Germanen

[648] Germanen, arischer Volksstamm, gehören mit Griechen und Thrako-Illyriern, Romanen, Slawen, Letten und Kelten zur westlichen Gruppe der Arier und bewohnen außer dem Deutschen Reich, wo sie die weit überwiegende Hauptmasse der Bevölkerung ausmachen (von einer Gesamtbevölkerung von 56,4 nahezu 52 Mill.), in größern zusammenhängenden Gebieten namentlich Österreich, dann die Schweiz und Ungarn und sind auch in Rußland, noch mehr in den Vereinigten Staaten sehr stark vertreten. (vgl. Deutsches Volk, S. 749). Auch die Niederländer und Flamen, die Schweden, die Norweger und Dänen, endlich auch die Engländer gehören zu den G. Der größte Teil der heutigen Deutschen ist ein Mischvolk. Am reinsten noch haben sich die Bewohner Westfalens und der friesischen Küsten erhalten. Die Niederdeutschen flehen den Goten näher; die Oberdeutschen haben lange in engerm Verkehr mit den Kelten gelebt und verkörpern, auch rassenhaft, das germanische Wesen weniger rein. Beide haben in ihren östlichen Abteilungen durch Kolonisation auf slawischem Gebiete (vgl. den Art. »Germanisieren«) die slawisch-gemischte Abart der ostelbischen Deutschen und der Österreicher erzeugt. Von den Oberdeutschen (Franken) ging die Eroberung Galliens, die Frankreich geschaffen, von den Niederdeutschen (Angeln und Sachsen) die Britanniens aus, die den Briten ihre germanische Grundlage gegeben hat. Die Deutschen sind durchschnittlich mesokephal (Index 81,2); doch strebt der Schädel von Norden nach Süden und namentlich nach Südwesten merklich zur Brachykephalie; bei den Niederdeutschen ist er länger als bei den Oberdeutschen. Der Index der Deutschen ist in Hannover 76,7, in der Umgegend von Jena 76,9, in Holstein 77,2, bei Bonn und Köln 77,4, in Hessen 79,2, in Schwaben 79,3, in Bayern 79,8, Unterfranken 80,0, im Breisgau 80,1. Das Indexmittel der Deutsch-Österreicher ist 78,8, das der deutschen Schweizer 81,4. In ihrer Hinneigung zur Dolichokephalie (Index 78,1) lassen die Niederländer und Flamen deutlich die niederdeutsche Herkunft erkennen; verhältnismäßig kurzköpfig sind nur die Friesen. Diese Gruppe, welche die Niederlande, das nördliche Belgien und einige benachbarte französische Striche bewohnt, stammt großenteils von dem altgermanischen Volke der Bataver, während im Nordosten die Friesen sitzen. Im Grunde sind die in den genannten Gebieten wohnenden G. nur Niederdeutsche mit eigner Schriftsprache und Literatur. Im Mittelalter entstanden zahlreiche flämische Kolonien in Ostdeutschland. In Südafrika haben die Holländer bedeutende Ansiedelungen gegründet, die ihnen durch die Engländer entrissen wurden. Über die Flamen s. Belgien, S. 594. Ganz an die Norddeutschen erinnern die Schweden. In der Schädellänge (Index 77,2) stehen sie jenen noch voran. Skandinavien ist seit alter Zeit von germanischen Stämmen bewohnt; Ernst Krause u. a. haben hier sogar die Urheimat der Arier gesucht. Das Volk der Schweden im östlichen Teil der Halbinsel zerfällt in die Götor (Goten) im Süden und die Sveor im Norden. Schweden bewohnen auch die Küsten von Finnland; namentlich in neuester Zeit hat sich ein starker Strom von Auswanderern nach Nordamerika gewandt (1890: 478,041 in Schweden Geborne). Demselben Typus wie diese gehören auch die Norweger und Dänen an, doch sind sie weniger dolichokephal (Index 78,6). Die Norweger bewohnen den Westen Skandinaviens, die Dänen die Ostseeinseln, die zum Königreich Dänemark gehören, Jütland und die nördlichsten Teile Schleswigs. Außerdem befinden sich dänische Niederlassungen an der Westküste Grönlands. Die Sprachen der Norweger und Dänen stehen einander sehr nahe; Literatursprache für beide Völker war bis vor kurzem das Dänische. Beide Sprachen zusammen mit dem Schwedischen stammen wieder von dem Altnordischen, das sich auf Island und den Färöern fast rein erhalten hat. Die Skandinavier beherrschten einst die nordischen Meere, besiedelten Island und Grönland, gründeten eigne Herrschaften in Westfrankreich (Normandie) und Unteritalien, drangen in Britannien von Norden und Süden ein und schlossen die Umbildung des britischen Volkes durch die von der Normandie ausgehende Eroberung im 11. Jahrh. ab, die der englischen Sprache eine Fülle französisch-romanischer Bestandteile zuführte, das keltisch-germanische Wesen des Volkes aber wenig umänderte (vgl. Norwegen). Die Engländer sind zwar ein außerordentlich gemischtes Volk, doch hat das germanische Blut entschieden das Übergewicht. Die Abschließung infolge der insularen Lage hat trotz der wiederholten Zufuhren fremden Blutes immer wieder das Entstehen eines ziemlich einheitlichen Typus ermöglicht, der in seinen Grundzügen durchaus dem nordgermanischen ähnlich ist. Der Schädelbau (Index 78,9) scheint sogar der niederdeutsch-skandinavischen Mischung ganz zu entsprechen. Nachdem die keltisch-römische Mischbevölkerung Englands durch die niederdeutschen Angelsachsen größtenteils verdrängt oder germanisiert worden war, strömte nur noch skandinavisches in größerer Menge zu, teils durch zahlreiche dänische Siedelungen, teils durch romanisierte Normannen (vgl. England, S. 799). Von England aus hat das Germanentum ungeheure Gebiete erobert. Germanisiert sind der Süden Schottlands und der Nordwesten Irlands; die Vereinigten Staaten, Kanada und Australien haben überwiegend angelsächsische Bevölkerung, in Südafrika ist sie wenigstens beträchtlich. Skandinavische und teutonische G. haben auch staatenbildend im finnisch-slawischen Osten gewirkt; die Entstehung der Mächte Böhmen Polen, Rußland läßt sich ohne diese Hilfe gar nicht denken. Vgl. G. B. Mendelssohn, Das germanische Europa (Berl. 1836); Löwe, Die ethnische und sprachliche Gliederung der G. (Halle 1899); Bremer, Ethnographie der germanischen Stämme (Sonderdruck aus Pauls »Grundriß der germanischen Philologie«, Straßb. 1899) und die »Völker- und Sprachenkarte« beim Artikel »Europa«.

