[543] Güterabschätzung (Taxation, Anschlag, Wertanschlag, Bonitierung), die Wertschätzung von Landgütern oder einzelnen Grundstücken durch Privatpersonen, durch Kommissionen oder durch amtlich bestellte Taxatoren (Boniteure), die nach besondern Instruktionen vorzugehen haben. Die G. nimmt ihren Ausgangspunkt von der Ermittelung der Roherträge und der Produktionskosten, um danach für bestimmte Fälle Reinertrag und Wert von Landgütern oder einzelner Teile derselben zu schätzen.[543] Unter Reinertrag wird jedoch im praktischen Leben, je nach der Stellung des Bezugsberechtigten zur landtwirtschaftlichen Unternehmung, sehr Verschiedenartiges verstanden, weshalb eine genaue Fixierung der Begriffe Roh- und Reinertrag unerläßlich ist. Für den Unternehmer gilt als Rohertrag (Roheinnahme, Bruttogewinn, Bruttoertrag, Bruttoproduktion, reproduziertes Kapital) die Gesamtheit der Werte, welche die Unternehmung ohne Bezug auf den erforderlichen Kostenaufwand neu hervorbringt. Als Reinertrag hat der Unternehmer die Wertsumme anzusehen, die sich von dem Rohertrag nach Abzug des Rohaufwandes (Produktionskosten, Unkosten, Bruttoaufwand, verbrauchtes Kapital) ergibt. Entsteht eine Differenz zu ungunsten des Rohertrags, so entsteht ein Defizit des Betriebes oder ein Reinaufwand (reine Produktionskosten). Bezeichnet man den Reinertrag der Unternehmung mit R, den Rohertrag mit E, den Rohaufwand mit K und den Reinaufwand mit P, so ist der Reinertrag der Unternehmung oder der Unternehmergewinn: R = E-K und die reinen Produktionskosten oder der Unternehmerverlust: P = K-E Dieser Reinertrag der Unternehmung setzt sich zusammen aus dem Erträgnis von Grund und Boden samt Gebäuden (G), der Entschädigung für die geistige Arbeit des Unternehmers, dem Unternehmergewinn (U), für die Tätigkeit des Verwalters (V) und für die Entlohnung der materiellen Arbeit (A) und aus dem Ertrage des in der Unternehmung verwendeten Betriebskapitals (C). Je nachdem nun diese Aufwandsposten mehr oder weniger vollständig in Ansatz gebracht werden, ergibt sich eine verschiedene Bedeutung und Höhe des Reinertrags. Um den Kapitalwert des letztern zu erfahren, wird er mit dem landesüblichen Zinsfuß kapitalisiert. Für die Zwecke der G. kann daher ein vorliegender Reinertrag nicht kritiklos zur Grundlage der Kapitalwertermittelung verwendet werden, sondern es muß die Bedeutung des Reinertrags vorher klargestellt sein. Die Möglichkeiten, die in dieser Hinsicht im praktischen Leben vorkommen, sind die nachstehenden: Am seltensten und auch unzuverläßlichsten ist die Ermittelung des Reinertrags (Zinses) des Grund und Bodens mitsamt den Gebäuden (Gutsrente, objektiver Reinertrag), weil dann unter den Aufwandsposten ein Unternehmergewinn in Ansatz gebracht werden muß, der sich aber im vorhinein auch nicht annähernd feststellen läßt und daher nur ungefähr geschätzt werden kann. In diesem Fall entspräche der Reinertrag dem Zins des Gutskapitals oder
G = E-(U+C+V+A)........1
Soll der Reinertrag des nackten Grund und Bodens (Bodentaxe) erhoben werden, so müßte von obigem Ergebnis noch die Miete für das Gebäudekapital in Abzug gebracht werden. In der Regel wird dagegen als Reinertrag der Wirtschaft (Wirtschaftsertrag) der Zins von Grund und Boden und der Unternehmergewinn zusammengefaßt; es ist dann der Reinertrag gleich
G+U = E-(C+V+A)........2
Häufig werden auch die Betriebskapitalzinsen unter den Aufwandsposten nicht in Ansatz gebracht. Es ist dann der Reinertrag der Wirtschaft (Vermögens- oder Besitzrente und Unternehmergewinn) gleich
C+G+U = E-(V+A)........3
Die vorstehenden drei verschiedenen Reinerträge entsprechen jedoch nicht dem Reineinkommen des bezugsberechtigten selbstwirtschaftenden Gutsbesitzers, weil zur Feststellung dieses von dem Reinertrag der Unternehmung noch die Summen in Abrechnung zu bringen sind, die zur Instandhaltung und Neuherstellung der einer Abnutzung ausgesetzten Kapitalbestandteile, zur Versicherung der Kapitalwerte und zur Begleichung etwaiger Schuldzinsen notwendig sind.
