Hölle [1]

[480] Hölle (abgeleitet v. altdeutschen H el, dem Namen der Göttin der Unterwelt bei den alten Germanen). Sowohl die semitischen als die klassischen Religionen des Altertums nahmen an, daß mit dem Tode des Leibes das eigentlich persönliche Leben des Menschen aufhöre; seine Seele steige hinab in einen dunkeln, lichtlosen Ort, wo sie als »Schatten« ein untätiges, freudenloses Leben führe. Diesen Ort nannten die Hebräer Scheol, die Griechen Hades. Luther hat in seiner Bibelübersetzung beide Worte mit H. wiedergegeben. H. im engern Sinne heißt aber nur derjenige Teil der Unterwelt, wohin die Seelen der Bösen zur Bestrafung verwiesen werden. Die Griechen nannten ihn Tartaros, die Juden seit den Zeiten des Babylonischen Exils Gehenna (d. h. G e-Hinnom, »Tal Hinnom« bei Jerusalem, wohin das Aas und die Leichen von Verbrechern geworfen wurden). Im Zusammenhang mit der Lehre von der Auferstehung (s. d.) wurde aus dem ursprünglichen Schattenreich nunmehr ein Ort körperlicher Qual, die bald als äußerster Frost (z. B. Matth. 8, 12), bald als Feuerpein (z. B. Mark. 9, 48 nach Jes. 66,24) beschrieben wird. Die letztere Vorstellung überwiegt schon im Neuen Testament (Matth. 25, 41; Offenb. 21, 8) und wurde vollends herrschend, seitdem die abendländische Christenheit, gewohnt, in vulkanischen Ausbrüchen das Toben der H. und die Wut der Dämonen zu erleben, die Höllendekoration in steigender Farbenglut den Eindrücken jener Phlegräischen Gefilde entnommen hatte, auf denen schon Vergil den Eingang zum Hades fand. Das solchergestalt konsolidierte Bild der H., das den germanischen Völkern die Erinnerung an die Wasserhölle der Edda verwischte, haben am Anfang des 14. Jahrh. Giotto malerisch und Dante, indem er damit die Eindrücke des Bergsturzes bei Mori verband, poetisch gezeichnet. In diese H. wurden nach der Kirchenlehre die bei dem Jüngsten Gericht Verdammten zur unaufhörlichen körperlichen und geistigen Pein verstoßen, und vor der den Höllenstrafen beigelegten Ewigkeit (s. d.) verschwand nicht bloß die Paulinische Voraussetzung einer definitiven Vernichtung der Bösen, sondern auch die Vorstellung von der Apokatastase (s. d.). Vgl. Delepierre, L'enfer, essai philosophique, etc. (Lond. 1877); Bautz, Die H. (vom Standpunkt der Scholastik, 2. Aufl., Mainz 1905).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 480.
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