Die alten Germanen und Germanien.

(Hierzu die Karte »Germanien und die nördlichen Provinzen des Römischen Reichs« mit Registerblatt.)

Der Name Germani wird zum erstenmal in den Fasti capitolini, d. h. dem in dem Tempel des kapitolinischen Jupiter aufbewahrten römischen Beamtenverzeichnis, zum J. 222 v. Chr. erwähnt; doch kann er eine spätere Einschaltung sein, da er erst durch Cäsar, der ihn in Gallien kennen lernte, den Römern geläufig geworden ist. Er stammt aus der keltischen Sprache und wird am wahrscheinlichsten als »Wäldler«, Bewohner eines Waldlandes, gedeutet: so nannten die Gallier wohl die im Maas- und Niederrheingebiet wohnenden kultur- und städtelosen Völker keltischer und germanischer Abstammung (nach Grimm und Mommsen bedeutet der Name Germani »Schreier«); schließlich wurde er auf die letztern beschränkt und Gesamtbezeichnung der großen Nation jenseit des Rheins. Die germanischen Völker haben den Namen wohl selbst erst von den Galliern gehört und sich seiner nur im [648] Verkehr mit Fremden, besonders mit Römern, bedient; volkstümlich ist er bei ihnen nie geworden. Später hat sich die gelehrte Sprache des gallischen Namens bemächtigt und gebraucht ihn in noch weiterm Sinn, als er früher hatte (s. oben). Vgl. Mahn, Über den Ursprung und die Bedeutung des Namens G. (Berl. 1864); Jäkel, Der Name G. (in der »Zeitschrift für deutsche Philologie«, Bd. 26, 1893).

