[835] Militärveterinärwesen, die Gesamtheit der zur Erhaltung des Pferdematerials in der Armee bestehenden ärztlichen und hygienischen Einrichtungen. Schon zur Zeit der römischen Weltherrschaft gab es, zweifellos auch in den Kriegsheeren, Tierärzte (veterinarius, mulomedicus, hippiater). Nach Einführung des Hufbeschlags wurde dessen Ausübung und die Behandlung der Pferdekrankheiten in der Regel von denselben Personen besorgt; der marescalcus war zugleich Hufschmied und Roßarzt. Nur vereinzelt gab es Roßärzte, die sich wissenschaftlich mit Tierarzneikunde beschäftigten, so im 17. Jahrh. der kurbrandenburgische Roßarzt Böhme, dessen »Buch von der Roßarznei« von 16181710 im Gebrauch blieb. Nach Gründung von Tierarzneischulen (s. d.) in der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. wurden die berittenen Truppen allgemein mit geschulten Tierärzten versehen, die jedoch, ähnlich wie die Chirurgen, eine niedere Stellung einnahmen und neben der Tierheilkunst den Hufbeschlag erst ausübten, später nur beaufsichtigten, daher Kurschmiede hießen. In Preußen stellte man von 1852 ab bei jedem Regiment einen Roßarzt an, aber allgemein abgeschafft wurde die Kurschmiedestellung erst 1863. In Süddeutschland hatten dagegen die Tierärzte im Heere schon früher eine höhere Stellung erlangt, sie rückten 1870 als Offiziere ins Feld, während ihre norddeutschen Kollegen sich im Wachtmeisterrang befanden. Diese Ungleichheit führte 1872 zu einer ausgleichenden Neuordnung, die jedoch in Süddeutschland den Verlust des Offizierscharakters mit sich brachte. Es wurden angestellt bei jedem Armeekorps ein Korpsroßarzt, bei jedem Regiment ein Oberroßarzt und mehrere Roßärzte und Unterroßärzte, die erstern beiden Chargen als obere Militärbeamte, die letztern beiden im Wachtmeisterrange. Bayern behielt für seine Armeetierärzte, obwohl sie ebenfalls Beamte wurden, eine gesonderte Stellung und auch den althergebrachten Titel Veterinär bei. Die allgemeine Vorschrift des Abiturientenexamens als Bedingung für die tierärztliche Laufbahn in Deutschland im Jahre 1902 führte zu einer völligen Reform, die erst 1908 in der Bildung eines Veterinäroffizierkorps zum Abschluß gelangen wird. Vorläufig ist die Bezeichnung »Roßarzt« abgeschafft, und die Chargen heißen in der ganzen deutschen Armee, gemäß dem bayrischen Muster, Korpsstabsveterinär, Stabsveterinär, Oberveterinär (in Bayern Veterinär) und Unterveterinär. Die erstern drei sind zurzeit noch Militärbeamte, die Unterveterinäre Wachtmeister. Während in Bayern sich die Militärveterinäre aus approbierten Ziviltierärzten rekrutieren, die sich freiwillig zum Übertritt in den Truppendienst melden, erhalten in Preußen und den übrigen Bundesstaaten die Militärveterinäraspiranten von vornherein eine besondere Ausbildung. Für Preußen und die übrigen Kontingente, exklusive Bayern und Sachsen, wird diese Ausbildung auf der Militärveterinärakademie (früher Militärroßarztschule) in Berlin erteilt. Die Anmeldung zum Eintritt erfolgt bei der (1873 eingerichteten) Inspektion für das M., der das Veterinärkorps und dessen Dienst unmittelbar untersteht (Inspekteur ein Stabsoffizier der Kavallerie). Die Aspiranten müssen im Falle der Annahme zunächst bei einem berittenen Truppenteil (einjährig-freiwillig) eintreten, werden nach einem halben Jahre zu einem halbjährigen Kursus zur Mil Militärlehrschmiede in Berlin und danach zu der Akademie kommandiert. Hier genießen sie erhebliche Vorteile (freie Wohnung, Unterhalt, Lehrmittel), sind Personen des Soldatenstandes, tragen aber Zivil und absolvieren das Studium an der tierärztlichen Hochschule. An der Militärakademie selbst wird außer Repetitionen kein Unterricht erteilt, sie ist nur ein Alumnat, in dem Stabsveterinäre die Aussicht führen (Inspizienten), und das der Disziplinargewalt des Inspekteurs untersteht. Nach Ablegung der Approbationsprüfung (nach 78 Semestern) treten die bisherigen Studierenden der Militärakademie als Unterveterinäre bei der Truppe ein und sind verpflichtet, so viel Jahre im Heeresdienst zu bleiben, als sie Semester auf der Akademie zugebracht haben.
