Helĭand

[137] HelĭandHeiland«), Titel der altsächsischen Evangelienharmonie in alliterierenden Versen, die, nach Angabe einer alten, durch Flacius Illyricus mitgeteilten, jetzt aber verlornen Vorrede, auf Veranlassung Ludwigs des Frommen von einem sächsischen Sänger verfaßt worden ist. Das Werk, das umfangreichste und bedeutendste Denkmal der altsächsischen Mundart, ist von nicht geringem dichterischen Wert und gibt in seinen unverkennbar volksmäßigen Ausdrücken, Wendungen und poetischen Formeln ein Bild der fast ganz untergegangenen epischen deutschen Volkspoesie jener frühen Zeit. Da es anderseits die Benutzung lateinischer Quellen, nämlich der Tatianischen Evangelienharmonie und verschiedener Bibelkommentare, verrät, so muß es entweder von einem Geistlichen, der mit den Traditionen der Volksepik sehr vertraut war, oder wahrscheinlicher von einem berufsmäßigen Sänger, dem der Stoff von einem Geistlichen mitgeteilt wurde, verfaßt worden sein. Von den beiden vorhandenen Handschriften des H. befindet sich die eine jetzt in München (früher in Bamberg), die andre im Britischen Museum zu London, dazu kommt ein Bruchstück in Prag. Weiterhin entdeckte 1894 Zangemeister in einer Handschrift des Vatikans altsächsische Fragmente, von denen eins Verse des H. enthält, während andre einer poetischen Bearbeitung alttestamentlicher Geschichten angehören. Da nach der von Flacius mitgeteilten Nachricht der Dichter des H. auch das Alte Testament behandelt haben sollte, so lag es nahe, diesem die neu aufgefundenen Stücke der »altsächsischen Genesis« zuzuschreiben. Doch haben sich neben augenfälligen übereinstimmungen auch so beträchtliche Abweichungen im Sprachgebrauch und Versbau der beiden Dichtungen ergeben, daß man jetzt verschiedene Verfasser für sie vermutet. Die vatikanischen Bruchstücke sind herausgegeben von Zangemeister und Braune in den »Neuen Heidelberger Jahrbüchern«, 1894. Vgl. dazu Behaghel, Der H. und die altsächsische Genesis[137] (Gießen 1902). H. und Genesis wurden zusammen herausgegeben von Piper (»Die altsächsische Bibeldichtung«, Stuttg. 1897) und Behaghel (2. Aufl., Halle 1903); der H. allein von Schmeller (Stuttg. 1830; Wörterbuch und Grammatik dazu, 1840), dann von Köne (mit wörtlicher neuhochdeutscher Übersetzung, Münster 1855), in kritischer Bearbeitung von M. Heyne (mit ausführlichem Glossar, 3. Aufl., Paderborn 1883), von H. Rückert (Leipz. 1876), von Sievers (Halle 1878). Neuhochdeutsche Übersetzungen des H. lieferten noch unter andern: Grein (Rinteln 1854; neue Bearbeitung, Kassel 1869) und Simrock (3. Aufl., Berl. 1882). Vgl. Windisch, Der H. und seine Quellen (Leipz. 1868); Grein, Die Quellen des H. (Kassel 1869); Vilmar, Deutsche Altertümer im H. (2. Ausg., Marb. 1862); Sievers, Der H. und die angelsächsische Genesis (Halle 1875); Behringer, Zur Würdigung des H. (Würzb. 1891).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 137-138.
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