Die erste Kunde von den G. kam den Völkern des Altertums durch die Reiseberichte des gelehrten Kaufmanns Pytheas von Massilia, der sie um 330 v. Chr. an den Küsten der Nord- und Ostsee kennen lernte (vgl. Matthias, Über Pytheas von Massilia und die ältesten Nachrichten von den G., Berl. 1901). Von hier gingen auch die Stämme der Cimbern und Teutonen aus, mit denen die G. zuerst in die Geschichte eintraten, als sie 113–101 die Bevölkerung Italiens, Galliens und Spaniens in Schrecken setzten. Wahrscheinlich hatten sie später als die Griechen, Italiker und Kelten die Urheimat des arischen oder indogermanischen Stammes (vgl. Penka, Die Heimat der G., Wien 1893) verlassen; nach langen, zeitlich nicht zu bestimmenden Wanderungen durch die Tiefebenen Sarmatiens, wo sich Slawen und Letten von ihnen loslösten, nahmen sie eben in jenen Küstenländern zuerst Wohnsitze ein und verbreiteten sich von hier aus allmählich weiter nach S. und W. Ihr Land war bis zu Cäsars Zeit den Römern fast ganz unbekannt; und auch durch Cäsars kurze Feldzüge im O. des Rheins und durch das, was er in Gallien darüber hörte, konnte keine genauere Kenntnis gewonnen werden. Erst durch die Kriege, die Drusus, Tiberius, Germanicus u. a., bis an die Weser und Elbe vordringend, in der Zeit kurz vor und nach Christi Geburt gegen die G. führten, erwarb man eine genauere Kenntnis des Landes. Die Grenzen Germaniens, das die Römer Germania magna, auch G. barbara und G. transrhenana nannten, waren gegen N. und O. unbestimmt. Als die östlichen Grenznachbarn werden die jenseit der Weichsel wohnenden Sarmaten genannt; im N. bildete die Grenze der Ozean, worin man sich das jetzige Dänemark, Schweden und Norwegen als Inseln dachte, die man ebenfalls zu G. magna in weitester Bedeutung rechnete. Im W. trennte es der Rhein von Gallien; im S. grenzte es an die römischen Provinzen Vindelizien, Noricum und Pannonien. In früherer Zeit bildete die Südgrenze des germanischen Gebiets der Herzynische Wald (Hercynia silva), der zusammenhängende Gebirgszug, der vom Schwarzwald an durch Franken, über das Erz- und Riesengebirge sich fortsetzend, bis zu den Karpathen reicht. Aus den unter dem Namen Hercynia silva zusammengefaßten deutschen Mittelgebirgen tauchen noch eine Reihe von Namen auf, die sich bestimmen lassen: so das Gabretagebirge (Böhmerwald), die Sudeten (Erzgebirge), der Mons Abnoba oder Silva Marciana (Schwarzwald), der Jura, dessen Name schon bei Cäsar und Ptolemäos auftritt, Alpii Montes (Rauhe Alp), der Taunus, die Silva Bacenis (zwischen Weser und Saale, nördlich von Werra und Unstrut), der Vosagus (fälschlich Vogesus, d. h. Wasgau, Vogesen), Semana (Thüringer Wald), Melibocus (Harz), Asciburgium (Riesengebirge), Teutoburger Wald (Osning) u. a.; der Name Buchonia silva für Rhön und Vogelsgebirge läßt sich im Altertum nicht nachweisen. Von den Flüssen Germaniens kannten die Römer besonders den Danubius (Donau), der die Grenze zwischen ihnen und den G. bildete, den Rhenus (Rhein) mit dem Mündungsarm Vahalis (Waal) und den Nebenflüssen Nicer (Neckar), Moenus (Main), Laugona (Lahn), Luppia (Lippe) u. a.; ferner den Vidrus (Vecht), die Amisia (Ems), die Visurgis (Weser), die Albis (Elbe), den Viadrus (Oder), die Vistula (Weichsel), den Guttalus (Pregel), letztern freilich nur durch Hörensagen. Unter den Seen war den Römern als der bedeutendste de r Lacus Brigantinus oder Venetus (Bodensee) bekannt. Vgl. Knüll, Historische Geographie Deutschlands im Mittelalter (Bresl. 1903); Kretschmer, Historische Geographie von Mitteleuropa (Münch. 1904).

