Polareis

[72] Polareis, die Eismassen, die Meer und Land in den Polargegenden bedecken. Nach ihrer Entstehung hat man Süßwassereis (Landeis, Inlandeis) und Salzwassereis (Meereis) zu unterscheiden. Das Inlandeis besitzt in den polaren Festländern, zumal in Grönland und Franz Joseph Land, aber auch im antarktischen Festland, eine große Ausdehnung. Die Eisdecke im Innern Grönlands hat die Gestalt eines Schildes, hebt sich von den Rändern gleichmäßig zu der Höhe von über 2700 m und ist in der Mitte flach und eben. Die mit seinem, staubartigem Schnee bedeckten Flächen sind wie poliert; bis zur Tiefe von 2 m wechseln Schichten von losem Schnee mit ganz dünnen Eiskrusten, dem Produkte der sommerlichen Schneeschmelze, ab. Hier und da ragen einzelne Berggipfel, die Nunatakkers, aus dem Schneefeld empor, und zuweilen treten auch Spalten in dem firnartigen Schnee auf, die auf eine Bewegung im Untergrunde hindeuten, durch welche die Schnee- und Eismassen in der Tiefe abwärts zur Küste getrieben werden. Durch den Druck wird gleichzeitig der Schmelzpunkt des Eises erniedrigt. Druck und innere Reibung erzeugen in der. in beständiger Bewegung befindlichen Masse hinreichend Wärme, um das Eis im Innern zu schmelzen. Davon zeugen die zahlreichen Gletscherbäche, die selbst im Winter reichlich fließen. Trotz des fortwährenden Vordringens des Eises vom Binnenland aus gegen die Küste bleibt der äußere Rand des Eises im allgemeinen doch stationär, weil die Schmelzung am Rande dem Nachschub aus dem Binnenlande das Gleichgewicht hält. Dafür konzentriert sich auf gewisse Punkte, die sogen. Eisfjorde, der Andrang aus dem Innern um so mächtiger. Die Dicke der in diese mündenden Gletscher beträgt etwa 250–300 m, und die Geschwindigkeit, berechnet nach der in 24 Stunden durchlaufenen Strecke, wechselt von 7–19 m. Diese kolossalen Gletscher setzen sich noch unter der Meeresoberfläche fort bis zu einer Tiefe, in der sie vom Wasser gehoben und getragen werden; ihre En den brechen dann zuletzt ab (Kalben der Gletscher) und werden zu Eisbergen (s. Eis, S. 474). Im südlichen Atlantischen Ozean entstehen auf gleiche Weise Eisinseln, die eine Länge von 15 engl. Meilen und eine Höhe von 100 m erreichen. Das Eis die ser schwimmenden Inlandeismassen ist sehr hart und spröde und wird von den Polarfahrern sorgfältig gemieden. Es gelangt häufig in sehr niedere Breiten. Das Salzwassereis bedeckt, wie man durch die letzten Polarexpeditionen weiß, die Polarmeere in großer Ausdehnung; offene arktische Meere existieren trotz der in einzelnen Gebieten vorhandenen warmen Unterströme nicht; nur hier und da sind, soz. B. im Nordpolarmeer jenseit des sibirischen Küsteneises, auch im Winter einzelne eisfreie Stellen (Polinjen) beobachtet worden; sie sind aber ebensowenig wie die im Sommer erscheinenden längern Kanäle von irgend welchem praktischen Werte für die Schiffahrt. Das Meereis ist infolge seines Salzgehalts weniger hart und widerstandsfähig als Süßwassereis. Die zwischen den Eiskristallen eingeschlossene Salzlauge gelangt oft zur Kristallisation, und das Salz bedeckt dann das Eisfeld wie eine Schneedecke. In dickes Eis dringt die Kälte sehr langsam ein, und nirgends bildet sich im Lauf eines einzigen Winters eine Eisdecke von mehr als 2,5 m. Diese erreicht, auch wenn im Sommer nichts abschmilzt, keine größere Dicke als 6–7 m. Die allgemein vorkommenden viel mächtigern Eisanhäufungen entstehen durch Eispressungen, indem sich zerbrochene Schollen über- und untereinander schieben und unregelmäßige Massen bilden, die zusammengetrieben einen undurchdringlichen Gürtel des schweren Packeises bilden, das der polaren Schiffahrt ein unübersteigliches Hindernis entgegensetzt. An seiner Grenze brandet das Meer und ist unablässig tätig, die äußern Ränder zu zerstückeln, so daß eine Zone von Treibeis gebildet wird, die je nach der Windrichtung an Breite wechselt und dem Vordringen der Schiffe sehr hinderlich wird. Vgl. Weyprecht, Die Metamorphosen des Polareises (Wien 1881); Nansen, In Nacht und Eis (Leipz. 1897).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 72.
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