Naturheilung

[457] Naturheilung, die Heilung von Krankheiten durch die im Organismus sich abspielenden Lebensvorgänge ohne Eingreifen künstlicher Heilungsbestrebungen. Eine solche spontane Heilung kommt dadurch zustande, daß krankhafte Störungen vermöge zahlreicher Schutz- und Ausgleichsvorrichtungen des Körpers sogar unter ungünstigen äußern Bedingungen sich teilweise wieder ausgleichen, teilweise durch einen neuen erträglichen Zustand relativer Heilung beendigt werden können. Eine Wunde heilt beispielsweise »von selbst« durch direkte Verklebung der Ränder und nachfolgende Bildung von Granulationen; eine Lungenentzündung heilt dadurch »von selbst«, daß das in den Lungenbläschen ausgeschiedene Exsudat sich wieder verflüssigt, dann durch die Blut- und Lymphgefäße wieder aufgesogen, teilweise auch ausgehustet wird etc. Hier wie in andern Fällen werden Entzündungsprodukte, abgestorbene Gewebsteile und ähnliche durch eine Art Verdauung mittels stets vorhandener, im Blut und den Geweben zirkulierender Fermente verflüssigt (Autolyse). Das wichtigste Hilfsmittel des Organismus zur Herbeiführung einer N. ist die Bildung von Schutzstoffen gegenüber eindringenden fremden, giftigen, meist von Bakterien gebildeten Stoffen, den Antitoxinen und ähnlichen Körpern (vgl. Immunität). In manchen Fällen wird eine N. ermöglicht durch hohes Fieber, dann nämlich, wenn krankheitserregende Bakterien bei hohen Fiebertemperaturen ungünstige Lebensbedingungen finden, wie z. B. die Milzbrandbazillen. Eine relative, oft nicht dauernde N. kommt zustande durch Abkapselung tuberkulöser Lungenherde durch narbige Bindegewebe; durch bindegewebige Kapseln werden eingedrungene Trichinen dauernd unschädlich gemacht. Bei vielen Krankheiten besteht die Therapie einzig und allein in einer Unterstützung dieses Naturheilungsprozesses. So ist der am Krankenbette sorgfältig beobachtende Arzt jederzeit zum Eingreifen bereit, um ein übermächtig werdendes Symptom (z. B. Fieber) zu mildern, die nach lassende Herzkraft im geeigneten Moment zu kräftigen und so dem Kranken zum Überstehen der Krankheit zu verhelfen, in andern Fällen muß der Kranke unter die günstigsten Bedingungen zur Entfaltung der von der Natur verliehenen Hilfsmittel gebracht werden. Einen prinzipiellen Gegensatz zwischen N. und Heilung durch ärztliche Kunst gibt es nicht; letztere schlägt, wo irgend möglich, die von der Natur gewiesenen Wege ein und erzielt durch Ausbau und Erweiterung derselben, wie bei der Serumtherapie, die größten Erfolge. Eigne Wege muß sie suchen in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle, wo natürliche Hilfsmittel des Organismus nicht vorhanden sind oder nur zu teilweiser Heilung führen würden. Eine besondere »Naturheilkraft« (Selbsterhaltungstrieb) gibt es ebensowenig wie die sogen. Lebenskraft (s. d.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 457.
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