Die Berichte der Römer über das Klima und die Bodenbeschaffenheit Germaniens lauten ungünstig: es sei ein rauhes Land, voll von Sümpfen und dichten Wäldern, über denen sich ein düsterer Himmel und eine nebelvolle, regenreiche Luft ausbreiteten; dem kurzen Sommer folge ein langer Winter mit furchtbaren Stürmen, und die Ströme bedeckten sich auf lange Zeit mit Eis. Allerdings nahmen gewaltige Buchen- und Eichenwälder damals einen großen Teil des Landes ein (vgl. Schwappach, Handbuch der Forst- und Jagdgeschichte Deutschlands, Berl. 1885–88); im N. gab es auch Nadelholz. Die ungeheuern Eichenstämme bewunderte der ältere Plinius, der selbst im nördlichen Westfalen, im Lande der Chauken, gewesen war. Obstbäume aber, wenigstens edlere, gediehen nach Tacitus nicht. An Getreide gab es Gerste, Hafer und Hirse; Weizen wurde durch die Römer eingeführt; dazu wurden Flachs und einiges Gemüse (Rüben, Rettiche, Spargel, Bohnen) gebaut. Die zahlreichen Viehherden bestanden aus Rindvieh, das klein und unansehnlich, aber dauerhaft war, Schafen, Ziegen und besonders Schweinen. Die einheimischen Pferde waren unansehnlich und nicht besonders schnell, aber genügsam und ausdauernd. Viel Wild bot der Jagdlust der G. unerschöpfliche Nahrung. Außer dem den Römern besonders merkwürdigen Elen oder Elch (Alces) und dem Auerochsen (Urus) gab es Bären, Wölfe, Luchse, wilde Katzen, Wildschweine, Hirsche, Rehe u. a. in Menge. Auch werden die Gewässer als fischreich gerühmt. An Mineralien gewann man den Bernstein, Salz und auch etwas Silber und Eisen. Vgl. Seeck, Die älteste Kultur der Deutschen (in den »Preußischen Jahrbüchern«, Bd. 76, 1894).

Als ein besonderer Teil von Germania magna ist das sogen. Zehntland, Agri decumates (s.d.), anzusehen, der südwestliche Winkel Germaniens zwischen dem Mittelrhein und der obern Donau, der von den Römern allmählich erobert und durch einen vom Rhein bei Koblenz durch Franken und Schwaben bis nach Regensburg sich 500 km weit hinziehenden Grenzwall (s. Limes) geschützt wurde; er diente als Vorwacht gegen Einfälle in das römische Reich, bis unter der Herrschaft des Honorius zu Anfang des 5. Jahrh. die Alemannen auf allen Punkten die Befestigungslinie durchbrachen, das ganze Zehntland überschwemmten und den Römern entrissen. Von der Tätigkeit der Römer in diesen Gegenden zeugen zahlreiche Altertümer, Kastelle, Straßen; von Städten verdienen eine Erwähnung: Aquae oder Aurelia Aquensis (Baden-Baden), Arae Flaviae (Rottweil), Sumelocenna (Rottenburg), Clarenna (Kannstatt), Porta Hercynia (Pforzheim), Aquae Mattiacae (Wiesbaden). – Wohl zu unterscheiden von Germania magna ist Germania cisrhenana oder die römische Provinz Germania, die auf der westlichen Seite des Rheins Gegenden umfaßte, die von germanischen Stämmen jenseit des Rheins besetzt worden waren. Anfangs rechnete man diese Landstriche zu Gallia belgica;[649] allein unter Augustus nannte man sie nach ihren Bewohnern Germania und teilte sie in zwei Teile: G. superior oder G. prima, vom Juragebirge bis zur Nahe, und G. inferior oder G. secunda, von der Nahe bis zum Meer. Auch in diesen Gegenden wurden von den Römern feste Plätze und Standlager errichtet; stets hatten hier mehr Legionen als irgendwo sonst ihre Standquartiere, bereit, die Angriffe der kriegslustigen und gefürchteten Grenznachbarn zurückzuschlagen.

Die Völkerschaften der Germanen

scheidet Tacitus in drei große Gruppen: die Ingävonen (Ingwäonen) am Meer, die Herminonen in der Mitte des Landes und die Istävonen (Istwäonen), zu denen alle übrigen gehören würden; Plinius führt noch einen vierten (Wandalen) und einen fünften Stamm (Peukiner und Bastarner) hinzu. Die Dreiteilung des Tacitus beruht wohl nur auf Sagen und Liedern, die dem Stammvater der Germanen, Mannus, drei Söhne gaben, von denen die Gruppen abstammen sollten. Begründeter ist eine von Cäsar und Tacitus gemachte Scheidung, die den nichtsuevischen westlichen Völkerschaften die Sueven im Nordosten der Elbe gegenüberstellt, welche die große nordöstliche Ebene bewohnten, weniger von Ackerbau als von Jagd und Viehzucht lebten und zu Wanderungen geneigt waren. Vgl. Stein, Die Völkerstämme der G. nach römischer Darstellung (Schweins. 1896).

