Halbbrüderschaft

[641] Halbbrüderschaft (Wahlbrüderschaft), der namentlich bei Serben, Morlaken, Albanesen etc. übliche kirchlich geweihte Freundschaftsbund zwischen zwei Leuten gleichen Geschlechts, die in keiner Verwandtschaft stehen und sich zu Brüdern oder Schwestern auserkoren haben. Bei Serben und Morlaken kommt solche Verbrüderung auch mit Tieren und Pflanzen, ja mit geisterhaften Wesen (Wilas etc.) vor, und es finden sich hier dem Totemismus der Indianer (s. Totem) nahe verwandte Anschauungen. Die H. ist für das Leben unlösbar, verpflichtet in weit höherm Grad als Blutsverwandtschaft zu gegenseitiger Hilfeleistung und Treue, z. B. zur Übernahme der Blutrache. Eine Verletzung der damit verbundenen Pflichten kommt fast nie vor und würde nach dem Volksglauben vom Himmel selbst bestraft werden. Die Abschließung der H. findet bei den Morlaken gewöhnlich an einem Feiertag, bei den Serben meist am zweiten Ostertag, mit der einfachen Formel: »Du in Gott mir Bruder, Schwester, Vater oder Mutter« statt und wird nach der kirchlichen Einsegnung mit Schmaus, gegenseitiger Beschenkung etc. festlich begangen. Wahrscheinlich ist die Sitte der H. bei den Südslawen und Albanesen nicht minder alt als der altnordische und germanische Ziehbrüderbund und die Wahlgevatterschaft auf Sardinien und in Rußland. Bei den Walachen wie auf Sizilien schließen schon die Kinder H. Im mittlern Afrika wird noch heute wie in Alteuropa H. durch gegenseitige Vermischung des Blutes in dazu gemachten Wunden am Arm oder durch gegenseitiges Bluttrinken (sogen. Blutbrüderschaften, s. auch Blutrache) geschlossen.[641]

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 641-642.
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