[796] Epigramm (v. gr. Epigramma, d.i. Aufschrift), 1) ursprünglich überhaupt Worte, welche auf einen Gegenstand geschrieben sind, insbesondere wenn sie zur Erklärung desselben dienen, so namentlich alle Inschriften an Denkmälern, Tempeln, Grabsteinen, Bildsäulen. Anfangs auf eine trockne Erklärung der Bedeutung derartiger Kunstwerke beschränkt, erhielten diese Inschriften später eine poetische Erweiterung u. Abrundung, indem sie auch Empfindungen u. Gedanken Raum gaben, welche sich an die Person od. die Handlung knüpften, zu deren Verherrlichung die Werke der Bau- u. Bildkunst errichtet waren. Die knappe Fassung des Sinnes, welcher in wenige Worte zusammengedrängt, dem Leser sofort in die Augen sprang, war eine charakteristische[796] Eigenthümlichkeit dieser meist in Distichen abgefaßten E-e u. die Ursache, daß man später überhaupt 2) jedes kurze Gedicht als E. bezeichnete, in welchem ein sinniger Einfall scharf ausgeprägt war. In der weiteren Entwickelung dieser Art der Dichtung trat immer mehr das witzige Element darin hervor, indem die Epigrammatiker solche Gegenstände aufgriffen, welche der Satyre od. dem Humor einen vortheilhaften Angriffspunkt boten. Obwohl schon bei den Griechen in diesem Sinne cultivirt, erhielt das E. erst bei den Römern ein vorherrschend satyrisches Wesen, welches namentlich in den E-en des Martialis sich geltend macht. Dieser sich oft in obscönen Anspielungen gefallende Dichter wurde das Vorbild der mittelalterlichen lateinischen Epigrammatiker, unter denen der Engländer Owen vorzugsweise den Ton des Martial zu treffen wußte. Im 17. Jahrh. begann man auch in deutscher Sprache E-e zu schreiben. Den ersten in dieser Gattung nennenswerthen Erfolg hatte Wernicke, welcher das E. zum Angriff gegen die Nachtreter Lohensteins anwandte, dann Kästner. Seit Schiller u. Goethe ihren gegen das literarische Unwesen gerichteten E-n den Namen Xenien (s.d.) beilegten, pflegt man diese Bezeichnung überhaupt für jene Klasse von E-en anzuwenden, welche gegen bestimmte Personen gerichtet sind od. lächerliche Erscheinungen der Zeit zum Gegenstande beißenden Witzes machen, während man allgemeine Wahrheiten, welche in die Form des E-s gekleidet sind, als Sinngedichte von jenen unterscheidet. Auch in solchen Sinngedichten haben die genannten großen Dichter in der Deutschen Literatur das Vorzüglichste geleistet. Über das Wesen der E-e schrieben Lessing u. Herder. Daher Epigrammatŏlogie, Sammlung von Epigrammen.