Bis zum Ende des 2. Jahrh. n. Chr. waren die Wohnsitze der germanischen Völkerschaften (vgl. v. Erckert, Wanderungen und Siedelungen der germanischen Stämme in Mitteleuropa, Berl. 1901) etwa folgendermaßen verteilt: am linken Rheinufer, also in der römischen Provinz Germania superior, saßen die drei Stämme der Triboker im Elsaß mit der Stadt Argentoratum (Straßburg), der Nemeter mit Noviomagus (Speyer) und der Vangionen mit Borbetomagus (Worms) und Mogontiacum (Mainz). Weiter nördlich im niedern Germanien, noch mitten unter keltischen Stämmen wohnten die Ubier, deren Mittelpunkt Köln (Colonia Ubiorum oder C. Agrippinensis) war; auch Bingen, Koblenz, Remagen und andre Kastelle waren hier von Drusus gegründet; näher der Mündung des Stromes, auf der vom Rhein gebildeten Insel die ihrer Tapferkeit wegen gepriesenen Bataver (daher der Landschaftsname Betuwe) und im Innern um Tongern die Tungrer. An der Küste der Nordsee hin folgen die Friesen vom Rhein bis zur Ems und die Chauken von der Ems über die Weser hinaus bis zur Elbe. Im Süden schloß sich hier eine Reihe von Stämmen an, die später zu dem fränkischen Volk verschmolzen, die Chamaven (mittelalterlicher Gau Hamaland um Deventer) und die Chattuarier (zwischen Ruhr und Lippe); ferner die Amsivarier, ursprünglich an der Ems, aber von hier durch die Chauken verdrängt; die Sigamb(r)er, auf beiden Seiten der Ruhr von der Lippe bis zur Sieg, durch Tiberius besiegt und z. T. auf römischem Boden angesiedelt; endlich die Brukterer in dem Winkel zwischen Ems und Lippe. Mehr im Innern sind die Hauptstämme die Katten, im jetzigen Hessen und bis nahe an den Rhein, die An grivarier an der mittlern Weser, die Cherusker zwischen Harz und Thüringer Wald und die Hermunduren zwischen Main und Donau. Von den suevischen Stämmen sind zu nennen: die Semnonen an Havel und Spree, die Reudigner, Avionen, Eudosen, Suardonen, Nuithonen und andre wenig bekannten Völkerschaften im Osten bis zur Meeresküste hin. Tacitus rechnet auch die Langobarden, die wohl schon zu seiner Zeit im Lüneburgischen saßen, sowie die Angeln und Wariner in Holstein und Mecklenburg zu den Sueven; ebenfalls zu ihnen gehören wohl die Markomannen in Böhmen und die Quaden östlich von diesen an der Donau. Weiter ostwärts noch saß das mächtige, in mehrere Zweige zerfallende Volk der Lygier.

Eine eigne, zusammengehörige Gruppe für sich bilden die Völker des gotisch-wandalischen Stammes im äußersten Osten des alten Germanien zwischen Oder und Weichsel und über diese hinaus bis an die Memel hin. Zu ihnen gehörten, außer den Goten und Wandalen (Vandalen), die Burgundionen, deren älteste Sitze im Gebiete der Netze und Warthe lagen, die Gepiden an der obern Weichsel, die Rugier, Skiren, Turkilinger, Heruler, Lemovier u. a. Eine letzte Gruppe bilden endlich die nordischen G. oder Skandinavier, zu denen die Sulonen (Schweden) gehören, die Tacitus fälschlich den Sueven zuzählt. Sehen wir von den Skandinaviern ab, so breiteten sich also die G. von der Donau bis zur Ost- und Nordsee, vom Rhein bis zur Weichsel und den Karpathen aus. Cäsar kannte etwa 20 germanische Völker, Strabon und Plinius etwa 30, Tacitus über 60 und Ptolemäos über 100. Wesentliche Veränderungen in der geographischen Verteilung der Stämme der G. treten erst seit dem Ausgang des 2. und dem Anfang des 3. Jahrh. n. Chr. ein, zur Zeit, da auch die alten Völkerschaftsbezeichnungen allmählich verschwinden und neue Namen, neben dem der Goten die der Alemannen, Franken, Sachsen, dann auch der Bayern u. a., auftauchen. Im 4. Jahrh. bewog jene gewaltige Völkerbewegung (s. Völkerwanderung) einen großen Teil der G. zu Eroberungszügen, auf denen sie das Weströmische Reich zerstörten und auf dessen Boden mächtige Reiche, das westgotische in Gallien und Spanien, das wandalische in Afrika, das ostgotische u. das langobardische in Italien, das burgundische im Rhonegebiet, das angelsächsische in Britannien und das fränkische im nordöstlichen Gallien, begründeten. Hierdurch wurden die Grenzen Germaniens gänzlich verschoben, und der Osten rechts von der Elbe und Saale, Böhmen, Österreich, das ganze Ostalpengebiet ward an die nachdrängenden Slawen verloren; die Reiche in Italien, Afrika und Spanien gingen zugrunde, und ihre germanischen Einwohner wurden romanisiert. Gleiches Schicksal hatten die Burgunder und der westliche Teil des Frankenreichs. Germanisch blieben also bloß Skandinavien, England und Deutschland, d. h. das Gebiet zwischen Alpen und Nordsee von der Mosel, Maas und Schelde im Westen bis zur slawischen Grenze im Osten, dessen Bewohner, unter Karl d. Gr. sämtlich mit dem Frankenreich vereinigt, später ein eignes, das ostfränkische Reich bildeten und im 10. Jahrh. den Namen »Deutsche« empfingen (Weiteres s. Deutschland, S. 800–801).

