Erster Teil

[8] Wie indes der Physiognom nie genug körperliche Bildungen der Menschen vergleichen kann, um zu desto sicherern Resultaten über die Symbolik der menschlichen Gestalt zu gelangen, so wird auch der, welchem das höchste Studium des Menschen, nämlich die Kunst rechter und edler Lebensführung, vor allem am Herzen liegt, nie genug Lebensgeschichten – das heißt solche, die diesen Namen durch eine tiefere Auffassung wahrhaft verdienen – verfolgen und vergleichen können, um dadurch und daran in eben jener Lebenskunst sich selbst immer mehr auszubilden und zu vervollkommnen. Denn freilich würde alles das, was ... von dem geheimnisvollen Unbewußten gesagt ist, als wodurch jeglicher Lebensgang auf besondere Weise angebahnt und geleitet werde, sehr falsch verstanden bleiben, wenn man glauben wollte, daß dadurch überhaupt die freie Selbstbestimmung und tätige Mitwirkung des Menschengeistes zur eigenen Vollendung für ausgeschlossen und überflüssig erklärt werden sollte.

Carus[9]

Quelle:
Carus, Carl Gustav: Lebenserinnerungen und Denkwürdigkeiten. 2 Bände, 1. Band. Weima 1966, S. 8-11.
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