[66] Freiheit, im gewöhnlichen Sprachgebrauch der Ausdruck für den Zustand der Unabhängigkeit, d. h. der Abwesenheit eines äußern Zwanges; so spricht man vom freien Schwung eines Pendels, vom freien Verkehr etc. Die politische F. besteht darin, daß die Staatsgesellschaft nicht von der Willkür einzelner, sondern von dem zum Gesetz erhobenen Gesamtwillen aller abhängt. Sie besteht also nicht in der Abwesenheit aller Schranken, sondern nur der von der Willkür und Selbstsucht andrer gezogenen, und nicht in der Erlaubnis, alles zu tun, was man will, sondern in der willigen Unterwerfung des eignen Willens unter den Gesamtwillen des Staates. Vieldeutig und darum hauptsächlich viel umstritten ist der Begriff der F. des Willens. Zu unterscheiden ist bei ihm vor allem, ob er im psychologischen oder[66] im metaphysischen Sinne verstanden werden soll. Die F. im erstern Sinne besteht darin, daß der Mensch nicht wie die leblosen Naturkörper nur durch den Zwang äußerer Kräfte, sondern von innen heraus durch bewußte Motive zum Handeln veranlaßt wird und also insofern »sich selbst« zum Handeln bestimmt, mit andern Worten, daß die menschlichen Handlungen gewollte, willkürliche sind. Sie ist unzweifelhaft vorhanden, sobald und solange überhaupt Bewußtsein besteht; nur die rein vegetativen Lebenstätigkeiten und die Reflexaktionen (s.d.) erfolgen ungewollt, unwillkürlich und sind als unfrei in dem in Rede stehenden Sinne zu bezeichnen. Unter F. im metaphysischen Sinn ist dagegen die Unabhängigkeit unsrer Handlungen von jeder bestimmenden Ursache überhaupt (innerer wie äußerer) zu verstehen, somit die Fähigkeit, in demselben Augenblick das Gleiche nach Belieben zu wollen oder auch nicht zu wollen. Ihre Existenz wird behauptet vom Indeterminismus (s.d.), während der Determinismus (s.d.) sie folgerichtig leugnen muß. Auf Grund der Selbstbeobachtung kann weder für noch gegen die metaphysische F. entschieden werden; insbes. beweist das Bewußtsein, das all unser Tun begleitet, daß wir in jedem einzelnen Fall auch anders hätten handeln können, wenn wir gewollt hätten, durchaus nichts in bezug auf sie, denn es kommt eben nicht darauf an, ob wir anders hätten handeln können, wenn wir gewollt hätten, sondern ob wir anders hätten wollen können; in jenem Bewußtsein bekundet sich mit andern Worten nur die psychologische F. (Abhängigkeit unsrer Handlungen bloß von unserm Willen), nicht aber die metaphysische, wie oft fälschlich angenommen wird. Die Menschen wähnen, sagt deshalb treffend Spinoza, daß sie (metaphysisch) frei sind, weil sie sich ihrer Willensakte und Begierden bewußt sind, an die Ursachen aber, durch die sie zum Begehren u. Wollen angetrieben werden, nicht denken, weil sie dieselben nicht kennen; und Hobbes bemerkt: »Es ist sicher, daß ich handeln kann, wie ich will, aber zu sagen, ich kann wollen, wie ich will, ist ein sinnloser Ausdruck«. In der Tat lehrt auch die Erfahrung, daß ein bestimmtes Individuum, in eine bestimmte Lage gebracht, auch in bestimmter Weise handelt, so daß man bei Kenntnis seines Wesens sein Verhalten sehr häufig voraussagen kann. Wäre das Wollen des Einzelnen rein zufällig und gesetzlos, so könnte von einem Charakter (s.d.) desselben keine Rede sein, das Individuum wäre unberechenbar, keiner könnte sich auf den andern in irgendeiner Weise verlassen u. s. f. Mit Unrecht wird gegen den Determinismus eingewandt, daß er die Möglichkeit, jemand wegen seiner Handlungen zu loben und zu tadeln und überhaupt ihn für dieselben verantwortlich zu machen, aufhebe; vielmehr würde gerade umgekehrt auf dem entgegengesetzten Standpunkte Lob und Tadel wegfallen müssen, da es ja rein zufällig wäre, ob sich jemand für das Gute oder das Böse entscheidet. Alle Bestrebungen, insbes. die auf sittliche Erziehung der Individuen gerichteten, alles Warnen und Ermahnen hat nur einen Sinn unter der Voraussetzung, daß die Vorstellungen und Grundsätze, die man dem andern mitteilt, auf dessen Wollen einen bestimmenden Einfluß ausüben werden. Was für das sittliche Leben in Betracht kommt, ist nicht die metaphysische, sondern die sittliche oder geistige F., die darin besteht, daß die vernünftige Überlegung und die durch Erziehung geschaffenen edlen Neigungen eine größere Gewalt über das Wollen ausüben als die blinden Leidenschaften und die sinnlichen Begierden; unfrei in diesem Sinn ist der, welcher (wie das Tier) nur von Leidenschaften und Begierden getrieben wird. Diese sittliche F. ist freilich ein Ideal, das kein Mensch völlig erreichen kann, dem sich zu nähern aber eine Hauptaufgabe der Selbsterziehung ist. Bei der sittlichen und juristischen Beurteilung menschlicher Handlungen wird jedoch überall vorausgesetzt, daß sie in gewissem Umfange wenigstens vorhanden ist (Zurechnungsfähigkeit, s.d.), und nur bei erwiesener Beeinträchtigung derselben durch krankhafte Störungen des Seelenlebens oder momentane übermächtige Affekte wird eine teilweise oder völlige Unzurechnungsfähigkeit und damit Unverantwortlichkeit angenommen. Über die religiöse F. s. Religionsfreiheit. Vgl. Schopenhauer, Die beiden Grundprobleme der Ethik (4. Aufl., Leipz. 1891); Goering, Über die menschliche F. und Zurechnungsfähigkeit (das. 1876); Michaelis, Die Willensfreiheit (Berl. 1896); Förster, Willensfreiheit und sittliche Verantwortlichkeit (das. 1898); E. A. Schröder, Das Recht der F. (Leipz. 1901).