Kultur und staatliche Einrichtungen der Germanen.

Über Lebensweise, Sitten und Gebräuche sowie über staatliche Einrichtungen der G. verdanken wir ausführliche Nachrichten der »Germania« des Tacitus (98 n. Chr. geschrieben). Große und kräftige Gestalt, weiße Haut, blondes Haar, glänzende blaue Augen werden als allen G. eigentümlich bezeichnet. Schon in früher Kindheit ward der Körper an Arbeit und Entbehrung gewöhnt. War der Jüngling herangewachsen, so bekleidete ihn ein angesehener Mann oder der eigne Vater in der Versammlung des Volkes[650] mit den Waffen; damit trat er in die Gemeinschaft des Volkes ein. In Jagd und Krieg ging das Leben des Mannes auf; die Geschäfte des Hauses und Feldes überließ man den Weibern, Knechten, Greisen und denen, die zur Führung der Waffen unfähig waren. Im Hause waltete die Frau als »Herrin«; streng wurde die Heiligkeit der Ehe gewahrt, Vielweiberei war unbekannt, unkeuscher Wandel streng verpönt; als Wahrsagerinnen taten Frauen den Willen der Götter kund und übten so auf das Geschick ganzer Völker Einfluß aus. Ackerbau ward überall getrieben, und der Pflug war längst bekannt. Teils auf Einzelhöfen lebte der freie Mann, teils hatte man sich in Dörfern angesiedelt, doch so, daß freier Hof- und Gartenraum jedes Haus umgab; Städte gab es wenig, auch feste Plätze werden selten erwähnt. Gewerbe trieben die G. nur, soweit es erforderlich war, um ihre einfachen Bedürfnisse zu befriedigen: ihre Gewänder aus Tierhäuten zu bereiten oder wollene und leinene Stoffe zu weben, ihre Waffen zu schnitzen, zu schmieden und mit Gold und Silber auszuschmücken. Die Schiffahrt sowohl auf den Flüssen als auf dem offenen Meere war nicht unbekannt. Handel trieben besonders die an den Grenzen des römischen Reiches wohnenden Völker, indem sie von da Schmuck und Kleider, auch Wein, der seit den Zeiten des Kaisers Probus am Rhein gebaut wurde, einführten; nur diese Völker kannten das Geld und seinen Gebrauch. Die andern G. trieben bloß Tauschhandel mit Fellen, Federn, Honig, Bernstein, Schinken, Vieh und Sklaven. Tadelte der Römer die Härte und Grausamkeit der G., ihre Roheit und ihren Mangel an feinerer Gesittung, so mußte er ihre Gastfreiheit und Ehrlichkeit, ihre Offenheit und ihre Freiheitsliebe, ihre Keuschheit und ihr Rechtsbewußtsein, vor allem aber ihre Treue rühmen. Das nächste Band, das die Genossen des Volkes umschlang, war das der Familie oder Sippe: den Mitgliedern einer Familie lag ob die Pflicht gegenseitigen Schutzes und der (durch das von der Familie des Totschlägers zu zahlende »Wergeld« ablösbaren) Rache für einen erschlagenen Blutsverwandten. Auch vor Gericht hatten die Geschlechtsgenossen die Pflicht, einander beizustehen; aus dieser ist die altgermanische Einrichtung der Eideshelfer erwachsen.

