[539] Meerferne, Bezeichnung der räumlichen Beziehungen eines Gebietes zu seiner Küste. Schlägt man auf der Karte eines Landraumes von möglichst vielen Punkten der Küste aus Kreisbogen mit gleicher Zirkelöffnung, so erhält man in der Umhüllenden dieser Kreisbogen eine Kurve, die alle Punkte einer bestimmten Entfernung vom Meere miteinander verbindet. Konstruiert man solche Linien gleicher Küstenentfernung oder Äquidistanten unter Berücksichtigung des wirklichen Maßstabes der Karte für die Entfernungen von 50, 100, 200, 300 km u. s. f., so zerlegt man durch sie das ganze Gebiet in Zonen von 050, 50100, 100200, 200300 km M. Berechnet man sodann diese Zonen planimetrisch, so erhält man durch eine Proportion zwischen den erhaltenen Zonengrößen und der Gesamtfläche des Gebietes den Anteil der einzelnen Gebiete gleicher M. an der Gesamtfläche, der am bequemsten in Prozenten der letztern ausgedrückt wird. Aus den so gefundenen Werten läßt sich weiter leicht ein Zahlenausdruck für die mittlere M. des gesamten Gebietes finden. Penck hat zum erstenmal derartige Berechnungen aufgestellt und folgende Resultate erhalten. Es liegen Prozente der Fläche in Kilometer Entfernung vom Meer:
Das meerfernste Gebiet der Erde liegt bei 2400 km Entfernung in der Gegend von Urumtsi in der Dsungarei. Die mittlere M. des gesamten Landes beträgt 561 km, d. h. ein ebensogroßer Teil des Landes liegt innerhalb der Zone 0561 km wie außerhalb derselben. Für Deutschland hat Michael ähnliche Berechnungen angestellt. Die meerfernste Gegend Deutschlands ist das südliche Schlesien mit einer M. von 500 km, die mittlere M. Deutschlands beträgt 250 km.
Verkehrsgeographisch wichtiger als die M. ist die Hafenferne, die man bei gleichem Verfahren erhält, wenn man als Ausgangspunkt der Berechnung nicht die gesamte Küste, sondern nur deren wichtige Verkehrshäfen nimmt. Da diese unter Umständen weit landeinwärts liegen, so ergibt sich häufig eine bedeutende Verschiebung der Werte zugunsten der Hafenferne. Michael hat für Deutschland die größte M. unter alleiniger Berücksichtigung der deutschen Meere mit 710, die größte Hafenferne mit 650 km berechnet, die mittlern Werte betragen 250 und 222 km. Zeichnet man die Linien gleicher Abstände nicht nur von der Küste eines Gebietes, sondern von dessen gesamter Grenze aus, so erhält man Linien gleicher Grenzabstände, aus denen sich der mittlere Grenzabstand des betreffen den Gebietes bestimmen läßt.
Der Wert der Begriffe M., Hafenferne und Grenzabstände darf nicht überschätzt werden, weil diese die vertikale Gliederung des Bodens, die für die Wechselbeziehung zwischen Meer und Binnenland von ausschlaggebender Bedeutung ist, vollständig unberücksichtigt lassen. Man hat daher auch die orographischen Verhältnisse mit zu berücksichtigen versucht und ist so zu der Bestimmung der orographischen M. oder Küstenerreichbarkeit gekommen. Diese hat Schütt für Mitteleuropa festgestellt. Im Gegensatz zu den oben angegebenen Ermittelungsmethoden ist er dabei von dem hafenfernsten Punkte des Gebietes, von Nürnberg, ausgegangen und hat den Raum zwischen diesem und der Küste nach dem Meere fort. schreitend in 15 Zonen zerlegt, deren Grenzlinien bestimmt sind nach der Zeitdauer, in der sie von dem hafenfernsten Punkt aus mit dem schnellsten Verkehrsmittel, gewöhnlich der Eisenbahn, erreicht werden. Als Maß für die Breite dieser Zonen wurde die Entfernung von zwei Stunden angenommen. In der Tat veranschaulicht das so erhaltene Kartenbild den Grad der Aufgeschlossenheit des Landes deutlich. Allerdings haftet dem Verfahren wiederum der Mangel an, daß es die Küstenerreichbarkeit von nur einem Punkt aus zur Darstellung bringt. Immerhin kommt die Wirkungsweise der natürlichen Hindernisse, die sich der freien Entfaltung des Verkehrs entgegenstellen, klar zum Ausdruck. Für Deutschland ergibt die Schüttsche Untersuchung die wichtige Tatsache, daß von seinen Häfen die meisten und bedeutendsten bereits in der 6. Zone (von Nürnberg aus) liegen, die in keinem Punkte das Meer erreicht. Es fallen nämlich von den 30 wichtigsten Häfen Deutschlands in diese 12 mit etwa 25 Mill. Reg.-Ton., in die 7. und 8. Zone 12 mit etwa 5 Mill. Reg.-Ton. und in die 9.12. Zone 6 mit noch nicht 3 Mill. Reg.-Ton. Gesamtverkehr. Vgl. A. Penck, Morphologie der Erdoberfläche (Stuttg. 1894); Rohrbach, Über mittlere Grenzabstände (in »Petermanns Mitteilungen«, 1890, Bd. 36); Schütt, M. und Küstenerreichbarkeit im mittlern Europa (Hamb. 1891); Michael, Meerfernen des Deutschen Reiches (15. Bericht des Vereins der Geographen an der Universität Wien, 1889).