Telegraphentarif

[390] Telegraphentarif (hierzu Textbeilage »Telegrammgebühren im Deutschen Reich«), Gesamtheit der durch Gesetz, Verwaltungsverfügung oder Vertrag geschaffenen Grundlagen zur Berechnung der Gebühren für die Beförderung eines Telegramms. Die gemäßigte volkswirtschaftliche Richtung verlangt jetzt, daß die Einnahmen aus dem Telegrammverkehr mindestens die sachlichen und persönlichen Selbstkosten einschließlich Verzinsung und Tilgung des Anlagekapitals decken und noch einen mäßigen Reinertrag liefern. Tatsächlich ist dies, abgesehen von Privattelegraphengesellschaften und einzelnen kleinen Staaten, nicht der Fall; die großen Staatstelegraphenbetriebe erfordern erhebliche Zuschüsse: die deutsche Reichstelegraphenverwaltung gegen 25 Pf. auf den Kopf der Bevölkerung oder zwischen 2 und 3 Pf. für jedes telegraphierte Wort. Dieser Fehlbetrag läßt sich durch Erhöhung der Worttaxe nicht ausgleichen. Das rein privatwirtschaftliche Gebührenprinzip der Gesellschaften, d. h. die Erzielung eines möglichst hohen Reinertrags und das (rein fiskalische) Regalitätsprinzip, d. h. die Ausbeutung des Staatsmonopols über den privatwirtschaftlichen Ertrag hinaus sind bei der Bedeutung der Telegraphie für die Volkswohlfahrt, wenn zunächst scheinbar auch nur für die bessergestellten Klassen, unannehmbar. In Preußen, bez. im Reichstelegraphengebiet galt von 1849–76 als Taxeinheit ein Telegramm von 20 Wörtern, wofür nach der durch laufenen Leitungslänge, später nach der Entfernungszone mit der Zeit immer geringere Gebührensätze festgesetzt wurden. 1849 kosteten 20 Wörter von Berlin nach Aachen 16 Mk. 10 Pf., 1867–761 Mk. 50 Pf., vom 1. März 1876 ab wurde der Worttarif zu 5 Pf. mit einer Grundgebühr von 20 Pf., 1886 der Worttarif zu 6 Pf. und 1891 der noch herrschende Worttarif zu 5 Pf. eingeführt. Im internationalen Telegraphenverein wurde von 1865–79 für jedes Telegramm bis 20 Worte eine Mindestgebühr erhoben; die Telegraphenkonferenz von 1875 führte den Worttarif für außereuropäische Telegramme und die Konferenz von 1879 allgemein für Europa den Worttarif (15 Buchstaben oder 5 Ziffern gleich ein Wort) mit der Zuschlaggebühr für 5 Wörter (Grundgebühr) ein; seit 1885 besteht der reine Worttarif ohne Grundgebühr, jedoch ist die Höhe der Wortgebühr zwischen den einzelnen Ländern sehr vielgestaltig, obgleich sie sich stets aus den Endgebühren des Ursprungs- und des Bestimmungslandes und der Durchgangsgebühr der Zwischenländer zusammensetzt. Im europäischen Vorschriftenbereich beträgt, mit zahlreichen Ausnahmen, die Endgebühr 10, die Durchgangsgebühr 8 Centimen. Die von Deutschland seit 1875 betriebene Einführung einer europäischen Einheitstaxe ist bisher auf den Telegraphenkonferenzen abgelehnt worden. Vgl. Artur Schmidt, Die Tarife der deutschen Reichspost- und Telegraphenverwaltung (im »Finanzarchiv« von G. Schanz, Stuttg. 1905–06).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 390.
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