Eine andre Verbindung als die Familie begründete die Dorf- und Markverfassung. Nicht alles Land nämlich, das bei der ersten Ansiedelung der G. von denen, die sich zu einem Dorfe vereinigten, gemeinsam in Besitz genommen worden, war unter die Einzelnen verteilt; vieles blieb brach liegen und diente als Wald oder Weide allen zur Nutznießung nach bestimmten Regeln; dies wird als »gemeine Mark« oder »Allmende« bezeichnet. Um über die Nutznießung zu verhandeln und zu bestimmen, traten die Dorfgenossen an bestimmten Plätzen, meist unter einem alten Baum, häufig einer Linde, zusammen; ein gewählter Dorfvorsteher leitete die Verhandlungen. Staatliche Funktionen kamen nur dem Verband der Völkerschaft oder des Stammes und seinen Gliederungen, den Hundertschaften, zu. Die Staatsgewalt stand der Gesamtheit der freien Männer zu, die sich bewaffnet (Heer und Volk waren identisch) zur Volksversammlung einfanden. Diese war die Trägerin der Souveränität, auch wenn, wie bei den Ostgermanen, ein erblicher König aus einem besondern edeln Geschlecht an der Spitze des Stammes stand; die höchsten Rechte, wie die, über Krieg oder Frieden, über Leib und Leben der Volksgenossen zu entscheiden, die Beamten der Abteilungen des Volkes zu ernennen, standen ver Volksversammlung zu. Diese fand zu destimmten Zeiten bei Neu- oder Vollmond oder außerordentlich bei besondern Veranlassungen statt; festliche Schmausereien gingen den Beratungen voran, die unter freiem Himmel (in heiligen Hainen oder an andern der Gottheit geweihten Stätten) abgehalten wurden. Der König oder, wo es keinen solchen gab, einer der Fürsten leitete die Verhandlungen; nur Männer, die durch Adel, Alter, Kriegsruhm oder Beredsamkeit ausgezeichnet waren, pflegten das Wort zu ergreifen: die Zustimmung zu den gemachten Vorschlägen gab die Versammlung mit beifälligem Zuruf und lautem Zusammenschlagen der Waffen, die Ablehnung mit unwilligem Murren oder Geschrei zu erkennen. Für die Zeit des Krieges wurde aus der Zahl der Fürsten ein Anführer (Herzog) gewählt. Außer den Versammlungen des ganzen Volkes gab es solche der einzelnen Hundertschaften, in die der Stamm zerfiel; hier ward namentlich das Recht gesprochen. An der Spitze der Hundertschaften in Krieg und Frieden, in Heer und Gericht standen Fürsten (principes), die von dem gesamten Stamm aus den tüchtigsten freien Männern gewählt wurden. Ihr und der Könige Vorrecht war es, ein Gefolge zu halten, d. h. eine Anzahl tapferer junger Männer um sich zu versammeln, die, durch das feste Band der Treue an ihren Gefolgsherrn gekettet, mit ihm Ruhm, Beute und Gefahr teilten. Der Eintritt in ein solches Gefolge minderte Freiheit und Ehre nicht. Allerdings gab es bei den meisten Stämmen einen, wenn auch nicht sehr zahlreichen Adel; seine Mitglieder, die »Adalinge« oder »Ethelinge«, galten als besonders angesehen und einflußreich, und man legte Wert auf edle Geburt; aber politische Vorrechte verlieh der Adel nicht. Unter den Freien standen die Hörigen (Liten), vielleicht Angehörige ganzer Völkerschaften, die im Krieg unterworfen worden waren; sie mußten für ihr Land einem Herrn dienen oder zinsen und hatten keine politischen Rechte, waren aber persönlich frei. Die Knechte, meist Kriegsgefangene, galten als Sache und konnten gekauft und verkauft werden; doch wurden sie nicht grausam behandelt und lebten in der Regel auf einem ihnen angewiesenen Stück Land, für das sie Getreide oder Vieh als Abgabe entrichteten. Der Gliederung des Volkes im Frieden entsprach die Ordnung in der Schlacht: das Gefolge umgab seinen Führer, familien- und stammweise vereinigt focht das übrige Volk. Die Schlachtordnung war meist keilförmig, Reiter und Fußgänger vermischt. Der Angriff, der mit einem wilden Gesang (baritus, nicht: barditus) begann, war stürmisch, aber nicht immer ausdauernd. Den Schild auf feiger Flucht wegzuwerfen, galt als die ärgste Schmach. Es fehlte den G. nicht an geschickter und kundiger Führung; anfangs den Römern an Kriegskunst nicht gewachsen, lernten sie bald von den Siegern. Hauptwaffen waren der Speer, das kurze Schwert (besonders bei den Völkern des Nordens: der sahs der Sachsen) und der buntbemalte Schild; das Fußvolk führte auch Bogen und Pfeile. Nur wenige Bevorzugte hatten Harnische und Helme. Einzelne Völkerschaften, wie die Tenkterer und Chauken, waren ihrer Reiterei halber berühmt; die Hauptstärke der germanischen Heere bestand jedoch im Fußvolk.

