Polizeiaufsicht

[103] Polizeiaufsicht, eine Nebenstrafe, die neben einer Freiheitsstrafe erkannt wird und in einer Beschränkung im Gebrauch der persönlichen Freiheit nach Verbüßung jener Strafe besteht. Die P., die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. in den meisten deutschen Staaten in Anwendung war, in ihrer heutigen Gestalt aber aus dem französischen in das deutsche, österreichische, belgische und englische Recht übergegangen ist, kann nach dem deutschen Strafgesetzbuch (§ 38, 39, 361) nur in den gesetzlich bestimmten Fällen ausgesprochen werden, namentlich gegen die Rädelsführer bei einem Landfriedensbruch oder bei einer öffentlichen Zusammenrottung zum Zweck des Widerstandes gegen die Staatsgewalt sowie bei der Meuterei von Gefangenen, die mit Gewalttätigkeiten gegen das Aufsichts- und Beamtenpersonal verbunden ist. Ferner kann auf P. neben der wegen Diebstahls, Raubes oder Erpressung erkannten Zuchthausstrafe sowie gegen die wegen Hehlerei, Kuppelei, Münzverbrechen, unberechtigten Jagens und wegen eines gemeingefährlichen Verbrechens, wie Brandstiftung etc., Verurteilten erkannt werden. In allen diesen Fällen kann das Gericht aber nur auf die Zulässigkeit von P. (renvoi sous la surveillance de la police) erkennen; die P. selbst wird gegen den Verurteilten durch die Landespolizeibehörde verfügt und zwar nach Anhörung der Gefängnisverwaltung. Die höchste Zeitdauer der P. ist fünf Jahre (in Österreich drei). Dem unter P. Gestellten kann der Aufenthalt an einzelnen bestimmten Orten untersagt, er kann, wenn er Ausländer ist, aus dem Deutschen Reich verwiesen, und es können bei ihm jederzeit Haussuchungen vorgenommen werden. Ein Zuwiderhandeln gegen die infolge der P. auferlegten Beschränkungen wird mit Hast bis zu sechs Wochen bestraft. Nach übereinstimmendem Urteil hat die P. in ihrer heutigen schablonenhaften Anwendung mehr Nachteile für den gebesserten Sträfling, dem sie den ehrlichen Erwerb erschwert, als Vorteile für die Gesellschaft, die sie vor Unverbesserlichen nicht schützt. Ihre gründliche Umgestaltung ist daher vielfach empfohlen worden. Insbesondere die organische Verbindung mit der Gefangenenfürsorge und ihre Ausübung durch die Sträflingsfürsorgevereine, was in England der Fall ist, verspricht Erfolg. Für Österreich ist maßgebend das Gesetz vom 10. Mai 1873. Vgl. Fuhr, Die P. nach dem Reichsstrafgesetzbuch (Gießen 1888) und Strafrechtspflege und Sozialpolitik (Berl. 1892); Zucker, Die P. nach österreichischem Recht (Prag 1894); A. Fuchs, Die Gefangenenschutztätigkeit und die Verbrecherprophylaxe (Berl. 1898)

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 103.
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