Geburt

[419] Geburt (lat. partus), der Vorgang, durch den die Frucht mit ihren Anhängen aus dem mütterlichen Organismus ausgetrieben wird. Die natürlichen Kräfte, die diese Ausstoßung bewirken, sind die Zusammenziehungen der Gebärmutter, Wehen genannt, und die Bauchpresse. Die Größe der Widerstände, die dabei zu überwinden sind, hängt von der Beschaffenheit der Geburtswege und von der Größe und Lage der Frucht ab. Mit Rücksicht auf die Zeit der Schwangerschaft, in der die G. stattfindet, unterscheidet man unzeitige oder Fehlgeburten, die innerhalb der ersten 28 Wochen der Schwangerschaft eintreten, Frühgeburten, die in die Zeit nach der 28. Woche und vor der 40. Woche fallen, rechtzeitige, die am Ende der 40. Woche, und überzeitige oder Spätgeburten, die nach diesem Termin erfolgen. Hinsichtlich ihres Verlaufs teilt man die Geburten in regelmäßige und regelwidrige ein, und mit Bezug auf etwa stattgehabte Kunsthilfe in natürliche und künstliche. Nach der Anzahl der gebornen Früchte unterscheidet man einfache und mehrfache Geburten und bezeichnet letztere als Zwillings-, Drillingsgeburten etc. Die meisten Geburten erfolgen in Kopflage des Kindes, d. h. das dem Muttermund zunächst gelegene Kopfende der Frucht wird als vorangehender Teil zuerst geboren. Seltener sind Geburten in Beckenendlage, wobei der Steiß oder die Füße (Fußgeburt, agrippinische G.) die Geburtswege zuerst passieren. In Querlage kann ein reifes Kind nicht geboren werden; es bedarf dazu einer Umwandlung der Querlage in eine Längslage durch den Geburtshelfer. Der Verlauf der G. zerfällt zeitlich in drei Abschnitte: Eröffnungs-, Austreibungs- und Nachgeburtsperiode. Dem Beginn der G. gehen in den letzten Wochen der Schwangerschaft die Vorwehen voraus, die meist schmerzlos sind, in größern Zwischenräumen auftreten und das Verstreichen des Scheidenteils, bez. die Verkürzung des Halskanals bewirken. Der eigentliche Beginn der G. kündigt sich durch stärkere, häufigere und namentlich schmerzhaftere Wehen an. Diese eröffnenden Wehen haben zur Folge, daß der Muttermund sich allmählich erweitert und die Eihäute sich als Fruchtblase vom Kopf abheben. Letztere wölbt sich bei jeder Wehe stärker vor. Während sie anfangs in der Wehenpause wieder schlaff wird, bleibt sie schließlich dauernd gespannt und springt gewöhnlich dann, wenn die Erweiterung des Muttermundes nahezu vollendet ist (Blasensprung). Das zwischen Kopf und Eihäuten befindliche Vorwasser fließt ab, während die größere Menge des Fruchtwassers durch den das Becken nach unten abschließenden Kopf zurückgehalten wird. Nach vollständiger Eröffnung des Muttermundes beginnt die Austreibungsperiode. Die Wehen werden jetzt stärker und anhaltender, die Pausen kürzer. Immer deutlicher tritt die Bauchpresse in Tätigkeit. Die Gebärende sucht für Hände und Füße feste Stützen, hält während der Wehen den Atem an und preßt, einem fast unwillkürlichen Drange folgend, kräftig mit (Treib- oder Preßwehen). Sie »verarbeitet die Wehen«. Mit jeder Wehe rückt der vorangehende Kopf etwas tiefer in die Scheide hinein; dabei bildet sich an seinem vordersten Abschnitt eine teigige Schwellung, die Kopfgeschwulst. Endlich hat der Kopf den Beckenboden erreicht. Während der Wehe wird er zwischen den auseinander weichenden Schamlippen sichtbar, er ist im »Einschneiden«. Durch wiederholtes Andrängen des Kopfes werden die äußern Geschlechtsteile mehr und mehr erweitert, der Damm wird stark gedehnt und wölbt sich kugelig vor, der After klafft, oft wird Stuhlgang ausgepreßt. Der Kopf bleibt jetzt auch in der Wehenpause sichtbar, »er ist im Durchschneiden«. Die Stärke und Schmerzhaftigkeit der Wehen hat ihren Höhepunkt erreicht (Schüttelwehen). Unter allen Zeichen der Angst und Erregung seitens der Kreißenden wird endlich der Kopf des Kindes geboren (»er schneidet durch«). Dabei reißt häufig das Schamlippenbändchen, zuweilen auch ein Teil des aufs äußerste gedehnten Dammes ein. Nach einer kurzen Ruhepause wird mit der nächsten Wehe der Rumpf des Kindes ausgetrieben, worauf der Rest des Fruchtwassers abfließt. Es beginnt die Nachgeburtsperiode. Durch die sehr viel weniger schmerzhaften