Schlafstelle

[822] Schlafstelle, eine Ruhestätte in der Wohnung eines andern für Personen (Schlafburschen, Schlafmädchen, Schlafleute, Schlafgänger), die keine eigne Wohnung besitzen. Das Schlafstellenwesen ist besonders in großen Städten sehr stark ausgebildet. In Berlin hatten 1880: 32,289 Haushaltungen (15,3 Proz. aller Haushaltungen) 59,087 Schlafleute, und 1900 beherbergten 72,445 Haushaltungen in Berlin und Vororten 84,235 Schlafburschen und 29,923 Schlafmädchen und Frauen. Schlafstellen liegen gewöhnlich in Räumen, in denen einander fremde Personen gleichzeitig Unterkunft finden. Ost nächtigen dieselben Personen längere Zeit hindurch an derselben Stelle, in der Familienwohnung kleiner Leute, während Personen, die nirgend Wohnung oder Unterkunft haben, Logierhäuser niedrigsten Ranges oder die Asyle für Obdachlose (s. d.) aufsuchen. Alle diese Einrichtungen, mit Ausnahme der letztern, sind oft bedenklichsten Charakters. Die Common lodging houses in London zeigen nichts als Schmutz und Elend, Roheit und Verkommenheit; sie sind förmliche Brutstätten des Verbrechens. Aber auch das Schlafen in den Familien leidet an großen Übelständen, die Zimmer sind überfüllt, die Familienmitglieder, Schlafburschen und Schlafmädchen nächtigen in Einem Zimmer. Dabei wird die Sittlichkeit, die Gesundheit bedroht, und unter dem Gesichtspunkt der Übertragung von Infektionskrankheiten ist die ganze Einwohnerschaft bedroht. Nach den preußischen Bestimmungen dürfen jetzt in dieselbe Schläferherberge Personen verschiedenen Geschlechts nicht aufgenommen werden. Die Trennung setzt aber auch besondere Hausflure. Treppen, Abtritte voraus. Auf jeden Schlafgast sollen mindestens 3–5 qm Bodenfläche und 10 cbm Luftraum entfallen. Jeder Schlafgast soll eine gesonderte Lagerstätte erhalten, die mindestens aus Strohsack, Strohkopfkissen, im ungeheizten Raum auch noch aus einer Wolldecke bestehen soll. Bettstellen dürfen nicht übereinander gestellt werden. Waschgerät, Wasch- und Trinkwasser muß vorhanden sein. Vor- und nachmittags sind die Räume zu lüften, Fußböden, Decken, Wände, Abtritte sind nach Vorschrift zu reinigen etc. Von dem Auftreten ansteckender Krankheiten ist der Sanitätspolizeibehörde sofort Anzeige zu erstatten. Die Zahl der Schlafgänger ist bei der Polizei anzumelden. Vgl. Cahn, Das Schlafstellenwesen in den deutschen Großstädten (Stuttg. 1898); Jäger, Die Wohnungsfrage, Bd. 1 (Berl. 1902); »Schriften der Zentralstelle für Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen«, Nr. 26 (das. 1904).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 822.
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