Wirtschaft

[688] Wirtschaft ist jede auf die Befriedigung von Bedürfnissen, demgemäß auf Erzeugung und Verwendung von Gütern dauernd gerichtete Tätigkeit des Menschen. Dieselbe gewinnt vorzüglich dadurch eine Bedeutung, daß der Mensch die Gegenstände der Außenwelt auf ihre Brauchbarkeit für die Bedürfnisbefriedigung zu prüfen und zu vergleichen, daß er ferner auf Grund gesammelter Erfahrungen auf die Zukunft zu schließen und demgemäß bei allen wirtschaftlichen Handlungen an der Hand vernünftiger Erwägungen einen vorhandene Kräfte, Mittel und Bedürfnisse berücksichtigenden Wahlentscheid zu treffen vermag. Namentlich handelt es sich darum, zu bewirken, daß unsre wirtschaftlichen Kräfte gleichen Schritt halten mit den mit steigender Kultur erfahrungsgemäß wachsenden Bedürfnissen. Hieraus erwächst für den Menschen die unabweisliche Forderung, nach dem Grundsatze der Wirtschaftlichkeit, d. h. immer so zu wirtschaften, daß mit gegebenen Kräften möglichst viel geleistet und ein bestimmter Zweck mit möglichst geringen Opfern erreicht werde. Hieraus ergeben sich bestimmte Regeln für die Wirtschaftlichkeit der Produktion und Konsumtion (s. d.). Es gibt so viel Wirtschaften, als Wirtschaftssubjekte ihre Bedürfnisse selbständig befriedigen. Dieselben weisen je nach Art, Zahl und rechtlicher Stellung der wirtschaftenden Persönlichkeiten, nach Art der Gegenstände, auf welche die wirtschaftliche Tätigkeit gerichtet ist, große Verschiedenheiten auf. Diese Tatsache gibt Veranlassung zur Unterscheidung von Wirtschaftsarten. Je nachdem der Zweck der W. die Erzeugung oder der Verbrauch von Gütern ist, werden Erwerbs und Verbrauchs wirtschaften unterschieden. Für das Leben der Gesamtheit sind die erstern die wichtigern und werden demgemäß von der Wissenschaft besonders berücksichtigt. Unter ihnen unterscheiden wir: die Einzel- (Individual-) W., deren Träger eine einzelne Person ist, die nur für sich und ihre Familie sorgt, und die W. von Gemeinschaften (Gemein- oder Gesamtwirtsch ast). Die W. von Gemeinschaften kann auf freiem Vertrag beruhen, der jederzeit wieder lösbar ist, sogen. freie Gemeinwirtschaften, die entweder wirtschaftliche Zwecke verfolgen, wie die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (s. Genossenschaften, S. 572), die Handelsgesellschaft (s. d.) u. a., oder gemeinnützigen und wohltätigen Aufgaben dienen. Oder die Gemeinschaft, bez. die ihren Zwecken dienende wirtschaftliche Tätigkeit beruht auf Zwang. Der Einzelne gehört der Gemeinschaft an auf Grund seiner Geburt, Niederlassung, auf Grund von Besitzverhältnissen u. dgl. und hat demgemäß an der Lösung der Aufgaben der Gemeinschaft, insbes. anderen Lasten, sich zu beteiligen. Solche Zwangsgemeinwirtschaften sind in erster Linie der Staat, dann die Gemeinden, ferner Gemeinschaften, die bestimmte einzelne Zwecke verfolgen, wie Deichverbände, Meliorationsgenossenschaften, Zünfte, Zwangsinnungen etc. In diesen Zwangsgemeinschaften herrscht nicht immer der Grundsatz von freier Leistung und Gegenleistung; denn Vorteile und Leistungen werden meist einseitig durch eine zwingende Gewalt, nicht auf dem Wege freien Wettbewerbes bemessen und geregelt. Dann sind zu unterscheiden: die Privatwirtschaft, die auf dem Boden des Privatrechts steht, und durch die der Private (physische oder juristische Persönlichkeit) seine Sonderbedürfnisse befriedigt, und die W. des öffentlichen Rechts, die im wesentlichen sich mit dem Begriff der Zwangsgemeinwirtschaft deckt, namentlich die Finanzwirtschaft des Staates und der andern öffentlich-rechtlichen Korporationen. Als Volkswirtschaft bezeichnet man die Gesamtheit der durch Tauschverkehr und Arbeitsteilung verbundenen Wirtschaften eines Volkes. Dann spricht man noch von Weltwirtschaft, worunter die internationalen Handels- und Verkehrsbeziehungen verstanden zu werden pflegen (vgl. Volkswirtschaftslehre). Als Wirtschaftspflege, Wirtschaftspolitik, Wirtschaftspolizei bezeichnet man beschränkende und fördernde Tätigkeiten der öffentlichen Gewalt, die sich unmittelbar auf wirtschaftliche Gebiete beziehen. Über Natural- und Geldwirtschaft s. Geld, S. 514. Vgl. May, Die W. in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (Berl. 1901); Bücher, Die Entstehung der Volkswirtschaft (6. Aufl., Tübing. 1907); Lindeman, Urbegriffe der Wirtschaftswissenschaft (Dresd. 1904); E. Hahn, Die Wirtschaft der Welt am Ausgang des 19. Jahrhunderts (Heidelb. 1900) und Das Alter der wirtschaftlichen Kultur der Menschheit (das. 1905); Oppel, Natur und Arbeit, eine allgemeine Wirtschaftskunde (Leipz. 1904, 2 Bde.); auch die Literatur zum Artikel »Welthandel und Weltverkehr« (in der Textbeilage) und die von Calwer u. d. T. »Das Wirtschaftsjahr« herausgegebenen Jahresberichte über den Wirtschafts- und Arbeitsmarkt (Jena 1902 ff.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 688.
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