Ferménte

[431] Ferménte (lat. Fermenta, »Gärungserreger«), organische Substanzen, die imstande sind, die Zersetzung verhältnismäßig großer Mengen andrer organischer Substanzen zu veranlassen, ohne an deren Zersetzung selbst teilzunehmen. Die Art und Weise, wie diese Zersetzungen zustande kommen, ist nicht bekannt. Alle F. werden von lebenden Zellen erzeugt und haften mehr oder minder fest an diesen Zellen; ihre Wirkung ist aber nicht an den Lebensprozeß als solchen gebunden. Man hat beobachtet, daß lebende einzellige Pflanzen, Spaltpilze (Schizomyceten, Bakterien), Hefepilze etc. Fermentwirkungen ausüben (z. B. Gärung, Fäulnis, Verwesung hervorrufen) und spricht daher von organisierten Fermenten; aus diesen Organismen kann man aber z. T. das Ferment abscheiden, andre F. werden von Drüsen der Tiere abgesondert, und diese von den Organismen getrennten F. nennt man nichtorganisierte F. oder Enzyme (s.d.). Die sezernierenden Zellen enthalten unwirksame Substanzen[431] (Profermente, Zymogene), die erst bei Berührung mit zymoplastischen Substanzen, namentlich verdünnten Säuren, vielleicht durch eine Spaltung, F. bilden. Minimale Mengen der genannten mikroskopischen Organismen sind imstande, Fermentwirkungen in einer Flüssigkeit hervorzurufen, wenn sie darin die Bedingungen ihrer Entwickelung und Vermehrung finden. Kocht man die Flüssigkeit anhaltend, so werden darin enthaltene als F. wirkende Organismen getötet, die Flüssigkeit wird sterilisiert, und sie hält sich fortan unverändert, wenn durch geeignete Mittel der Zutritt von Mikroorganismen aus der Luft verhindert wird. Gestattet man der Luft Zutritt, oder führt man direkt eine kleine Menge jener Organismen zu, dann beginnt sofort die Zersetzung, die aber auch an bestimmte Temperaturen gebunden ist und durch Zusatz gewisser (antiseptischer) Stoffe aufgehalten werden kann. Den einzelnen Fermenten kommt eine eigentümliche Wirkung zu, gewisse Hefepilze rufen alkoholische Gärung hervor, manche Bakterien erzeugen Milch-, andre Buttersäuregärung und wieder andre Fäulnis oder Verwesung etc. (vgl. Enzyme). Im Kreislauf der Stoffe und der Energie spielen die F. eine sehr große Rolle. Überall, wo sich Leben regt, finden sich auch F. Mit ihrer Hilfe bereiten die Organismen die ihnen dargebotenen Eiweißkörper, Kohlehydrate und Fette so vor, daß sie zu assimilierbaren Stoffen werden. Bei den Spaltungsprozessen sind F. sehr wirksam beteiligt; aber auch synthetische Prozesse, bei denen aus einfachen Verbindungen kompliziertere hervorgehen, verlaufen wohl zum großen Teil unter Einwirkung von Fermenten. Wie beim Aufbau sind die F. auch bei der Zerstörung beteiligt; organische Substanzen abgestorbener Organismen werden durch Fäulnis und Verwesung unter dem Einfluß von Fermenten zerstört (vgl. Bakterien). Manche Reaktionen, die durch F. hervorgerufen werden, können in gleicher Weise durch die Kontaktwirkung feinverteilter Metalle, Oxyde etc. zustande kommen. So wird die Oxydation des Alkohols durch Luftsauerstoff ebensowohl durch die Gegenwart von Platinmohr wie durch das Essigferment bewirkt. Besonders zeigt sich diese Ähnlichkeit bei kolloidalen Lösungen der Metalle (Sole), die sich völlig wie Emzymlösungen verhalten, deren Wirkung namentlich auch durch ganz geringe Mengen eines Giftes beeinträchtigt (gelähmt) wird. In diesem Sinne spricht man von anorganischen Fermenten und betrachtet die kolloidalen Lösungen der Metalle als »anorganische Modelle der organischen Enzyme«. Vgl. Mayer, Lehre von den chemischen Fermenten (Heidelb. 1882); Detmer, Pflanzenphysiologische Untersuchungen über Fermentbildung (Jena 1884); Baranetzki, Die stärkeumbildenden F. in den Pflanzen (Leipz. 1878); Fleck, Die F. in ihrer Bedeutung für die Gesundheitspflege (Dresd. 1876); Oppenheimer, Die F. und ihre Wirkungen (Leipz. 1900); Bredig, Anorganische F. (das. 1901).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 431-432.
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