Die Sprache (s. Germanische Sprachen) war reich und bildungsfähig; auch gab es bereits Schriftzeichen, Runen (s.d.). Gesang und Poesie waren den G. nicht fremd, und in Liedern, die im Volke lebten, bewahrte man die Erinnerung an Helden und ruhmvolle Taten. Ihre Religion war der der übrigen arischen Völker[651] ähnlich (vgl. Deutsche Mythologie); einen eignen Priesterstand hatten die G. nicht, wohl aber Priester, die den Gottesfrieden bei den Versammlungen oder im Heer zu wahren hatten und aus dem Ausfall der Opfer (in der ältesten Zeit auch Menschenopfer), aus dem Flug der Vögel, aus dem Wiehern der heiligen Rosse, aus Losen, die geworfen wurden, den Willen der Götter und die Zukunft verkündeten. Tempel und Bilder der Götter gab es nicht; in heiligen Hainen und Wäldern wurden ihnen Altäre errichtet und die Opfer dargebracht.

Vgl. außer den oben bereits angeführten Schriften Zeuß, Die Deutschen und ihre Nachbarstämme (Münch. 1837; Neudruck, Götting. 1904); Gaupp, Die germanischen Ansiedelungen und Landteilungen in den Provinzen des römischen Westreiches (Bresl. 1844); v. Wietersheim, Zur Vorgeschichte der deutschen Nation (Leipz. 1852); Weinhold, Altnordisches Leben (Berl. 1856); G. Weber, Germanien in den ersten Jahrhunderten seines geschichtlichen Lebens (das. 1862); Müllenhoff, Deutsche Altertumskunde (das. 1870, Bd. 1); Arnold, Deutsche Urzeit (3. Aufl., Gotha 1881); Dahn, Die Könige der G. (Münch. u. Würzb. 1861–1903, Bd. 1–9) und Geschichte der deutschen Urzeit (Gotha 1883–88); Kaufmann, Deutsche Geschichte bis auf Karl d. Gr., Bd. 1: Die G. der Urzeit (Leipz. 1880); Gutsche und Schultze, Deutsche Geschichte von der Urzeit bis zu den Karolingern, Bd. 1: Die gemeingermanische Urzeit und die germanischen Mittelmeerstaaten (Stuttg. 1894); Sepp, Die Religion der alten Deutschen und ihr Fortbestand in Volkssagen, Aufzügen u. Festbräuchen bis zur Gegenwart (Münch. 1890); Chantepie de la Saussaye, Geschiedenis van den godsdienst der G. vóór hun overgang tot het christendom (Haarlem 1900); El. H. Meyer, Deutsche Volkskunde (Straßb. 1898) und Mythologie der G. (das. 1903); Hans Meyer, Deutsches Volkstum (2. Aufl., Leipz. 1903); J. Grimm, Geschichte der deutschen Sprache (4. Aufl., das. 1880, 2 Bde.); Gantier, La langue, les noms et le droit des anciens Germains (Berl. 1901); J. Grimm, Deutsche Rechtsaltertümer (4. Ausg., Leipz. 1899, 2 Bde.); Thudichum, Der altdeutsche Staat (Gießen 1862); Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1 (2. Aufl., Kiel 1865); v. Sybel, Entstehung des deutschen Königtums (Frankf. 1844); Rogge, Das Gerichtswesen der G. (Halle 1820); Amira, Grundriß des germanischen Rechts (2. Aufl., Straßb. 1901); Hennings, Über die agrarische Verfassung der alten Deutschen (Kiel 1869); Meitzen, Siedelung und Agrarwesen der Westgermanen, Ostgermanen etc. (Berl. 1896, 3 Bde.); Baumstark, Tacitus' »Germania« (das. 1875); Hübner, Römische Herrschaft in Westeuropa (das. 1890); Riese, Das rheinische Germanien in der antiken Literatur (Leipz. 1892); v. Sarwey und Hettner, Der obergermanisch-rätische Limes des Römerreiches (Heidelb. 1894ff.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 648-652.
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Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

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Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

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