Nachgeburtswehen wird der Mutterkuchen in kurzer Frist von der Gebärmutterwand abgelöst. Darauf gleitet die Nachgeburt in den untern Abschnitt der Gebärmutter und wird von hier nach einiger Zeit mit Hilfe der Bauchpresse nach außen befördert. Damit ist der Geburtsvorgang beendet, und es beginnt das Wochenbett (s.d.). Die Dauer der G. ist abhängig von der Stärke der austreibenden Kräfte, der Größe der Widerstände und der Größe des Kindes. Im allgemeinen dauert bei Erstgebärenden die G. länger als bei Mehrgebärenden, weil die Dehnung der noch nie erweiterten Weichteile langsamer vor sich geht. Ebenso wird durch mangelhafte Wehentätigkeit, Enge des Beckens, abnorme Entwickelung oder regelwidrige Lage des Kindes Dauer und Verlauf der G. ungünstig beeinflußt. Gelingt es den Naturkräften nicht, die Widerstände zu überwinden, oder treten anderweitige Störungen im Verlauf der G. ein, die mit Gefahren für Mutter oder Kind verknüpft sind, so muß die G. durch ärztliche Kunsthilfe beendet werden. – Vgl. Wigand, Die G. des Menschen (2. Aufl., Berl. 1839, 2 Bde.); Ploß, Über die Lage und Stellung der Frau während der G. bei verschiedenen Völkern (Leipz. 1872) und Das Weib in der Natur- und Völkerkunde (7. Aufl. von Bartels, das. 1902, 2 Bde.); Engelmann, Die G. bei den Urvölkern (a. d. Engl. von Hennig, Wien 1884); vgl. auch die Werke über Geburtshilfe (s. d., S. 422).

Bei den Haustieren gehen der G. verschiedene Anzeichen vorher: Anschwellen der Scham mit Erweiterung der Schamspalte, Ausfluß einer schleimigen Flüssigkeit, Erschlaffung der Kreuzsitzbeinbänder und daher Einfallen der Kruppe neben der Schwanzwurzel, Anschwellung der Milchdrüsen und Austritt einer zähen gelben Flüssigkeit aus den Zitzenöffnungen. Der Eintritt der G. gibt sich durch Unruhe des Tieres, Hin- und Hertreten, öfteres Niederlegen, Wedeln mit dem Schweif etc. kund; Sauen pflegen sich ein Lager zu bereiten. Die G. vollzieht sich unter denselben Vorgängen (Wehen, Bauchpresse, Eröffnungsstadium, Blasensprung und Austreibungsstadium) wie beim Menschen. Auch bei Tieren ist der Durchtritt des Kopfes am schmerzhaftesten, wenn auch nicht am schwierigsten; vielmehr haben Schultergürtel und Becken meist einen größern Umfang. Fohlen, Kälber und Lämmer werden meist in Kopf-, seltener in Steißendlage geboren; bei Ferkeln und Hunden sind beide Lagen gleich häufig. Bei Stuten wird die G. meist sehr schnell, oft in 5–10 Minuten vollendet; bei.[419] Kühen dauert sie 3–6, bei Schweinen je nach der Zahl der Ferkel einige Stunden. Der Nabelstrang reißt in der Regel während der G. oder, sobald das Muttertier nach der G. aufsteht, ab; Fleischfresser beißen ihn auch wohl ab. Die Oberfläche der Jungen bedeckt eine nasse käsige Masse (vernix caseosa), die von der Mutter abgeleckt wird. Werden von einem Tier mehrere Junge geboren, so treten bald nach der G. des ersten neue Wehen ein; die folgenden Jungen werden leichter geboren. Bei Stuten folgt in einer Zwillingsgeburt das zweite Junge nach etwa 10 Minuten, bei Schafen und Ziegen nach etwa 1/2 Stunde, bei Kühen nach 1–2 Stunden; bei Schweinen folgen die einzelnen Jungen gewöhnlich in Zwischenräumen von 1/4 Stunde, bei Fleischfressern noch schneller auseinander. Einige Zeit nach der G. werden die im Uterus zurückgebliebenen Fruchthüllen (Nachgeburt) unter leichten Wehen (Nachwehen) ausgestoßen, bei Stuten, Schafen, Schweinen und Fleischfressern sehr bald, bei Kühen 1–2 Stunden, mitunter aber erst mehrere Tage nach der G.; nach dem dritten Tage muß nötigenfalls künstliche Entfernung bewirkt werden. Sauen fressen gern die Nachgeburt auf, was verhindert werden muß, da solche Sauen öfters hinterher auch die Ferkel auffressen. Vor und nach der G. bedarf das Muttertier besonders achtsamer Pflege und besonderer Diät. Nach der G. bleibt der Muttermund unter geringem Ausfluß noch etwa acht Tage geöffnet. In den ersten 3–4 Tagen können Infektionen der Gebärmutter auftreten. Frühgeburten kommen namentlich bei Stuten und Kühen, sogar seuchenartig vor; s. Fehlgeburt.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 419-420.
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