirols behaupteten die Landleute ihre Freiheit. Der Leibeigenschaft wirkten jedoch bereits zur Zeit der Kreuzzüge die Pachtverhältnisse entgegen, zu denen Klerus und Adel sich genötigt sahen, um die nötigen Ackerbauer zu gewinnen, die Urbarmachung noch nicht in Kultur stehender Landflächen gegen das Versprechen der Freilassung der Ansiedler aus der Hörigkeit und besonders das Aufblühen der Städte. In den Vorstädten und durch das Beisassenverhältnis (Pfahlbürger) boten sie auch solchen Personen Schutz, die volles Bürgerrecht nicht erhalten konnten. So wurde es auf der einen Seite dem Landvolk möglich, einer tyrannischen Behandlung sich durch die Flucht in die Städte zu entziehen, auf der andern Seite aber erging zugleich an die Herren eine Mahnung, ihre Hofhörigen durch Milde fester an ihre Höfe zu ketten. Man lernte die heilsamen Wirkungen einer durch freiere Institutionen begünstigten landwirtschaftlichen Betriebsamkeit kennen und erließ zum Schutz derselben das Gebot des Gottesfriedens (treuga Dei). Endlich war von besonderer Bedeutung für die gemeine Freiheit die Belebung und Ausbildung der gemeinschaftlichen Vereine und Gerichte, die sich auf uralte deutsche Rechtsgewohnheit gründeten und jetzt durch die überall sich bildenden festen Genossenschaften der verschiedenen Klassen der bürgerlichen Gesellschaft, namentlich der städtischen, neuen Aufschwung erhielten. Gesetz und Gericht, namentlich auch die Festsetzung und stets zu erneuernde Anerkennung der den Bauern obliegenden Leistungen und Pflichten, gingen von ihren freien Zent-, Gau- und Landgerichten oder ihren Meierdingen und Hof- oder Bauernsprachen aus; die freie öffentliche Beratung über die Gemeindeangelegenheiten brachte aber für die Bauern ein größeres Selbstgefühl und einen gewissen Grad von politischer Selbständigkeit mit sich. Die Lage der Bauern war aber trotzdem zu Ausgang des Mittelalters eine sehr traurige, da zahlreiche Zwangs- und Bannrechte die drückenden Beden oder Geldsteuern und später noch die Reichssteuer (der gemeine Pfennig) sie zu keinem wirtschaftlichen Aufschwung gelangen ließen.

Erst die Reformation bahnte einen entscheidenden Umschwung der bäuerlichen Verhältnisse an. Der B., dessen Lage sich inzwischen durch die Einführung des römischen Rechts und durch die Anwendung der römisch-rechtlichen Grundsätze von Sklaverei und Pachtwesen auf deutsch-nationale Verhältnisse noch verschlimmert hatte, begann die Bedeutung des freien Eigentums für seine bürgerliche Stellung allmählich einzusehen, und die Bauernschaft gewann namentlich in Süd- und Mitteldeutschland nach und nach ein eigentliches Gesamtbewußtsein. Freilich mußte der erste gewaltsame Versuch, sich eine selbständige soziale Stellung zu erringen, fehlschlagen; aber drei Jahrhunderte haben seitdem das zäh und beharrlich verfolgte Ziel, zu dessen Erreichung im Bauernkrieg (s. d.) ein so ungestümer Anlauf genommen worden war, verwirklicht. Schon die durch die Reformation beförderte höhere Geistesfreiheit wirkte in vielfacher Beziehung auch hinsichtlich der bäuerlichen Zustände heilsam. Viele Gutsherren hoben die entehrende Leibeigenschaft und Hörigkeit freiwillig auf; viele Klöster und Stifter wurden säkularisiert, und damit hörte mancher Druck von selbst auf. Hier und da veranlaßte die Ausbreitung der neuen Lehre Auswanderungen, und gewerbfleißige Kolonisten, welche die Unduldsamkeit aus ihrem Vaterland verjagt hatte, fanden anderwärts unter vorteilhaften Bedingungen Aufnahme und vermehrten die Zahl der freien Landleute. Endlich war auch die wachsende Landeshoheit der Fürsten in mancher Beziehung dem Emporkommen des Bauernstandes förderlich, indem sie die Macht der [458] Aristokratie zu schwächen und nach Einführung allgemeiner Landessteuern und der stehenden Heere den privilegierten Ständen gegenüber in dem Bauernstand eine sichere Stütze zu gewinnen suchten. Vorzüglich war es aber erst die französische Revolution, die