Verbum

[454] Verbum (lat.), 1) überhaupt Wort; bes. 2) (Zeitwort, Sagewort, Meldewort), in der Grammatik diejenige Gattung der flexionsfähigen Merkmalswörter, welche einen zeitlichen Zustand, ein Thun od. Leiden ausdrücken, insofern dieselben einem Gegenstande beigelegt od. von demselben ausgesagt werden. Nach dem Inhalt scheidet sich das V. in das V. substantivum (V. indefinitum Genus verbi, Prädicatsverbum), welches das blose Sein eines Subjects bezeichnet, das Was od. Wie wird dann durch das Prädicat (s.d.) näher bezeichnet; u. das V definitum (Species verbi, specielles V.), welches das Prädicat zugleich in sich schließt. Die speciellen Verba sind entweder Stammwörter (Verba primitiva), wie geben, lesen; od. abgeleitete (V.derivata), wie fällen von fallen; wenn sie von Substantiven abgeleitet werden, so heißen sie V. denominativa, wie loben, landen; ferner entweder einfache (V. simplicia), wie schicken, lassen; od. zusammengesetzte (V. composita), wie beschicken, entlassen. Eine große Anzahl Modificationen des Verbalbegriffs werden durch verschiedene Endungen am Stamm des V-s ausgedrückt, u. so entstehen Intensiva, welche eine Verstärkung od. das eifrige Beharren bei einer Handlung ausdrücken; Imitativa, welche eine mit öfterer Wiederholung der Handlung verbundene Nachahmung; Inchoativa, welche einen entstehenden, seiner Vollendung sich nähernden Zustand, ein Werden; Completiva, welche das Eingetretensein eines Zustandes, ein Sein; Assimilativa, welche die Wiederholung einer Handlung von der Art der im Stammwort angegebenen, od. eine dem Stammbegriff ähnliche Handlung od. Zustand; Effectiva, welche eine anhaltende Beschäftigung mit der Bewirkung des im Stammbegriff Genannten; Deminutiva, welche eine Verminderung, Abkürzung der Handlung; Frequentativa od. Iterativa, welche eine öftere Wiederholung der Handlung zu einem bestimmten Zweck; Meditativa (Desiderativa), welche ein Verlangen, Trachten in einen Zustand zu kommen, od. an einer Handlung Theil zu nehmen; Factiva, welche das Ausführenlassen einer Handlung durch Andere; Causativa, welche den Zustand, den das Subject in einem andern Gegenstande bewirkt, ausdrücken etc. Nach dem Verhältniß, in welchem die Thätigkeit des Subjects dargestellt wird, ist das V. entweder ein Intransitivum, wodurch eine Thätigkeit bezeichnet, welche nicht auf einen andern Gegenstand übergeht, wie gehen, liegen; od. ein Transitivum, wodurch eine auf einen außerhalb des Subjects sich befindenden Gegenstand (Object) sich beziehende Thätigkeit bezeichnet wird, z. V. stoßen, werfen Passivum, wo das Subject eine von außen kommende Thätigkeit aufnimmt, sich leidend gegen dieselben verhält, z.B. gestoßen-werden, geworfen-werden; Reflexivum, wo das Subject eine Thätigkeit ausübt, aber dieselbe selbst aufnimmt, sich also thätig u. leidend zugleich verhält, z.B. sich-waschen, sich-stoßen; Medium, entweder so v. w. Reflexivum od. wodurch überhaupt eine Thätigkeit des Subjects mit Rücksicht auf sich bezeichnet wird, z.B. sich etwas erwerben. Ein V., welches eine Thätigkeit anzeigt, die man nicht einem[454] wahrnehmbaren Subject zuschreiben kann, heißt ein Impersonale, z.B. es regnet, es donnert. Ein V., welches keine Thätigkeit, sondern einen Zustand od. eine Eigenschaft bezeichnet, heißt ein V. neutrum, z.B. roth-sein, ruhig-sein