Der gesamte Veterinärdienst ist geregelt durch die Militärveterinärordnung von 1886 und 3. Juni 1897. Neben der ärztlichen Tätigkeit liegt den Veterinären die Aussicht über den für die Armee sehr wichtigen Hufbeschlag ob (s. auch Hufbeschlaglehranstalten). In Österreich-Ungarn ist das M. 1905 völlig umgestaltet worden. Bis dahin bestand das sogen. Kurschmiedesystem. Die Militärkurschmiede, anderen Schulkenntnisse[835] keine besondern Anforderungen gestellt wurden, erhielten auf dem Militärtierarzneiinstitut in Wien und ebenso in Budapest einen abgekürzten tierärztlichen Unterricht, um später bei den Regimentern neben dem Hufbeschlag auch die Behandlung kranker Pferde zu besorgen. Befähigte Teilnehmer des Kurschmiedekursus wurden zu weiterer Ausbildung zugelassen und zu Militärtierärzten ernannt. Diese Nebeneinanderstellung von Studium und Handwerk wurde unhaltbar, seitdem für die Approbation zum Ziviltierarzt die Universitätsreife Vorbedingung geworden ist und die tierärztlichen Bildungsanstalten Österreich-Ungarns Hochschulen geworden sind. 1905 wurde daher die Zulassung von Kurschmieden zur Anstellung als Militärtierärzte aufgehoben und die Nebenbezeichnung der tierärztlichen Hochschule in Wien als »Militärtierarznei« Institut in Wegfall gebracht. Die Militärtierärzte müssen, wie die Ziviltierärzte, ausnahmslos Universitätsreise besitzen. Die Aspiranten werden an den tierärztlichen Hochschulen in Wien und Budapest ausgebildet, führen die Bezeichnung Militärveterinär-Akademiker und sind in besondern Instituten (ähnlich der Berliner Akademie, s. oben) auf Staatskosten untergebracht und verpflegt, auch von Kollegiengeldern befreit. Die Armee wird 243 Tierärzte zählen, die Beamte sind, und bis in die 7. Rangstufe gelangen (mit 6000 Kronen Gehalt), jedes Regiment erhält einen Cheftierarzt und 12 jüngere Tierärzte. An Stelle der bisherigen Kurschmiede treten Eskadron- und Batterie schmiede, welche die Tierärzte nach Art der Lazarettgehilfen bei der Behandlung kranker Pferde zu unterstützen haben (sechs bei jedem Regiment) und bis zum Wachtmeister vorrücken können. Diese Schmiede erhalten auch ferner auf den tierärztlichen Hochschulen, gesondert von den Studierenden, einen beschränkten zweijährigen tierärztlichen Unterricht, zum Unterschied von den außerdem vorhandenen gewöhnlichen Militärhufschmieden, die nur einen halbjährigen Hufbeschlagkursus durchmachen. Sehr gut organisiert ist das französische M. Hier besteht ein Veterinäroffizierkorps, dessen Angehörige bis zum Oberst avancieren. Auch Rußland hat Veterinäroffiziere, die es bis zum General bringen.