Selbstverwaltung

[319] Selbstverwaltung (Selbstregierung, engl. Selfgovernment, spr. ßélfgowwernment), Bezeichnung für die Verwaltung, soweit sie den Staatsbürgern selbst übertragen und nicht von den unmittelbaren Organen der Regierung ausgeübt wird. Das System der S. hat namentlich in England und den Vereinigten Staaten seine Ausbildung erhalten, und zwar hat es dort einen aristokratischen, hier einen demokratischen Charakter. In diesem Sinne bezeichnen die Engländer neben der Jury und der Einrichtung der Friedensrichter auch ihr Parlament und ebenso die Nordamerikaner den Kongreß als Ausflüsse der S. Der Schwerpunkt der S. liegt jedoch in der innern Verwaltung, und der deutsche Begriff der S. beschränkt sich hierauf. Nach dem System der S. ist die Verwaltung teilweise den Gemeinden und deren organischen Verbindungen (in England Kirchspiele, Armenverbände, Grafschaften) übertragen. So wird in Preußen nach der Kreisverfassung (s. d.) und nach der Provinzialverfassung (s. d.) die Verwaltung unter staatlicher Autorität durch die Gemeinden und durch die höhern Gemeindeverbände (Amtsbezirke, Kreise, Provinzen) und deren Organe und Behörden ausgeübt. Ähnliche Einrichtungen bestehen auch in andern deutschen Staaten. Aus freier Wahl hervorgegangene Kollegien treten an die Stelle der Staatsbehörden oder doch neben dieselben, Ehrenämter bestehen neben besoldeten Berufsämtern, die Kosten der Verwaltung werden durch Gemeindeabgaben aufgebracht; die freie Entwickelung des Bürgertums aus sich selbst heraus im Gegensatz zur obrigkeitlichen Bevormundung und zur Regierung »von oben herab« wird angestrebt. Falsch aber wäre es, diese S. als eine Trennung vom Staat aufzufassen. Die S. erfolgt vielmehr stets unter staatlicher Autorität. Vgl. H. Blodig, Die S. als Rechtsbegriff (Wien 1894); Hatschek, Die S. in politischer und juristischer Bedeutung (Leipz. 1898); Lamp, Das Problem der städtischen S. nach österreichischem und preußischem Recht (Leipz. 1905). – S. von Landgütern, s. Landwirtschaftliche Unternehmungsformen.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 319.
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