Die Reinertrags-, bez. Kapitalwerts-Ermittelung bezieht sich nun auf die gesamte Unternehmung oder auf einzelne Teile derselben; danach wird die G. als Ertragsanschlag (Komplexualschätzung) von dem Grundanschlag (Einzeltaxation, Parzellenschätzung) unterschieden. Der Ertragsanschlag (Kauf-, Pachtanschlag) wird aufgestellt beim Ankauf, Verkauf, Tausch, Pachtung ganzer Landgüter mit fundus instructus und bei der Prüfung der Vorteilhaftigkeit von Neuorganisationen gesamter Landgüter. Bei demselben werden auf Grund von Gleichung 3 keine Kapitalzinsen in Anrechnung gebracht. Bleibt jedoch der Fundus instructus außer Betracht, so gilt die Gleichung 2 oder mit einer gewissen Einschränkung selbst Gleichung I. Der Grundanschlag (Grundwerttaxe) kommt in Anwendung, wenn es sich um den Wert von Grundparzellen, einzelner Bodenklassen (Bodentaxe), um die Ermittelung des Reinertrags einzelner Kulturarten oder Kulturpflanzen, der Futterverwertung einzelner Tierarten, der Produktionskosten etc. handelt. Dabei werden stets Kapitalzinsen unter den Aufwandsposten in Ansatz gebracht.
Das besondere Verfahren bei der G. auf Basis des Ertrags- oder des Grundanschlags richtet sich nach dem Zwecke, für den die G. zu dienen hat. Steht die Wertserhebung zu Zwecken von Erbteilungen, des Verkaufs, der Pachtung, der Expropriation (s. d., für öffentliche Einrichtungen) oder von Austragung von Rechtsstreitigkeiten in Frage, so wird der gegenwärtige Wert des Gutes unter der tatsächlich zur Ausführung gelangten Bewirtschaftungsweise und nach Ansatz von mehrjährigen Durchschnittspreisen der Produkte erhoben, d. h. die zeitige oder temporäre Werttaxe. Handelt es sich um die Grundsteuerbemessung und -Regulierung, Gewannwegsregulierungen, Separationen, Meliorationsarbeiten, Gemeinheitsteilungen, Ablösungen, Aufnahme von Hypotheken, so wird der dauernde oder bleibende Wert des Gutsteiles, d. h. die Sicherheits-, Grund- oder Kredittaxe, ermittelt, bei dessen Ermittelung die ortsübliche Wirtschaftsweise und langjährige Durchschnittspreise der Produkte der Rechnung zugrunde gelegt werden. Sowohl bei der zeitigen Werttaxe, als auch bei der Grundtaxe kommen keine Grundkapitalzinsen in Anrechnung, nachdem dieselben in dem ermittelten Reinertrag (Gleichung 2) enthalten sind. Letzterer zu dem landesüblichen Zinsfuß kapitalisiert, gibt den Wert des Gutes oder des Gutsteiles. Stellt man dagegen alle Kapitalzinsen und die letztjährigen Produktenpreise in Rechnung, so erhält man die Unternehmertaxe, welche die Wert- und Kredittaxe übertreffen soll; sie bietet die rechnungsmäßige Kontrolle der Wirtschaftsorganisation sowie den Wert des Gutes unter der künftigen neuen Wirtschaftsweise. Vgl. Krafft, Die Betriebslehre (7. Aufl., Berl. 1904); v. Wich, Gutsadministration und Güterschätzung in Österreich, in Ungarn etc. (Wien 1897); Werner, Der landwirtschaftliche Ertragsanschlag etc. (2. Aufl., Bresl. 1890); von der Goltz, Landwirtschaftliche Taxationslehre (2. Aufl., Berl. 1892); Dünkelberg, Landwirtschaftliche Betriebslehre, 3. Teil: Taxationslehre (Braunschw. 1898); Scheffler, Die Abschätzung der zu Eisenbahnanlagen erforderlichen Landabtretungen (Berl. 1878); Lehnert, Landwirtschaftliche[544] Taxationslehre (Stuttg. 1885); Machts, Wertschätzung landwirtschaftlicher Güter (2. Aufl., Wien 1875); Malinkowski, Die Schätzung von Landgütern mit besonderer Berücksichtigung ihrer Anwendung auf Landgüter in Österreich-Ungarn (das. 1886); Pabst, Landwirtschaftliche Taxationslehre (3. Aufl., Berl. 1881); Schmied, Die landwirtschaftliche Taxationslehre (Prag 1878); Weskamp v. Liebenburg, Handbuch zur Vornahme von Schätzungen an Gebäuden und landwirtschaftlichen Gütern bei Aufnahme von Versicherungen etc. (Wien 1876); Block, Mitteilungen landwirtschaftlicher Erfahrungen und Grundsätze (3. Aufl., Bresl. 1891); »Dienstvorschriften für die in der Provinz Hannover beschäftigten Spezialkommissare und Vermessungsbeamten« (4. Teil, Berl. 1896); Werner, Abgekürztes Abschätzungsverfahren bei der Bewertung von Landgütern (in den »Mitteilungen der Deutschen landwirtschaftlichen Gesellschaft«, 14. Jahrg., Stück 7, das. 1899).
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