Jerusalem

[237] Jerusalem, 1) Johann Friedrich Wilhelm, namhafter Kanzelredner und Theolog der Aufklärungsepoche, geb. 22. Nov. 1709 in Osnabrück, gest. 2. Sept. 1789 in Braunschweig, ward 1742 Hofprediger in Braunschweig und Erzieher des Erbprinzen, 1743 Propst, 1752 Abt, 1771 Vizepräsident des Konsistoriums in Wolfenbüttel. Das Collegium Caro-ti num in Braunschweig verdankt ihm seine Blüte.

2) Karl Wilhelm, Sohn des vorigen, geb. 21. März 1747 in Wolfenbüttel, gest. 29. Okt. 1772 in Wetzlar, studierte in Leipzig und Göttingen die Rechte und wurde 1770 Assessor in Wolfenbüttel, wo er mit Lessing verkehrte, 1771 braunschweigischer Sekretär bei der Kammergerichtsvisitation in Wetzlar, wo er sich in schwermütiger Stimmung, die durch Zurücksetzungen und durch eine unglückliche Liebe immer mehr gesteigert wurde, erschoß. Goethe, der ihn in Wetzlar kennen lernte, aber zur Zeit des Selbstmordes dort nicht mehr anwesend war, erfuhr die nähern Umstände durch briefliche Mitteilungen Joh. Christ. Kestners (s. d., 1) und verwertete sie für seinen Roman »Werthers Leiden« (1774; vgl. E. Wolff, Blätter aus dem Werther-Kreis, Bresl. 1894). »Philosophische Aufsätze« aus Jerusalems Nachlaß hat Lessing (Braunschw. 1776; Neudruck von P. Beer, Berl. 1900) veröffentlicht.

3) Wilhelm, Pädagog, geb. 11. Okt. 1854 zu Drenic bei Chrudim in Böhmen, studierte in Prag Philologie und alte Geschichte, ward 1878 Gymnasiallehrer in Nikolsburg und 1885 Professor an einem Gymnasium und Dozent der Universität in Wien. Im Anschluß an Fechner und Wundt wandte er sich vorzugsweise philosophischen, namentlich psychologisch pädagogischen Studien zu. Er schrieb: »Zur Reform des Unterrichts in der philosophischen Propädeutik« (Nikolsb. 1885); »Psychologische Sprachbetrachtung« (Wien 1886); »Lehrbuch der empirischen Psychologie« (das. 1888, 3. Aufl. 1902); »Laura Bridgman; Erziehung einer Taubstumm-Blinden« (das. 1890); »Die Urteilsfunktion« (das. 1895); »Einleitung in die Philosophie« (das. 1899, 2. Aufl. 1903); »Kants Bedeutung für die Gegenwart«, Gedenkrede (das. 1904).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 237.
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