Zur Bezeichnung dieser verschiedenen Bedeutungen hat man verschiedene Formen des V-s (Genus verbi); die Form für den Ausdruck der Transitiva u. Intransitiva, heißt Activum; für den der Passiva Passivum, für den der Reflexiva u. Media Medium. Nicht alle Sprachen haben diese Formen ihrer Verba erhalten, sondern gebrauchen dafür Umschreibungen. Ein V., welches passive Form u. active Bedeutung hat, heißt ein Deponens; wenn es active Form u. passive Bedeutung hat, heißt es ein Neutrale passivum, z.B. vapulo, ich werde geprügelt; wenn es bei activer Bedeutung seine Formen theils aus dem Activum, theils aus dem Passivum nimmt, ein Neutro-Passivum, z.B. audeo, ausus-sum, wagen. Die Verschiedenheit der Subjecte wird am V. durch die Personen angezeigt: die erste Person bezeichnet den od. die Redenden selbst, z.B. ich-lobe, wir-loben; die zweite. Person den od. die Angeredeten, z.B. du-lobst, ihr-lobt; die dritte Person einen od. mehre, von denen geredet wird, z.B. er-lobt, sie-lobt, sie-loben In Rücksicht auf die Zeit (Tempus), in welcher eine Thätigkeit dargestellt wird, unterscheidet man: Praesen, die Gegenwart, Praeteritum, die Vergangenheit, Futurum, die Zukunft, s.u. Tempus. Die Art u. Weise (Modus), wie eine Thätigkeit ausgesagt wird, ist die Wirklichkeit, durch den Indicativus, ich glaube; od. die Möglichkeit, welche bald als etwas nur Vorgestelltes (Conjunctivus, du magst glauben), bald als etwas Gewünschtes (Optativus, möchtest du glauben), bald als etwas Eingeräumtes (Concessivus, Permissivus, magst du glauben), bald als etwas Mögliches (im eigentlichen Sinn Potentialis, ich könnte glauben), bald als etwas Bedingtes (Conditionalis, ich würde es glauben, wenn –) etc. dargestellt wird; (die meisten Sprachen haben für alle diese Aussageweisen der Möglichkeit etc. nur Eine Modusform); die Notwendigkeit durch den Imperativus (du sollst gehn) Jussivus (gehe). Sofern an dem V. diese Beziehungen bezeichnet werden, heißt es das V. finitum; dazu kommen noch Formen, welche zwischen V. u. Nomen inne stehen (Mittelwörter), u. für diese Formen heißt das V. V. infinitum; sie sind der Infinitivus, welcher die Thätigkeit als abstracten Begriff darstellt; das Participium, welches den Begriff der Thätigkeit od. des Leidens in der Form eines Adjectivs darstellt; dazu haben einige Sprachen noch ein Gerundium, welches entweder ein Müssen, od. eine Möglichkeit, od. den abstracten Begriff des V-s bezeichnet, u. das Supinum, auch den abstracten Begriff des V-s bezeichnend, beide vom Infinitiv nur durch den Zusammenhang der Rede unterschieden. Ein V. nach jenen verschiedenen möglichen Bestimmungsarten abbeugen, heißt Conjugiren. Verba, welchen mehre Tempora fehlen, heißen Defectiva; dagegen solche, welche entweder für einerlei Form doppelte Bedeutung, od. für einerlei Bedeutung doppelte Form haben, Abundantia; von der gewöhnlichen Conjugationsweise abweichende heißen Anomala od. Irregularia. Da selbst ausgebildete Sprachen nicht für alle mögliche Modifikationen die entsprechenden Formen haben, so bildet man dieselben durch Umschreibung (Conjugatio periphrastica), wozu man sich der sogenannten Hülfsverba (Verba auxiliaria) bedient, s. Hülfszeitwörter.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 454-455.
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