eine großartige Reform der sozialen Zustände anbahnte und zur Bauernbefreiung (Emanzipation) führte. Die Leibeigenschaft mit ihren dinglichen und persönlichen Lasten wurde in vielen Ländern aufgehoben, dann fielen die Schranken, welche die Stände voneinander schieden; die neue Landwehrverfassung gab dem Landbewohner die alte Wehrhaftigkeit und Selbständigkeit zurück, und die in den neuern Verfassungsurkunden ausgesprochene Landtagsfähigkeit des Bauernstandes vollendete seine bürgerliche Gleichstellung mit den übrigen Ständen. In Preußen war es namentlich die Stein-Hardenbergsche Gesetzgebung, welche die Überreste der ehemaligen Leibeigenschaft oder Erbuntertänigkeit beseitigte (Edikt vom 9. Okt. 1807). In Bayern wurde die Leibeigenschaft aufgehoben durch die Konstitution vom 1. Mai 1808, in Österreich durch die Edikte vom 4. und 17. März 1849, in Rußland durch Manifest vom 19. Febr. 1861. Die gutsherrliche Abhängigkeit wurde entweder ohne Entschädigung aufgehoben, oder es wurde doch die Ablösung des Obereigentums und vieler Lasten gestattet, oder durch Auseinandersetzung zwischen den Bauern und Gutsherren eine Teilung der Güter unter ihnen nach Maßgabe des bisherigen Eigentums- oder Nutzungsrechts herbeigeführt und den erstern volles Eigentumsrecht eingeräumt (s. Ablösung). Mit der Beseitigung des Zunftwesens und der gewerblichen Zwangs- und Bannrechte fiel auch die letzte Schranke zwischen Stadt und Land sowie zwischen Bürger- und Bauernstand. In Österreich bestimmt das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger vom 21. Dez. 1867 im Artikel 7: »Jeder Untertänigkeits- und Hörigkeitsverband ist für immer aufgehoben. Jede aus dem Titel des geteilten Eigentums auf Liegenschaften haftende Schuldigkeit oder Leistung ist ablösbar, und es darf in Zukunft keine Liegenschaft mit einer derartigen unablösbaren Leistung belastet werden.«

Als Staatsbürger stehen die Bauern nunmehr in Bezug auf Rechte und Pflichten mit allen übrigen auf gleicher Linie. Aber auch in andrer Weise ist die Gesetzgebung für die Hebung des Bauernstandes tätig gewesen, insbes. durch eine zweckmäßige Agrargesetzgebung, namentlich über die Zusammenlegung (Separation) der Grundstücke, durch selbständigere Organisation der Landgemeinden und durch Vermehrung und Erhaltung der bäuerlichen Besitzungen (s. Innere Kolonisation und Rentengüter). Durch die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs sind die landesgesetzlichen Vorschriften über die Ordnung der gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse etc. unberührt geblieben (Art. 113 ff. des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch). Vgl. v. Maurer, Geschichte der Fronhöfe, der Bauernhöfe etc. in Deutschland (Erlang. 1862–63, 4 Bde.); Derselbe, Geschichte der Dorfverfassung in Deutschland (das. 1865–66, 2 Bde.); Bonnemère, Histoire des paysans (2. Aufl., Par. 1874, 2 Bde.); Probyn, Systems of land tenure in various countries (Lond. 1881); »Bäuerliche Zustände in Deutschland« (Bd. 22–24 der Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Leipz. 1883); Lamprecht, Schicksal des deutschen Bauernstandes bis zu den agrarischen Unruhen des 15. und 16. Jahrh. (in den »Preußischen Jahrbüchern«, Bd 56, Heft 2,1885); G. F. Knapp, Die Bauernbefreiung und der Ursprung der Landarbeiter in den älteren Teilen Preußens (Leipz. 1887, 2 Bde.); Schamberger, Geschichte des Bauernstandes (Linz 1891); Grünberg, Die Bauernbefreiung und die Auflösung des gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisses in Böhmen, Mähren und Schlesien (Leipz. 1894, 2 Bde.); die einschlägigen Artikel im »Handwörterbuch der Staatswissenschaften« (2. Aufl., Jena 1899); Bartels, Der B. in der deutschen Vergangenheit (Leipz. 1900); Inama-Sternegg, Deutsche Wirtschaftsgeschichte, Bd. 3 (das. 1899–1991).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1905, S. 457-459.
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