Richtungskörperchen

[912] Richtungskörperchen (Polkörper, Polzellen). Bei der Reifung der weiblichen Zelle bildet sich der Kern des unbefruchteten tierischen Eies zu einer Kernspindel um, die aus achromatischen Fasern, einer mittlern chromatischen Kernplatte und zwei mit Strahlungen versehenen Spindelpolen besteht (s. Zelle). Diese Spindel rückt an die Peripherie des Eies, und nunmehr erfolgt eine zweimalige Zellteilung (s. Befruchtung, S. 556), die zur Bildung einer großen Zelle, der nunmehr gereiften Eizelle, und zweier, bez. dreier kleiner Zellen, eben der Richtungskörper, führt. Deren Dreizahl kommt dadurch zustande, daß sich der erste Richtungskörper nochmals teilen kann. Man bezeichnet diesen der Befruchtung vorausgehenden Vorgang gewöhnlich als die Ausstoßung der R., weil bei vielen Eiern durch ihre Lage die Richtung der ersten Furche bestimmt wird. Über ihre Bedeutung wurden sehr weitgehende Vermutungen und Theorien aufgestellt. Ältere Beobachter meinten, die Eizelle sei ursprünglich hermaphroditisch und stoße vor der Befruchtung ihren männlichen Anteil hinaus oder das Ei verjünge und reinige sich durch diese Abstoßung materieller Teile gewissermaßen, um als wirkliche Ur- oder Anfangszeile die Neuentwickelung von unten auf beginnen zu können. Da die Abgabe von R. auch bei Eiern, die sich ohne Befruchtung entwickeln (s. Parthenogenesis), stattfindet, bei ihnen jedoch nur ein R. gebildet wird, während bei den besfuchtungsbedürftigen Eiern zwei R. ausgestoßen werden, so schloß Weismann, daß sie in wichtiger Beziehung zur Vererbung stehe und die Variabilität der Organismen bedinge, insofern durch sie bald diese und bald andre Träger bestimmter Eigenschaften aus dem unendlich gemischten elterlichen Plasma entfernt werden könnten. Die Hypothese ist indessen auf Widerstand gestoßen, zumal unter Umständen auch bei parthenogenetischen Eiern zwei Richtungskörper gebildet werden können. Jetzt sieht man die Bildung der R. als eine Einrichtung an, die für die bei der Eireifung stattfindende Reduktion der chromatischen Substanz des Kernes und damit wohl auch für die Vererbung von Bedeutung ist. Jedenfalls wird bei der Bildung der R. chromatische Kernsubstanz aus dem Ei entfernt, die später bei der Befruchtung durch diejenige des Spermatozoons wieder ersetzt wird. Vgl. Weismann, Über die Zahl der R. und ihre Bedeutung für die Vererbung (Jena 1887); Weismann und Ischikawa, Über die Bildung der Richtungskörper bei tierischen Eiern (Freib. 1887); Petrunkewitsch, Die Richtungskörper und ihr Schicksal im befruchteten und unbefruchteten Bienenei (»Zoologische Jahrbücher«, 1901); Brauer, Reifung parthenogenetischer Eier von Artemia (im »Archiv für mikroskopische Anatomie«, 1893).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 912.
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