Heiligenschein

[73] Heiligenschein (Gloria, Nimbus), in der bildenden Kunst ein Lichtkreis oder Strahlenkranz um die Gestalt oder das Haupt göttlicher oder heiliger Personen als charakterisierendes Zeichen. Bei Ägyptern, Persern, Indern, Griechen und Römern war der H. als Attribut ihrer Götter, Heroen und Könige auf Statuen, Münzen etc. im Gebrauch (vgl. Stephani, Nimbus und Strahlenkranz, Petersb. 1859). Seit dem 4. Jahrh. aber eignete sich ihn die christliche Kunst an, indem sie ihn erst den göttlichen Personen der Dreieinigkeit, dann auch der Maria und den Engeln, Aposteln und Heiligen und endlich auch den christlichen Symbolen, später auch allegorischen Figuren, ja selbst dem Satan zuteilte. Einen nur das Haupt umgeben den H. pflegte man als Nimbus, den die ganze Gestalt umfließenden aber als Aureole (s. d.) zu bezeichnen. Doch ward dieser Unterschied nicht genau festgehalten. Der Nimbus als Attribut des göttlichen Auges oder der göttlichen Hand, wodurch Gottes Gegenwart oder Wirksamkeit bezeichnet werden sollte, hat gewöhnlich die Form eines Dreiecks, während der Christus umfließende rund ist mit eingezeichnetem Kreuz. Auf ältern Gemälden findet sich der H. häufig als ein nach außen ohne scharfen Umriß sich verlierenden Strahlenschein dargestellt. Die spätere Kunst brachte den H. gewöhnlich als durchsichtige horizontale oder schräge Scheibe oder auch nur als helle Kreislinie über dem Haupte der Heiligen an. In der Malerei wurde der H. anfangs plastisch mit Blattgold auf Kreidegrund, bei byzantinischen und russischen Kirchenbildern sogar noch bis in die neueste Zeit durch Edelmetall (meist Goldblech), das auf der Holztafel oder der Leinwand befestigt wurde, dargestellt. Vgl. Mendelssohn, Der H. in der italienischen Malerei seit Giotto (Berl. 1903). – Als Vorbild für die künstlerischen Darstellungen können gewisse optische Erscheinungen, die das menschliche Haupt mit einem Nimbus umgeben, gedient haben. Man unterscheidet: 1) Heiligenscheine als Nachbilder. Blickt man auf einen Mann, der in einiger Entfernung steht und einen grauen Himmel zum Hintergrund hat, so erscheint, nachdem man ihn lange scharf und unverwandt angesehen, sein Haupt von einem blendenden Schein umgeben. 2) Heiligenscheine durch Lichtreflex. Wenn man bei niedrigstehender Sonne vor stark betautem Rasen oder niedrigem Getreide vorbeigeht. so werfen die Tautropfen in der nächsten Umgebung des Kopfschattens von ihrer vordern und hintern Fläche so viel mehr reflektiertes Licht in das Auge als die entfernten Tropfen, daß der Kopfschatten von einem unter Umständen außerordentlich hell strahlenden H. umgeben erscheint. Jeder Beobachter sieht nur[73] seinen eignen H., nicht aber den am Schatten einer wenige Schritte entfernt stehenden Person. Oft ist eine pyramidale Verlängerung des Scheines über den Scheitel hinaus wahrnehmbar, wie sie namentlich häufig an Buddhabildern wiedergegeben wird. 3) Heiligenscheine, die durch Beugung der Lichtstrahlen entstehen, werden am häufigsten von Gebirgsbesuchern oder Luftschiffern beobachtet, wenn ihr Schatten auf nahe Nebel oder Wolken fällt. Das Schattenbild erscheint dann von einem farbigen Nimbus oder auch von mehreren Regenbogenringen umkränzt. S. Glorienschein.

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Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 73-74.
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